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Das Rezept für Veränderung

Es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Dieser Satz wurde wahrscheinlich schon zu allen Zeiten und von jedweder politischen Couleur vorgebracht. Trotzdem sind tatsächliche Änderungen, man könnte sie auch Revolutionen nennen, eher selten. Obwohl der Wunsch so häufig präsent ist, gelingt es den wenigsten Initiativen, echte Änderungen anzustoßen. Wieso eigentlich? Was ist das Rezept für Veränderung? Wie funktioniert sie?

Ich begebe mich heute beim Schreiben des Artikels auf ziemlich dünnes Eis. Nicht zuletzt, weil einige Thesen dazu einladen, falsch (als Populismus) verstanden zu werden. Trotzdem will ich den Versuch wagen. Wie mittlerweile viele meiner Leser wissen, bin ich seit einiger Zeit bei #aufstehen aktiv. Die Bewegung wird auch in diesem Text eine wichtige Rolle spielen, aber es ist mir wichtig, dass ich das hier nicht als #aufstehen-Aktivist schreibe. Ich bin sogar sicher, dass es nicht wenige Menschen bei #aufstehen gibt, die meine Ansichten überhaupt nicht teilen. Auch das finde ich gut. #aufstehen ist nicht zentral gleichgeschaltet und hält unterschiedliche Meinungen aus.

Schauen wir uns also an, wie Veränderung funktioniert. Am besten auf einer ganz persönlichen Basis, nämlich für einen einzelnen Menschen. Was muss passieren, bevor jemand sein Verhalten ändert?

Eine Verhaltensänderung bedarf einiger Voraussetzungen bzw. das richtige Verhältnis der einzelnen Parameter zueinander. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Leidensdruck, der Krankheitsgewinn sowie das Know-How, wie eine Änderung aussehen könnte bzw. wie diese zu bewerkstelligen ist.

Nehmen wir als Beispiel das Rauchen. Hier wäre z.B. der Leidensdruck, die Angst um die eigene Gesundheit oder auch die Kosten. Der Krankheitsgewinn ist in diesem Kontext die beruhigende Wirkung des Rauchens, das Gefühl der Geselligkeit oder Lässigkeit und vielleicht auch eine entsprechende Gruppenzugehörigkeit, etc. Das Änderungswissen könnte z.B. das Wissen um eine entsprechende Entzugsmethode sein oder auch die Erkenntnis, dass man schon erfolgreich einen „kalten“ Entzug geschafft hat. Das Änderungswissen kann jedoch nur wirksam werden, wenn der Leidensdruck deutlich größer als der Krankheitsgewinn ist. Es hilft z.B. überhaupt nichts, eine völlig problemlose und einfache Methode zur Entwöhnung zu kennen (falls es so etwas gibt), wenn der Krankheitsgewinn den Leidensdruck übersteigt. Dies ist gerade bei Rauchern oft der Fall, da eine abstrakte gesundheitliche Gefahr, die irgendwann in der Zukunft eintreten kann, im Vergleich zu dem sofortigen Lustgewinn des Rauchens einfach nicht überwiegt. Hierzu ist die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub wichtig, der bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist (aber auch lernbar ist – hier setzt häufig Therapie an). Wird jetzt z.B. eine beginnende Krebserkrankung diagnostiziert, kehrt sich bei vielen Menschen das Verhältnis sofort um, und es wird unmittelbar mit dem Rauchen aufgehört. Leider jedoch oft zu spät.  In die schöne und kurze Sprache der Mathematik verpackt würde es wohl ungefähr so aussehen:

Die Signum-Funktion „Sig()“ sorgt in diesem Fall dafür, dass nur bei überwiegenden Leidensdruck das Änderungswissen wirksam werden kann (und es sieht natürlich auch viel wissenschaftlicher aus!).

Das Schöne an diesem Konzept ist, dass es sowohl bei einzelnen Individuen als auch bei größeren Gruppen, ja sogar bei ganzen Gesellschaften funktioniert. Es findet sogar auch bei der Beurteilung von Märkten in Volkswirtschaften – etwas modifiziert – seine Anwendung.

Wenn wir also Veränderung in unserer Gesellschaft wollen, wie können wir diese Erkenntnis nutzen? Schauen wir dazu kurz in unsere eigene nationale Geschichte.

Die letzte gesellschaftliche Revolution in der Bundesrepublik war Ende der sechziger Jahre zu beobachten. Ich nehme hier bewusst nicht die deutsche Wiedervereinigung als Beispiel, weil es in diesem Fall einige Besonderheiten gab, die den typischen Prozess etwas verdeckten.

Das Erbe der 68er – mittlerweile 50 Jahre her – war der Aufbruch in eine aufgeklärtere, offenere und freiere Gesellschaft. Diese Entwicklung war zunächst getrieben von intellektuellen Debatten eng umrissener Eliten (Studenten, Journalisten, etc.) und wirkte doch am Ende über einen einzigen Schlüsselbegriff: Freiheit. Dieser Schlüsselbegriff wurde von einer breiten Bevölkerungsschicht adaptiert und mit einem persönlichen Freiheitsbegriff gefüllt. Es gab plötzliche die sexuelle Selbstbestimmung, Emanzipation, das Erstarken der Gewerkschaften, Abkehr von den Zwängen der Religion (Kirchensterben) und vieles mehr. Es dauerte mehrere Dekaden, bis wir – irgendwann in den späten 80er Jahren – tatsächlich eine modernere, freiheitliche und liberale Gesellschaft etabliert hatten. Auch damals lag ein Geheimnis des Wechsels in der Zahl. Es war eine breite Allianz, quer durch alle Gesellschaftsschichten. Trotzdem war die Gegenwehr eines relativ kleinen Establishments aus Wirtschaft und Politik erbittert und zäh.

Irgendwann in den neunziger Jahren begann sich das Blatt zu drehen. Auch hier ging es wieder um Freiheit, jedoch geht es beim Neoliberalismus um die Freiheit der Konzerne, nicht die der Bürger.

Der Wunsch nach Freiheit war in den Sechzigern und Siebzigern die treibende Kraft. Auch heute ist Freiheit sicherlich eine wichtige Größe, aber ich denke, dass andere Faktoren heute mindestens genauso bestimmend, wenn nicht entscheidend sind.

Ganz vorne steht das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit, d.h. meine Handlungen machen einen Unterschied und ich habe mein Leben (weitgehend) selbst unter Kontrolle. Diese fehlende Selbstwirksamkeit ist es, die zu geringen Wahlbeteiligungen bzw. Politikverdruss führt. Es ist egal was ich wähle, es kommt sowieso immer das Gleiche heraus. Man kann den Effekt gut bei sogenannten „Schicksalswahlen“ sehen, wo es um ganz konkrete, kurzfristig eintretende Wirkungen geht, z.B. die Landtagswahl im Saarland, die gleichzeitig auch Lafontaine implizit zum Kanzlerkandidaten der SPD machte, oder die aktuelle Landtagswahl in Bayern, bei der es darum ging, „die AfD zu verhindern“. Es gab immer eine deutliche höhere Wahlbeteiligung, wenn ein direktes, kurzfristiges emotionales Ziel verknüpft war.

Auf der anderen Seite steht der Wunsch nach Sicherheit, und damit eng verknüpft ist das Maß an Vertrauen, dass ich an einen gewählten Anführer habe. Eine Größe, die man heute eher mit dem Mikroskop messen muss.

Wie wir aus dem oben erklärten Mechanismus eines Änderungsprozesses gesehen haben, sind diese Wünsche, in der Formel „Leidensdruck“ genannt, relativ abstrakter Natur. Es ist zunächst nichts, was man in einer parteipolitischen Debatte oder einem Parteiprogramm finden würde. Selbstverständlich muss man ab einem bestimmten Zeitpunkt überlegen, wie man solch ein abstraktes Ziel realisieren kann, aber zunächst wird das Handeln der Menschen von einem Teil ihres Gehirns bestimmt, der weder Ratio noch Sprache kennt. Revolutionen beginnen im Herz, nicht im Kopf. Ein rein intellektueller Ansatz wird immer zum Scheitern verurteilt sein. Das zeigt zum Beispiel auch die Volkswirtschaftslehre. Deren Thesen und Konzepte beruhen im Wesentlichen auf einem Homo oeconomicus, einem Nutzenmaximierer, der zutiefst logisch und rational handelt. Wie sich jedoch im Laufe der Jahre gezeigt hat, gibt es diesen Menschen nicht, und sehr häufig sind deshalb die Prognosemodelle einfach falsch.

Alle höheren Funktionen unserer Wahrnehmung dienen im Prinzip nur dazu, den Entscheidungen, die aus der Tiefe unseres Gehirns kommen, die Erklärung zu geben, die wir für das unverzichtbare Gefühl der Selbstwirksamkeit und Erkenntnis brauchen.

Es ist also wesentlich, die Emotionen eines Menschen zu erreichen, wenn man Veränderung will. Unglücklicherweise liegt hier (paradoxerweise) genau die Schwäche der „Linken“ und die Stärke der „Rechten“. Die Linken sollten begreifen, dass die Rezepte zur Veränderung aus den 68igern heute nicht mehr funktionieren. Es hat einfach keine Intellektualisierung der Gesellschaft stattgefunden, die die bisherigen Konzepte und Ansätze aber benötigen würden. Das Ergebnis sind endlose, ideologische Statements – immer mit einem Hauch vom Kantschen Imperativ – die man z.B. bei facebook dadurch erkennt, dass man sie minutenlang scrollen muss, um sie ganz zu lesen. Wir könnten jetzt die geringe Aufmerksamkeitsspanne oder das mangelnde Interesse beklagen. Es ändert aber die Realitäten nicht! Wer Veränderung will, muss die Menschen da abholen, wo sie sind – nicht wo wir sie gerne hätten. Diese Erkenntnis hat nichts mit Arroganz oder Snobismus zu tun. Es ist schlicht die Anerkennung der Lebensumstände der meisten Menschen. Eine Krankenschwester würde ein langes Parteiprogramm genauso verstehen – wahrscheinlich noch besser als Herr Spahn, da sie die Lebensrealitäten hinter den Themen aus eigener Erfahrung kennt – wie ein promovierter Politikwissenschaftler oder Journalist. Es ist nur unrealistisch und auch unfair anzunehmen, dass sie nach einem harten Arbeitstag, im Schichtdienst und am Wochenende für einen Hungerlohn dafür noch die Energie hat.

Die bisherigen „Aktivisten“ sind mehrheitlich „politische“ Menschen, mit denen die neuen Mitglieder von #aufstehen, die oft zum ersten Mal wirklich politisiert sind, häufig fremdeln. Ich bin aber guter Hoffnung, dass die Polit-Novizen bald in der Mehrzahl sein werden. Die Gründungsversammlung von #aufstehen Rheinland-Pfalz war dafür ein gutes Beispiel. Das Treffen wurde zwar von der „Zentrale“ angeregt, Inhaltlich wurde es aber vollkommen frei von den Interessenten bestimmt. Es waren nur wenige in Parteien organisierte Menschen gekommen und selbst diese traten ausdrücklich als Bürger und nicht als Parteisoldaten an. Damit es so bleibt, sollte #aufstehen es als Verpflichtung ansehen, sich auf die Bedürfnisse dieser neuen Mitglieder einzustellen und nicht unausgesprochen fordern, dass sie 30 Jahre (oder mehr) Auseinandersetzung mit parteilicher Programmpolitik in Rekordzeit nachholen, bevor sie ernst genommen werden. Am Ende sind sie – die Politikneulinge – es nämlich, die die Veränderung ermöglichen. Nicht diejenigen, die sich für eine Art Elite halten, weil sie seit 1972 ein Spiegel-Abo haben, regelmäßig an Demos teilnehmen und eine Art Paternalismus für die politisch Unerfahrenen für geboten halten.

Mit Politsprech kann man die Menschen nicht erreichen. So wäre z.B. #aufstehen gut beraten – auch um sich von den üblichen Politikbetrieb abzugrenzen – ein eigenes Vokabular zu benutzen. Soziale Gerechtigkeit ist ein politischer Kampfbegriff. Beim Grillen mit (unpolitischen) Freunden oder in der Kneipe wäre aber wahrscheinlich eher von Fairness die Rede. Lasst uns Alltagssprache verwenden – keine Politikparolen.

Unglücklicherweise scheint es nur die AfD zu sein, die das Konzept von der emotionalen Erreichbarkeit der Bürger als einzige verinnerlicht hat. Die AfD diese Mechanismen längst erkannt und agiert wesentlich geschickter als die etablierten Parteien.

Ein gutes Beispiel auf der anderen Seite war die #unteilbar Demo in Berlin. Rund 250.000 Menschen versammelten sich hinter einem relativ unscharfen Motto. Es war so unscharf, dass sogar Feministinnen neben konservativen Anhängern des Islam laufen konnten. Es war außerdem ein Motto, das eigentlich niemand ablehnen oder schlecht finden kann. Leise Kritik, an den dahinter stehenden Forderungen, z.B. offene Grenzen für Alle, wurde sofort von einer breiten Öffentlichkeit abgestraft. Dank des guten Wetters war es am Ende mehr ein Volksfest als Demo und jeder konnte guten Gewissens seine eigene Idee von #unteilbar feiern. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es bei Diskussionen der politischen Details einer möglichen Umsetzung zwischen den Teilnehmern relativ schnell zu klaren Differenzen gekommen wäre.

Es gibt mehr zu gewinnen (und zu verlieren) als den Kampf gegen Rechts. Die politische Linke hat aber bereits begonnen, sich selbst zu zerfleischen. Was bringen gemeinsame Demos von CDU, SPD, Gewerkschaften, Linken, AntiFa, etc. gegen Rechts wenn am Ende doch Merkel (oder ein anderer Fürsprecher des Neoliberalismus) auf dem Kanzlerstuhl bleibt? Außerdem hat dies bisher auch den Aufstieg der Rechten nicht verhindert und ich halte es für schlicht unlogisch, dass mehr Kampf das Problem löst. Nicht bei einem Anteil der AfD Sympathisanten in Deutschland, der im Schnitt irgendwo zwischen 20 und 30% liegen dürfte. Gerade in diesem Moment sehe ich die AfD bei der Landtagswahl in Bayern bei 11% in der ersten Hochrechnung. Sie ist damit stärker als die SPD und hat aus dem Stand 11% erreicht und hat damit weit mehr Zugewinne als alle anderen Parteien, außer den Grünen, die wahrscheinlich einfach Gewinner ihrer Nicht-Fisch-Nicht-Fleisch Politik geworden sind.

Mein Mangel an Kampfeswille gegen Rechts hat aber nichts mit Appeasement zu tun. Angriffen auf Rechtsstaat und Verfassung muss deutlich entgegen getreten werden. Ich will aber keinen „Bürgerkrieg“ in Deutschland, während sich Politik und Wirtschaft auf die Schenkel klopfen, weil wir sie im Kampfgetümmel wieder aus den Augen verloren haben.

Dem Establishment, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, ist die Gefährlichkeit von #aufstehen wohl bewusst – deswegen gibt es eben von diesen Seiten auch so wenig Zustimmung bzw. so viel Gegenwehr, Abwertung und Verleumdung.

Die häufigste Abwertung besteht darin, dass #aufstehen im Moment eher eine Art Mailingliste ist und verkennt dramatisch (oder verschweigt bewusst), wie wichtig ein solches Medium ist. In der Wirtschaft werden nicht umsonst riesige Summen von einer ganzen Industrie verlangt, die Firmen schlicht dies zur Verfügung stellt. Auch das Thema Big Data– eine ziemlich ausgefuchste Form von Datensammeln – dient letztlich nur einem Zweck: die Entscheidungen von Menschen zu beeinflussen – durch bessere Erreichbarkeit mit der jeweiligen „Nachricht“. Der Eintrag in einen Newsletter von #aufstehen von großen Teilen der Bevölkerung ist weit mehr aktive Beteiligung, als die etablierten Parteien verbuchen können. Es macht #aufstehen weiterhin unabhängig von externen Beurteilungen, z.B. durch andere Parteien via Presse. #aufstehen kann mit Nachrichten schnell, billig und einfach die Massen adressieren. Man muss aber auch dafür sorgen, dass die Nachrichten so formuliert sind, dass sie die Herzen der Empfänger erreichen.

Wenn dies gelingt, stellt #aufstehen genau den Faktor dar, der bei unserer Formel für Änderung bisher noch nicht abgedeckt war: das Änderungswissen, d.h. das Know-How, wie man entsprechende Veränderungen in der Praxis durchführen kann.

Und jetzt hätten wir bei unserer Formel alle Spieler auf dem Platz.

Den Leidensdruck – der ohne Zweifel in der Breite der Bevölkerung vorhanden ist – erreichen wir durch eine lebensnahe, emotionale Adressierung, und nicht durch endlose Parteiprogramme oder intellektuelle Arbeitskreise. Am besten auch durch Gesichter, die noch nicht in der Politik verbraucht sind. Menschen, die über Erfahrungen aus der realen Welt verfügen, im Leben auch schon Niederlagen einstecken mussten, und wissen, was es heißt, heute eine Familie mit Erwerbsarbeit durchzubringen. Das Ganze kann durch das Entstehen von #aufstehen entsprechend kanalisiert werden und liefert die notwendige Infrastruktur für weitreichende, konsensgetriebene Veränderung. Bliebe noch der „Krankheitsgewinn“. Genau an dieser Schraube dreht im Moment das wirtschaftliche und politische Establishment, diesmal in Form von negativer Verstärkung. Es könnte schon fast ein Beispiel aus der Konditionierungstheorie sein. Wehe, wenn ihr etwas ändert, dann verliert ihr euren Job, die Rechten übernehmen die Macht, … hier beliebige Angst einsetzen.

Was wäre also mein Rat an #aufstehen? Bleibt so lange wie möglich eine Bürgerbewegung und wachst so schnell ihr könnt! Es ist kein Fehler, auch Arbeitskreise zu haben, die sich mit politischen Detaillösungen beschäftigen, aber im Moment ist das noch nicht zwingend notwendig. #aufstehen muss wachsen und dafür reicht es, wenn wir uns auf die Emotionen der Menschen konzentrieren. Die Gründungserklärung ist die Basis, mit der bisher alle „Aufständischen“ einverstanden waren. Diese Inhalte transportiert man aber nicht über im Detail ausgearbeitete Programme in die breite Bevölkerung. Ich gehe davon aus, dass für die meisten Menschen in Deutschland der Gründungsaufruf von #aufstehen schon genug Infos enthält, um eine Entscheidung zu treffen. Wohlgemerkt, ich rede hier nicht von den „Aktivisten“, die ihr ganzes Leben schon politisch stark engagiert waren. Wenn wir einen echten Wandel wollen, brauchen wir im wesentlichen „Karl Mustermann“ und seine Frau und Kinder – den durchschnittlichen (im besten Sinne) Deutschen. Natürlich ist es sinnvoll, die Programme im Detail auszuarbeiten, um im Ernstfall wirklich handlungsfähig zu sein. Mit dem Wandel an sich haben diese Programme aber nichts zu tun. Geht lieber so schnell wie möglich mit den Ideen der Gründungserklärung auf die Straße, um damit Mitstreiter zu werben.

Für viele der älteren „Aufständischen“ ist die starke Konzentration auf digitale Medien bei #aufstehen sicherlich schwierig zu akzeptieren. Einerseits einer der N°1 Jobkiller, sollen hier plötzlich die gleichen Instrumente genutzt werden. Das ist verständlich, aber es ist letztendlich die Frage, was mit dem Werkzeug gemacht wird. Mit einem Hammer kann ich ein Haus bauen oder einen Kopf einschlagen. Ein Wesenszug der Linken war von jeher die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem. Das sollte man sich  zunutze machen. #aufstehen hat – wie es auf Neudeutsch so schön heißt – Momentum. Jetzt muss man dran bleiben! Das Internet wird dabei für #aufstehen eine zentrale Rolle spielen. Die ersten hochgeladenen Videos zeigten schon den richtigen Weg. Influencer– nicht (nur) aus der Politik – erreichen andere Bürger mit emotionalen, persönlichen Stellungnahmen. Besonders in der frühen Phase, in der sich #aufstehen jetzt befindet, ist die Verletzlichkeit gegen Entwicklungen von Innen am größten. #aufstehen darf kein Intellektuellenclub der „üblichen Verdächtigen“ werden. Keine endlosen, selbstzerfleischenden Grundsatzdiskussionen, kein Politikgeschwurbel oder seitenlange Statements. Kein Hoffen auf „Verbündete“ aus anderen Parteien oder Interessengruppen. Es gibt einen Grund, warum die meisten neuen Aufständischen bisher in keiner Partei oder anderen Interessengruppe aktiv waren.

Ich bin sicher, viele Leser werden jetzt skeptisch oder angewidert denken, dass ich nur inhaltsloses Marketing propagiere. So ganz falsch ist das nicht. Man kann entweder für einen reale oder einen perfekte Welt Politik machen. Im zweiten Fall wird man allerdings in der realen Welt einen – wenn auch moralisch einwandfreien – Politiktod sterben. Ich bin sicher, wir benötigen modernstes Marketing um gegen den „Krankheitsgewinn“ – um bei unserer Formel zu bleiben – bestehen zu können. Die andere Seite wird sich nämlich sicher nicht selbst zensieren und darauf verzichten. Ich würde es aber nicht als inhaltsleer bezeichnen, sondern vielmehr als ein Skelett, auf dem die Bewegung dann Schritt für Schritt aufbaut – z.B. wenn sich die ersten „Aufständischen“ als freie Direktkandidaten bei Wahlen stellen. Auf diese Weise muss #aufstehen noch nicht mal eine Partei werden und kann trotzdem Politik aktiv beeinflussen.

Die Menschen sind bereit für einen Wechsel. Lasst uns ihnen jetzt den Rahmen dafür geben. Laden wir sie zu #aufstehen ein. Es wird kein leichter Marsch und die Gegenwehr wird hoch sein. Trotzdem bin ich dieses eine Mal zuversichtlich. Es ist egal, wie oft und konsequent man die Triebe zurück schneidet. Man kann den Frühling nicht verhindern, wenn seine Zeit gekommen ist.

Danke fürs Lesen.

Euer Christian

#keinPolitiker

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Das Deutschland der Sitzenbleiber

Ich geb’s zu. Der aktuelle Plot – man könnte auch Realität dazu sagen – ist komplett unglaubwürdig. Sämtliche Zeitreisende, die zufällig in diesen Jahren stranden, werden total verwirrt sein. Genauso geht es auch Menschen, die noch mit den alten Rollenbildern aus der Politik aufgewachsen sind. Irgendwie macht das alles so keinen Sinn.

Darüber, dass man unverhofft „Nazi“ oder „Zecke“ werden kann, hatte ich ja in der Vergangenheit bereits öfter geschrieben. Aber auch abseits von Einzelschicksalen ist die politische Landschaft in Deutschland eigentlich mehr Satire als Realität. Am besten sieht man das zur Zeit beim Thema #Aufstehen, also der neuen „Bewegung“, die versucht, Menschen einzusammeln um etwas Neues in Deutschland zu gestalten. Trotz des respektablen Erfolgs schon von Anfang an so viele Interessierte hinter sich zu bringen – bisher ist es ja kaum mehr als ein Registrieren – gibt es quasi von allen Seiten Haue. Man könnte fast meinen, man macht gerade das nächste Feindbild nach den Nazis klar, wenn Rechts keinen mehr aufregt.

Was ist an #Aufstehen denn eigentlich so grauenhaft? Ich habe mir die häufigsten Kritikpunkte angesehen.

#Aufstehen ist keine „Bewegung“, sondern wird von Politikern organisiert.

Na das ist (war) ja nun wirklich kein Geheimnis, dass das Ganze nicht spontan entstanden ist, sondern von Politikern und anderen gegründet wurde, um Menschen, die nicht in Parteien organisiert sind (und das vielleicht auch nicht wollen) eine Möglichkeit zum Mitmachen zu geben. Klar, es wäre schöner gewesen, wenn man sich als Graswurzelbewegung irgendwie selbst aus der Bürgerschaft gegründet hätte, aber da war ja nichts wirklich in Sicht, das in so kurzer Zeit einen nennenswerten Einstand hätte schaffen können. Durch die vielen Interessenten kann man deshalb auch hoffen, dass es tatsächlich eine Bewegung der Bürger wird – auch Retortenkinder sind Kinder und können wachsen. Und überhaupt: #Aufstehen ist immer noch deutlich mehr „Bewegung“ als alle politischen Parteien in Deutschland, die das so gern monieren.

#Aufstehen ist ja nur ein Wahlverein für Wagenknecht und Lafontaine

Ohne respektlos sein zu wollen: Lafontaine ist 75 und die Zeit, in der er noch aktiv Politik machen wird (kann), ist sicherlich übersehbar. Schon jetzt findet man ihn, abseits der Schlagzeilen zu #Aufstehen, kaum noch in den Überschriften der Medien – außer im Saarland vielleicht. Das sieht bei Wagenknecht schon ganz anders aus. Ehrlich gesagt hoffe ich sogar, dass sie innerhalb von #Aufstehen die Gestaltungsfreiheit bekommt, die ihr bei den LINKEN verwehrt wird. Eigentlich ist sie auch keine schlechte Gallionsfigur: Frau, Tochter eines Iraners und einer alleinerziehenden deutschen Mutter, Studium in der DDR verweigert wegen fehlender Linientreue, nach der Wende dann Studium und schließlich Promotion. Da schlagen mehrere Quoten gleich voll durch. Wer da skeptisch ist, kann gerne mal die Biografien Wagenknecht – Merkel vergleichen. Nicht sehr schmeichelhaft für Mutti. Ob aus #Aufstehen mal eine Partei werden soll? Na wenn es gut läuft, warum nicht? Was würde dagegen sprechen, wenn sich eine „Bewegung“ so viel Unterstützung sichern kann, dass sie bei Wahlen eine echte Chance hätte? War das nicht bei den anderen Parteien auch mal so?

#Aufstehen zersplittert die Linken in Deutschland

Gute Frage. Wer genau ist denn im Moment „Links“ in Deutschland? Die SPD oder die Grünen? Oder nur die LINKE? Also was SPD und auch die Grünen angeht, koalieren die doch in den letzten Legislaturperioden eh lieber bevorzugt mit rechts aka CDU/CSU. Dass die SPD und die LINKE seit mehr als einer Dekade sowieso nicht wirklich miteinander reden, ist sicherlich nicht Wagenknechts schuld. Echte Sozialpolitik ist auf jeden Fall weder bei der SPD (trotz langer Regierungsbeteiligung) noch bei den Grünen wirklich zu finden. Was die Linke angeht, finde ich es eher traurig, dass man noch nicht mal innerhalb der Partei auf Mobbing verzichten kann. Zersplittert wäre die Linke in Deutschland ganz sicher auch ohne #Aufstehen. Deshalb ist das Angebot von #Aufstehen auch so richtig: Egal aus welcher Partei ihr kommt: macht mit.

#Aufstehen ist ja cool, aber Wagenknecht ist ja extrem rechts/links/Stasi/Egozentrisch/Alien oder was weiß ich.

Also in den Kopf schauen kann ich keinem, aber zumindest Alien würde ich ausschließen. Was den Rest angeht: Wagenknecht hat in 2016 ein Buch veröffentlicht, dass alle wesentlichen Ideen und Konzepte enthält, die sie gerne umsetzen würde. Ich hab das Buch aufmerksam gelesen und kann nur sagen: Chapeau! Mal was ganz anderes als das Phrasengedresche der anderen Politheinis. Egal wo dann „die anderen“ ihre Ideen zwischen rechts und links so einsortieren, ich bin in den meisten Punkten der gleichen Meinung. Klar, keine Ahnung was passiert, wenn sie wirklich die Macht hätte etwas umzusetzen, aber das Problem haben wir doch immer. Bei den „alten“ Parteien hat sich jedenfalls schon gezeigt, dass zwischen Wahlversprechen, Parteiprogramm, gesundem Menschenverstand und Ethik keinerlei Überschneidung zur realen Politik zu finden sind. Da versuch ich lieber was neues.

Bloß nicht #Aufstehen!?

Das ist für mich das Schrägste an der ganzen Sache. Nicht nur, dass mittlerweile die AntiFa Merkels Positionen verteidigt. Zur Zeit gibt es nur bei 2 Sachen einen echten Konsens im Bundestag: AfD ist Scheiße und #Aufstehen ist Quatsch. Meinen Standpunkt zum Thema Umgang mit der AfD habe ich bereits im letzten Blogbeitrag klar gemacht, aber was ist mit #Aufstehen? Also mich macht das schon mal neugierig, wenn plötzlich solche Einigkeit im Bundestag herrscht. Man könnte meinen, getroffene Hunde bellen. Bei den Parteien im Bundestag geht es zunächst erst mal um Machterhalt und Bewahrung des Status Quo. Vielleicht sollte man die allgemeine Ablehnung der Parteien gegenüber #Aufstehen als Kompliment begreifen? Man merkt in Berlin, dass man mit Floskeln und nix machen langsam keinen mehr blenden kann. Was wenn #Aufstehen wirklich funktioniert? Das wäre ein ganz schöner Gegenwind zur aktuellen Politik der Regierung. Da man #Aufstehen schwerlich als „Nazis“ abstempeln kann – obwohl ich das bei manchen Kommentaren in der Presse durchaus lesen konnte – versucht man es einfach anders: man wertet Wagenknecht ab und redet #Aufstehen klein. Und es funktioniert. Bis jetzt wenigstens.

Mitgliederentwicklung SPD (Wikipedia)

Obwohl es mittlerweile mehr als 100.000 registrierte #Aufsteher gibt, wird das Ganze immer noch als Ego-Veranstaltung Wagenknechts oder destruktiv bezeichnet und scheinbar sind die Deutschen mehrheitlich bereit, das auch zu schlucken. Wenn man sich z.B. die Mitgliederzahlen einer „Volkspartei“ wie der SPD ansieht, stellt man fest, dass mehr als 100.000 Interessierte extrem viel ist. Die SPD hat im Moment noch nicht mal 500.000 Mitglieder, und hat seit Anfang der 2000er Jahre ca. 100.000 Mitglieder verloren. Eigentlich also wirklich eine tolle Basis, um mit #Aufstehen in Deutschland eine Veränderung zu bewirken.

Genau deshalb macht es mich so wütend, dass es noch so viele #Sitzenbleiber statt #Aufsteher gibt. Das ist genau die Chance, die seit Jahren gefehlt hat. Euch gefallen einige Aspekte bei #Aufstehen nicht? Gut, dann macht mit und bringt euch ein. Statt sich sinnlos von der Politik in rechts und links sortieren zu lassen, während Merkel und Co. weiterhin dem ökonomischen Gott des unbegrenzten Wachstums huldigen, den Umweltschutz als Option behandeln und die Lebenswirklichkeit für immer mehr Menschen in Deutschland signifikant verschlechtert, könnte man hier einfach mal #Aufstehen.

Danke für’s Lesen.

Euer Christian

#keinPolitiker

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Bauanleitung für einen Nazi

Normalerweise ist es recht schwierig, eine (fast) ausgestorbene Art wieder in ein bestehendes Biosystem einzugliedern. Es gab ja gute Gründe, warum die Art ehemals am Aussterben war, und der heutige Lebensraum enthält immer weniger Nischen, in denen „seltene“ Arten gedeihen können.

Wieso haben es also die Nazis geschafft, sich innerhalb weniger Jahre nicht nur deutlich zu vermehren, sondern jetzt auch munter dabei sind, ihre Nische zu verlassen und in manchen Gegenden sogar zur dominierenden Art zu werden? Wieso gibt es auf einmal so viele davon? Ich glaube, weil es so einfach ist, welche zu bauen.

Gehen wir das Ganze akademisch an, und überlegen, wie man am besten eine Nazipopulation aufbauen würde. Es gab ja nach dem Krieg erst mal gar keine mehr – die meisten behaupteten sogar, es habe nie welche gegeben. Scheinbar entwickelten einige Exemplare ein perfektes Mimikry und tarnten sich, um in der breiten Masse zu verschwinden. Auf diese Weise konnte sich eine Restpopulation erhalten, die jedoch sehr darauf bedacht war, unerkannt zu bleiben. Man kann zwar drüber streiten, aber nehmen wir einmal an, dass es auch bei den restlichen Nazis eine IQ-Normalverteilung nach der Gaußschen Glockenkurve gab. Es waren also so ca. 2 – 15% schlaue Köpfe (je nachdem, wie man das definiert) dabei. Trotzdem waberten die Nazis eher im Untergrund und diejenigen, die man so sehen konnte, waren offensichtlich nicht Teil der geistigen Elite.

Dann gab es erstmal Wirtschaftsaufschwung (im Westen) und sozialistisches Paradies (im Osten) und bis zum Fall der Mauer waren Nazis eher so ein Schmeißfliegenproblem.

Aber dann ging es los. Als Anfang 1990 die Mauer fiel, war erst mal Goldgräbern angesagt. Es war sozusagen ein Großexperiment mit einem (bzw. zwei) Ländern. Den Menschen im Osten wurden blühende Landschaften versprochen, die im Gegenzug dann auch brav den Versprecher wählten.  Einige schafften den Schnellkurs in Kapitalismus, für viele – wenn nicht die meisten – wurde es aber schnell eng. Diverse VEBs, einst sichere Arbeitsplätze, wurden geschlossen. Alles was irgendwie Wert hatte, schnell verscherbelt und viele Top-Manager aus dem Osten gab es auch nicht. Dafür schaffte es Eine aus dem Osten einige Jahre später ganz an die Spitze, das war es dann aber auch schon fast. Denn noch bevor man sich über tolle renovierte Fassaden und Glasfaserkabel in Leipzig und Co so richtig freuen konnte, kam die Wirtschaftskrise angekrochen. Die erwischte dann auch ganz Deutschland und wir erlebten viele Segnungen der modernen Sozialdemokratie wie Hartz IV, geringfügige Beschäftigungen, (Hunger-) Mindestlohn, weitere Rüstungsexporte, Bankenrettung, etc. Das wäre einen eigenen Blogbeitrag wert, aber das ist ja heute nicht das Thema. Zurück blieb eine Bevölkerung, die im Wesentlichen eins gelernt hatte: die fetten Jahre sind vorbei. Es ging nicht mehr um Wachstum oder Absicherung des Wohlstands. Es ging für die meisten eher darum, möglichst nicht abzurutschen. Und um die Stimmung endgültig zu killen, konnte man gleichzeitig einen beispiellosen Zugewinn bei einzelnen Privatvermögen erkennen. Weil man „den Aktionären“ verpflichtet war, entließ man halt Arbeiter, und die Dividende landete dann bei einer Handvoll Menschen. Dazu gesellte sich das unbestimmte Gefühl, dass man von der Politik prinzipiell verarscht wird. Kaum ein Versprechen wird gehalten, es geht nur noch um den Machterhalt und Probleme wurden schon lange nicht mehr gelöst. Damit waren die wichtigsten Bauteile für einen Nazi schon vorhanden: Angst, im eigenen Leben erhebliche Abstriche – wenn nicht Abstürze – hinnehmen zu müssen und das fehlende Vertrauen in die Menschen, die das Land eigentlich lenken sollten.

Das führte auch dazu, dass es plötzlich Parteien gab, die erkannt hatten, dass es eine große Menge unzufriedener Menschen in Deutschland gab. Am Anfang ungeschickt und schnell als rechte Eingreiftruppe erkennbar, folgte eine Professionalisierung. Klar, so aalglatt, wie die anderen Parteien ist die AfD (noch) nicht, aber das wird schon noch. Es reichte schon, dass man bei der AfD berechtigte Fragen stellte. Keiner merkte, dass die Antworten der AfD darauf scheiße waren. Es war auch egal, denn man wurde als besorgter Bürger endlich einmal gehört. Das gab genug Endorphine, dass man über die Folgen der vorgeschlagenen Antwort gar nicht erst groß nachdachte.

Bis hierhin war die Lage zwar brenzlig, aber beherrschbar. Eine funktionierende Gesellschaft kann ohne weiteres 5% AfD aushalten. Doch dann begann die Entrüstungskampagne, quasi zeitgleich mit dem Flüchtlingsstrom. Das sieht man in der Biologie übrigens häufig, dass Änderungen im Ökosystem plötzlich Nischenarten ins Rampenlicht und an den Anfang der Nahrungskette katapultieren. Wie war das bei uns?

Wenn man mit den Leistungen der Regierung nicht zufrieden war und ähnliche Fragen stellte wie die AfD, wurde man sofort eingemeindet. Dabei hat die Politik wesentlich beigetragen. Jedes Mal, wenn die AfD zu Wort kam, gab es Entrüstung. Alle, die nicht explizit gegen die AfD und deren Fragen waren, wurden zur AfD gerechnet. Ich denke, in der Zeit haben bei der AfD häufig die Sektkorken geknallt. Sie bekamen quasi Sympathisanten zwangsweise zugeteilt. Das führte dazu, dass zwei ziemlich simple und gut erforschte psychologische Effekte anliefen. Da ja immer mehr Menschen plötzlich – wegen ihrer Fragen und Kritik – Nazis bzw. AfD waren, fand man sich in einer immer größer werdenden Gemeinschaft wieder. Dies bewirkte einen „social Proof“, wie es im Marketing so schön heißt. Im Deutschen würde man es „soziale Bewährtheit“ nennen. Es ist eins der mächtigsten Instrumente, wenn man Menschen etwas andrehen will. Deswegen ist ja immer auch ein Fußballstar auf unserem Waschmittel usw. Wenn wir es genauso machen, wie die Leitperson oder eine große Menge anderer, sind wir bei unseren Entscheidungen sicherer. Wenn ich jetzt also irgendwo wohne, vielleicht in Chemnitz, und rund um mich rum werden meine Nachbarn alle Nazi genannt, obwohl die ja eigentlich ganz vernünftige Fragen stellen, habe ich gute Chancen mich davon anstecken zu lassen. Besonders, wenn mir die gleichen Probleme auf den Nägeln brennen. Der zweite Effekt war der „In Group / Outgroup“ Effekt. Auch er ist von enormer Stärke und beeinflusst sogar unbewusst Menschen, die sich eigentlich für schlau halten. Kurz gesagt bedeutet er, wenn ich mit meiner Gruppe auf eine andere (feindliche) Gruppe treffe, verstärkt sich automatisch der Zusammenhalt, man wird unkritischer gegen die eigenen Entscheidungen und lässt gerne mal den Zweck die Mittel heiligen. Nichts lässt eine Gruppe mehr zusammen rücken als das Auftauchen eines Gegners. Läßt sich wunderbar bei den vielen Demos und Gegendemos beobachten. Keine Seite hält sich noch an die Ideale, die man eigentlich vertreten wollte. Hauptsache man hat keinen Fußbreit nachgelassen. Glückliches Schulterklopfen auf beiden Seiten. Lustigerweise könnten auch beide Parteien einfach auf die Regierung sauer sein. Das wär dann vielleicht tatsächlich produktiv.

Als Katalysator in diesen Prozessen eignete sich die Flüchtlingskrise hervorragend. Klar, wir hätten in Deutschland (und weltweit) andere Probleme, die deutlich dringender sind, aber keins, dass sich so schön verbocken lässt. Unglücklicherweise sind dabei die Medien in einer Art Sippenhaft gelandet, aber das ist wohl die Konsequenz, wenn man als meistgekaufte Zeitung im Land eben keinen Qualitätsjournalismus hat und einfach vorne drauf druckt, was die höchste Auflage verspricht.

Was passierte z.B. in Chemnitz zum Thema Flüchtlinge im Jahr 2015? Ziemlich viel. Es gab in ganz Sachsen nämlich nur eine Erstaufnahmeeinrichtung. Diese Einrichtung nahm dann 70.000 Flüchtlinge auf. Wohlgemerkt bei einer Einwohnerzahl von ca. 246.000. Man könnte auch sagen, in dieser Zeit waren fast 30% der Bewohner Flüchtlinge. Mal so zum Vergleich: Mainz hat so ungefähr die gleiche Einwohnerzahl wie Chemnitz. Was wäre hier wohl passiert?

In der gleichen Zeit wurde in Sachsen erheblich am Personalbestand der Polizei eingespart. Nicht nur, dass die Stellen der erfahrenen Pensionäre nicht mehr aufgefüllt wurden, es gab auch für die jungen kaum bzw. keine Weiterbildung und – ganz wichtig – politische Bildungskurse. Dazu kommt, dass man dauernd nur aus den (Kriminalitäts-)Statistiken das vorliest, was einem in den Kram passt und unbequeme Inhalte einfach verschweigt. Ganz verheerend besonders bei Menschen, die es gewohnt sind, sich mit den Hintergründen einer Nachricht zu beschäftigen. So vergrault man die gut Informierten und Engagierten zuerst.

Man sieht, die Hauptzutaten sind schnell ausgemacht. Man bringt eine Bevölkerung dazu, sich vor der eigenen Zukunft zu fürchten, lässt sie erleben, wie sich Zukunfts- u. Lebenspläne in Luft auflösen, zerstört die (eigene) Glaubwürdigkeit als Politiker und setzt das Ganze dann unter Dampf, indem man noch eine Überlast an Integrationsbedarf abwirft, ohne die Region darauf vorzubereiten bzw. zu unterstützen. Damit es nicht nur ein Strohfeuer bleibt, bringt man mit einer Konkurrenzgruppe noch genügend Potential zum Abarbeiten an den Start…. und schon bauen sich weitere Nazis ganz von selbst. Schade das man die Geschäftsidee nicht zu Geld machen kann. Ein echter Selbstläufer.

Bevor mir jetzt jemand den Aluhut schickt: Ich glaube nicht, dass es eine Verschwörung ist, von dunklen Gestalten in dunklen Hinterzimmern ausgedacht. Ich glaube vielmehr, das ist das Resultat, wenn man genügend unfähigen Menschen zu viel Macht gibt. Es entwickelt einfach eine Eigendynamik.

Was ist die Moral von der Geschichte? Wenn ihr wollt, dass es weniger Nazis gibt, müsst ihr dafür sorgen, dass die wichtigsten Baumaterialien dafür fehlen. Die bestehenden Nazis anzuschreien, wird gar nichts ändern. Wie man sieht, wird die Zahl derer, die wir an den rechten Rand verloren haben eher größer statt kleiner. Trotz (oder wegen) totaler Ausgrenzung. Die Menschen, die mit Hitlergruß und „Töten“-Rufen durch die Stadt ziehen, wird man kaum noch erreichen können. Die Ganzen, die stumm mitlaufen, schon. Vielleicht wäre es wirkungsvoller, wenn man auf der „Gegenseite“ nicht schreiend und laut ausgrenzen würde. Wie wäre es mit einer komplett stillen Mahnwache und einem Plakat: „Kommt zurück. Wir brauchen Euch“? So ist es nämlich. Wir brauchen jede Stimme, wenn wir eine Regierungsbeteiligung der AfD verhindern wollen. Und noch viel mehr Stimmen, wenn wir endlich einmal eine Regierung haben wollen, die sich auch um die Menschen statt um Mehrheiten kümmert.

Danke für’s Lesen. Seid lieb!

Euer Christian

#keinPolitiker

 

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Dann nennt mich halt Nazi….

Die Nazis von 1933 würden sich wahrscheinlich im Grab umdrehen, wenn sie hören würden, wer heutzutage alles Nazi genannt wird. Damals, also 1933, musste man (sich) schon einiges leisten, um wirklich als Nazi akzeptiert zu werden. Bei Juden Scheiben einwerfen, Behinderte anzeigen und deportieren, Kinder und Jugendliche zu Soldaten „heranformen“. Gauleiter wurde man nicht einfach so! Heute, so scheint es mir häufig, gibt es ja überall Nazis – quasi. Es reicht allerdings schon, wenn man nicht in der Karenzzeit von 30 Sekunden empört und unter Protest aufspringt, wenn jemand den Raum betritt, der in seiner Facebook-Freundesliste einen hat, der einen kennt, der wahrscheinlich AfD wählt. Harte Zeiten, kein Nazi zu sein. Die sind ja plötzlich überall.

Das Thema würde sich so gut für Satire eignen, wenn es nicht so traurig real wäre. Das „gute“ Deutschland steht geschlossen gegen Rechts – nur dass scheinbar bei einigen der Kompass kaputt ist. Da wird gegen Faschismus demonstriert und im gleichen Atemzug politisch anders Denkenden das Demonstrationsrecht abgesprochen. Da ist man gegen Gewalt, verhaut aber ganz gerne mal Menschen, die die „falsche“ Parteiflagge tragen. Insgesamt scheinen die demokratischen Ideale im Moment eher eine Frage der Windrichtung. Ich konnte es gar nicht glauben, als mir bei einer Demo in Mainz erklärt wurde, es gäbe kein Recht auf Nazipropaganda. Leider falsch! Gibt es sehr wohl in einer Demokratie. Solange das nicht im Widerspruch zu den gültigen Gesetzen steht, darf jeder beliebig Dummheiten von sich geben. Auch wenn mir das nicht passt. Wobei… bei „Kein Recht auf Dummheit“ – egal von welcher Himmelsrichtung – wäre ich sofort dabei. Faschismus beginnt genau da, wo ich mir Sonderrechte einräume, weil ich ja „der Gute“ bin.

Wir buhen, pfeifen und grenzen aus, was das Zeug hält, wenn die AfD & Co. irgendwo erscheint. Im Bundestag sind sich die Parteien nur bei 2 Punkten einig: bei Diätenerhöhungen und dass die AfD Scheiße ist. Ich verstehe schon, dass man das Bedürfnis hat, gegen Rassismus und Fremdenhass etwas zu unternehmen. Allerdings sollte man von Zeit zu Zeit auch mal schauen, ob das bisherige Verhalten den gewünschten Effekt hatte. Was haben wir denn bisher erreicht, sagen wir in den letzten 3 – 4 Jahren? Konnten wir „die Bösen“ zurück drängen? Gibt es jetzt weniger fremdenfeindliche Parolen? Haben wir die Ursachen dafür wirkungsvoll bekämpft? Pustekuchen! Es wurde eher schlimmer als besser und ich darf gar nicht daran denken, wie die nächste Wahl wohl ausgeht.

Kein Mensch wird als Nazi geboren – nicht mal in Sachsen. Ich glaube auch, dass 95% der Menschen, die AfD wählen, weit davon entfernt sind, wirklich Nazi zu sein. Es mag nicht schlau sein, aber sie wählen die AfD aus Angst – nicht aus Hass. Und genau deshalb, machen wir es immer schlimmer und werden den Zulauf der rechten Parteien nicht mindern können. Statt diesen Menschen ihre Angst um Zukunft, wirtschaftlichen und sozialen Abstieg oder Sicherheit zu nehmen, kesseln wir sie lieber bei Demos ein, hetzen bei jeder Gelegenheit über sie und machen deutlich, dass sie „nicht zu Deutschland“ gehören. Jetzt mal ehrlich – das soll funktionieren? Zurückdrängen der Rechten durch Ausgrenzung? Lief ja die letzten Jahre super.

Wenn wir wollen, dass es weniger Rechte gibt, sind – so glaube ich – 2 Dinge elementar: Wir müssen wieder ehrlich sein und wir müssen diesen Menschen die Angst nehmen. Zum Glück – oder Unglück – sind diese beiden Punkte eng miteinander verknüpft.

Was meine ich mit „ehrlich sein“? Keine Sau glaubt noch einem Politiker. Wir werden permanent mit lustigen Statistiken berieselt, dass alles gut ist. Wer genauer hinsieht, stellt schnell fest, dass hier gerne mal Details ausgelassen werden. Mein Lieblingsbeispiel ist das Thema Kriminalität bei Zuwanderern bzw. Asylanten. Offiziell hören wir etwas über einen insgesamt gesunkenen Level an Kriminalität. Wer sich aber die Mühe macht, findet in den Zahlen tatsächlich Besonderheiten, die auf Zuwanderung und Asylrecht zurück gehen. Es ist also durchaus berechtigt, sich Gedanken zu machen, inwiefern Asylsuchende die Sicherheit der Bürger beeinflussen. Deswegen ist man noch lange kein Nazi. Außerdem ist es für einen normalen Bürger kaum einsehbar, warum er bei jeder kleinen Ordnungswidrigkeit sofort – bis zur Durchsetzung von Ordnungshaft – vom Staat zur Rechenschaft gezogen wird, während man andererseits einfach Regeln und Gesetze außer Kraft setzt oder Jahre braucht, um einen Kriminellen wieder abzuschieben – falls das überhaupt möglich ist. Mir ist klar, dass es für die langen Verfahren gute Gründe gibt, die nun mal in der Natur eines Rechtsstaats (Widerspruchsrecht) liegen, aber das hilft den meisten Menschen in ihren jeweiligen Lebensumständen überhaupt nicht.

Insgesamt scheint die Frage des Asyls der Prüfstein unserer Gesellschaft zu sein. Ich wollte es wäre anders, denn es gibt kaum eine schwierigere Frage. Auch hier, denke ich, sollten wir zuerst ehrlich mit uns selbst sein. Das wir in Deutschland geboren sind und nicht in Mali, ist Zufall. Wir waren wahrscheinlich nur wenig am deutschen Wirtschaftswunder beteiligt und kaufen gerne Waren, die billig aus dritte Welt Ländern eingeführt werden oder von deren Arbeitskräften erzeugt wurden. Wir haben in den letzten 50 Jahren wahrscheinlich nicht effizient gegen Krieg in aller Welt gekämpft und arbeiten gerne in einem Betrieb, der u.U. von der EU Wirtschaftspolitik, die dritte Welt -Staaten ausbeutet, profitiert. All das ist so, aber falls wir nicht gerade zu den paar hundert Politikern oder Industriellen mit echter Macht gehören, haben wir wenig Möglichkeiten daran etwas zu ändern. Der ethische Imperativ sagt uns ganz klar: unser Leben ist nicht mehr wert, als der des 15-jährigen Jungen aus der Sahelzone, der sich auf den Weg nach Europa macht. Insofern gibt es keine „moralische“ Rechtfertigung, Menschen den Zugang zu unserem Land zu verweigern. Jedes Leben zählt gleich und deswegen kann „Asyl“ – als lebensrettende Maßnahme – eigentlich keine Obergrenze haben. Eine Grenze wäre sowieso aus dieser Sicht paradox. Wenn ich z.B. 100 Leben rette, wieso dann nicht 101? Es gibt schlicht keine Zahl, ab der unser System einfach kollabiert. Es ist ein schleichender Prozess.

 

Von Gottlieb Doebler – http://www.philosovieth.de/kant-bilder/bilddaten.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32847847

Ich bezweifle das Kant mit seinem kategorischen Imperativ das wirklich hätte leben können, wenn er denn mal aus Königsberg und seinem Elfenbeinturm herausgekommen wäre. Ich gestehe, ich könnte das nicht. Auch wenn mir klar ist, dass alles Leben gleich viel wert ist, werde ich das Leben der Menschen, die ich liebe, immer höher schätzen als das von Fremden. Möglicherweise macht mich das zu einem kaltherzigen Nazi, aber so ist es. Ich bin bereit, unmoralische Dinge zu tun (bis zu einem gewissen Punkt), wenn ich damit meine Kinder, Frau, Familie oder Freunde schützen kann. Selbst wenn es um die Abwehr zukünftiger Gefahren – die vielleicht nie real werden – geht. An alle, die jetzt erschüttert den Kopf schütteln: Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ihr in einer konkreten Situation auch so handelt. In der Psychologie spricht man dabei von In-Group und Out-Group Effekten – die in unserem sozialen Gehirn fest verdrahtet sind. Wir werden immer im Interesse unserer Sippe handeln, wenn es eng wird. Trotzdem sind wir Menschen zu größtem Mitgefühl fähig und unser Gehirn ist nur deshalb so leistungsfähig, weil es ein Organ zum Leben in sozialen und teilweise altruistischen Systemen ist.

Wie passt das mit unseren Nazis zusammen? Die Konstellation ist einfach zu verstehen. Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa kommen, sind die Out-Group, die mit den Einheimischen um Ressourcen konkurrieren. Das erzeugt Angst, noch bevor sich Mitgefühl einstellen kann. Dabei wäre Mitgefühl eine unserer großen Stärken. Keine andere Tierart verfügt über derart ausgeprägtes Mitgefühl. Wie könnte man das nutzen?

Zunächst: Mitgefühl entsteht bei Menschen immer nur in einem Kontext von Gerechtigkeit und Wertschätzung. Jemand, der sich ungerecht gegenüber anderen verhält, oder das Mitgefühl nicht schätzt, verliert schnell die Unterstützung seiner In-Group. Es ist für uns wichtig, dass der Mensch, mit dem wir fühlen, es auch verdient. Dabei gibt es auch eine Art biologisch einprogrammierte Prioritätenkette von schwach nach stark. Deswegen schwillt vielen der Hals, wenn auf den Rettungsboten im Mittelmeer nur Männer zwischen 18 und 25 sitzen. Unsere „Frauen und Kinder zuerst“-Regel im Kopf ist schon seit den Anfängen der Evolution trainiert und lässt sich von Quotenregelung und Gleichberechtigungsbemühungen nur wenig beeindrucken. Sie ist nicht nur biologisch sinnvoll (Erhaltung der Art), sondern auch moralisch einwandfrei – der Starke hilft dem Schwachen. Es ist kein Geheimnis, dass diejenigen, die es bis ins Mittelmeer schaffen, zwar unmenschlich leiden, aber immer noch die „starken“ sind, gegenüber denjenigen – oft eben Frauen, Kinder, Alte – die auf dem Weg ans Meer weder die Kraft noch das Geld hatten. Die ganz Schwachen fischen wir nicht aus dem Meer. Wir lassen sie in den Krisengebieten sterben.

Von Frank C. Müller, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47487290

Ich will nicht, dass jemand im Mittelmeer auf der Flucht ertrinkt und das Bild des kleinen Alan Kurdi werde ich sicher nie wieder vergessen können. Die Frage ist, machen wir es besser, wenn wir diese Menschen dann nach Europa bringen oder sollten wir sie wieder an die Küste Afrikas zurück bringen? Ich befürchte, auf diese Frage gibt es keine Antwort mit der ich leben könnte. Ich bin eher dafür, das der Westen die Fluchtrouten organisiert, und zwar mit Startpunkt in den jeweiligen Krisengebieten und einer Auswahl vor Ort. Keine gefährliche Reise, kein Geld an Schleuser, kein Ertrinken, keine Zwangsprostitution und keine Kriminalität, weil man sich an die Spitze der Nahrungskette beißen will. Wir suchen nach humanitären Gesichtspunkten aus! Kinder, Frauen, Alte… Es dürfte nicht schwierig sein, sich auf ein Regelwerk zu einigen, dass für den Westen funktioniert. Dann bringen wir die Asylsuchenden in unser Land. Daneben würde keine weitere Einreise mehr geduldet.

Es bliebe natürlich noch die Frage der Zahl. Wie viel verträgt unsere Gesellschaft? 10.000, 100.000, 1.000.000 oder vielleicht Alle, die kommen wollen? Wie kann man es schaffen, dass die Menschen ihr Herz bis an die absolute Grenze dessen, was machbar ist, öffnen können, ohne Angst zu bekommen? Vielleicht würde es helfen, wenn man aufhört, nach nur einer Zahl zu suchen. Deutschland besteht aus einer großen Anzahl von Städten und Gemeinden. Alle ähnlich, und doch immer anders. Jede Zahl, die die Bundesregierung festlegt, wird von den Bürgern als „von oben beschlossen“ empfunden – gleichsam von einer anderen Out-Group festgelegt. Was wäre, wenn nicht Deutschland eine Quote für Asylsuchende festlegt, sondern jedes Dorf und jeder Stadtteil selbst? Was glaubt ihr? Stimmt die Bevölkerung eher für eine abstrakte (hohe) Zahl für die Bundesrepublik oder lieber für die Anzahl der Asylanten in der direkten Nachbarschaft? Was würde passieren, wenn man regelmäßig im Gemeindeblatt lesen würde, „Hallo, wir haben 3 allein erziehende Mütter, 4 Familien und einen Rentner, der in Deutschland Asyl sucht. Haben wir Platz (und ein Herz) für diese Menschen?“ Ich glaube, dass es auf diese Art viel mehr Platz für Asylsuchende gäbe. Am Ende wäre die Gesamtzahl wahrscheinlich viel höher als alles, was politisch als Obergrenze durchzusetzen wäre. Es ist schlicht einfacher, eine Entscheidung für das eigene soziale Umfeld zu treffen, als mit Direktiven von oben zu leben. Außerdem würde man auf diese Weise die „Out-Group“ zur „In-Group“ machen. Viel weniger Angst wäre die Folge. Wenn wir es dann noch schaffen, in Politik und Gesellschaft wieder ehrlicher zueinander und mit uns selbst zu sein, Menschen nicht einfach als Nazi abstempeln, sondern deren Ängste anzuerkennen und (hoffentlich) auch zu nehmen, könnte es wirklich funktionieren mit Deutschland.

Klar, das wäre logistisch, organisatorisch und politisch eine riesen Anstrengung – aber es wäre es wert. Wir hätten wieder Frieden. Dafür lass ich mich sogar Nazi nennen….

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Meine Deutschland Charts

Eins meiner liebsten Mottos ist „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten“. Es ist eins der wenigen, die man quasi universell anwenden kann und die die Situation meistens verbessern.

Für einen Bürger in der Politik ist das meistens nicht ganz so einfach. Die „offiziellen“ Stellen werden hier immer einen Wissensvorsprung haben, wenn auch häufig einen gleichzeitigen Mangel an gesunden Menschenverstand. Ich rede jetzt ausnahmsweise mal nicht vom Thema Giftgas (Syrien, Skripal), bei dem erst Reaktionen folgen und dann die Analyse.

Auch bei normalen Bundestagsentscheidungen kommen die meisten Vorlagen aus langen Beratungsausschüssen, bei denen – mehr oder weniger – gute Experten alles gesichtet haben und Vorschläge gemacht haben. In einigen Fällen gibt es relativ gut informierte Bürgerinitiativen oder eben auch private Spezialisten, die in den Medien einen Standpunkt verteilen. So „gut“ und umfangreich wie die Lobbyverbände, die die Interessen der Industrie vertreten, sind die alternativen Aktivisten aber selten.

Heißt das jetzt, dass man als Bürger sehr zurückhaltend die Handlungen oder Pläne der Regierung bewerten sollte? Quasi als gut gemeinte Form eines modernen Paternalismus und brav drauf vertrauen, dass der Bundestag in Berlin schon das Richtige macht? Wohl eher nicht! Viele, wenn nicht die meisten Entscheidungen in Berlin sind eher von politischen Motiven als von Sachfragen getrieben. Nicht? Wir glauben also, dass bei der Debatte um Asyl nur Fakten zählen und nicht, wer die Volksmeinung hinter sich bringen kann? Genau. Außerdem kann man ja offensichtlich auch ohne besondere Fachqualifikation Minister werden. Ich erspare uns die Beispiele.

Was Bürger (besser) können, ist meistens nicht die detaillierte Klärung aller Fachfragen, sondern die Anwendung auf gesunden Menschenverstand – jenseits aller Netzwerke und Lobbys – auf grundsätzliche Fragen.

Stellt sich die Frage, was man persönlich für die wichtigen Fragen hält, zu denen man eine Meinung haben sollte. Immer gern genommen sind ja 3-, 5-, 9- oder 12-Punkte-Pläne, mit denen die neuen Minister oder Regierungen dann immer auflaufen. So quasi ein Telegramm mit allen wichtigen Inhalten – liest sich Rückblickend meistens wie einen Not-to-Do-Liste.

Wie würde meine persönliche Liste denn aussehen? Hier meine persönlichen Politik-Charts – geordnet nach Wichtigkeit:

  1. Gesundheitswesen
    Gesundheit gehört nicht in private Hand. Rückkehr zum Solidarprinzip. Alle zahlen ein. Das Geld bleibt im System bzw. in der Gesellschaft. Von den ca. 2.000 Krankenhäusern in Deutschland sind rund 700 ausschließlich kommerzielle Unternehmen, der Rest versucht auch irgendwie Geld reinzuholen. Der größte private Anbieter, die HELIOS Gruppe, hatte mal eben so ca. 550.000.000 (550 Millionen€) Gewinn, während die Personalschlüssel auf den Stationen immer dünner werden. Über Gehälter reden wir gar nicht. Ich will hier in Deutschland alt werden und auch mal krank sein können, ohne die Furcht, irgendwo im Gang vergessen zu werden.
  2. Steuersystem
    Wer in Deutschland Geld verdient, zahlt auch hier Steuern – gilt besonders für internationale Konzerne. Ende mit Steuersparmodellen. Weiterhin Einführung einer Vermögens- und Erbschaftsteuer für sehr große Vermögen. Geringere Steuer auf produzierende Arbeit und höhere auf Finanzdienstleistungen. Ehegattensplitting weg, hin zu einer Besteuerung, die Familien mit Kindern mehr Freiräume schafft. Keine Besteuerung von Renten.
  3. Bezahlung
    Mindestlohn wird erhöht – auch um das Lohnabstandgebot zu Sozialleistungen ins Gleichgewicht zu bringen. Enge Grenzen für prekäre Beschäftigungen. In öffentlichen Einrichtungen werden die Tarifverträge an gesellschaftliche Wichtigkeit gekoppelt. Mehr Geld bekommt nicht der, der am längsten in einem Amt Akten dreht, sondern der, der die meisten Patienten umbettet, Alten pflegt, oder Kinder erzieht. Der Staat geht voran in der finanziellen Kompensation bei gesellschaftlichen wichtigen Funktionen.
  4. Renten, Hartz IV und Sozialleistungen
    Trennung von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und (Erwerbsminderungs-)Renten. Die Unterstützung orientiert sich an Lebensleistung und/oder Gesundheitszustand. Wer mit 23 aufgrund eines unverschuldeten Unfalls Frührentner wird, wird von der Gesellschaft genauso aufgefangen, wie ein Mensch der nach 40 Berufsjahren arbeitslos wird. Wer nie gearbeitet hat, bekommt Unterstützung, aber eben auf einem völlig anderen Niveau. Kinder werden nicht für die Arbeitslosigkeit der Eltern bestraft. Sozialhilfesätze müssen fair sein. Grundsicherung kann nur in extremen Fällen von Verweigerung verwehrt werden – was der absolute Sonderfall sein sollte. Mittel- u. langfristig Systemwechsel hin zum bedingungslosen Grundeinkommen bei entsprechender Umschichtung der Sozialleistungen.
  5. Kernfunktionen des Staates
    Die Ressourcen von Polizei und Justiz sind so zu gestalten, dass eine zeitnahe und effektive Einhaltung bzw. Umsetzung der Gesetze gewährleistet ist. Damit ist kein Polizeistaat gemeint, sondern dass z.B. Polizisten nicht hunderte Überstunden vor sich her schieben und es eine Stunde dauert, bis mal jemand auftaucht bzw. Monate bevor eine Straftat verhandelt wird. Keine neuen Gesetze – aber konsequente Anwendung.
  6. Direkte Demokratie / Parlamentsreform
    Einführung von Volksentscheiden und Verkleinerung des Parlaments sowie Reduzierung der Stabsfunktionen.
  7. Bildungspolitik
    Bildung ist frei und originäre Aufgabe des Staates. Keine Studiengebühren und Bekämpfung der Undurchlässigkeit des Deutschen Bildungssystems. Soziale Herkunft darf kein Zugangshindernis für Bildung sein. Aufwertung der handwerklichen Abschlüsse. Deutschland verfügt über fast keine Rohstoffe – außer Gehirnzellen. Auf diesen Rohstoff müssen wir setzen.
  8. Außenpolitik
    Humanität als Leitbild. Bekämpfung der Fluchtursachen als oberste Priorität – sowohl in Kriegsgebieten als auch in Hunger- oder Armutszonen. Beschränkung von subventionierten Exporten an Entwicklungsländer. Schuldenerlass für dritte Welt Staaten. Versuch eines europäischen Verteidigungsbündnisses – alternativ zur NATO. Ende der Expansionspolitik der EU solange keine vernünftige Konsolidierung der Mitgliedstatten eingetreten ist. Kritische Überprüfung der ursprünglichen Ziele und erreichten Leistungen der EU. KEINE (absolut keine!) Waffenexporte in Krisenregionen. Einführung einer Haftung für den Endverbleib von Waffenexporten.
  9. Gleichstellung / Familienrecht
    Konsequente Gleichstellung beider Geschlechter im Familienrecht – auch in der tatsächlichen Rechtsprechung. Abkehr von „einer betreut“ – „einer bezahlt“ Prinzip. Echte Gleichberechtigung wird nur zu erreichen sein, wenn wir damit auch möglichst früh in den Familien beginnen und entsprechende Strukturen schaffen. Das konservative Familienbild der 70er – 80er Jahre wird nicht länger die Messlatte für die Handlungen des Staates. Erziehungsaufgaben sind von hoher gesellschaftlicher Wichtigkeit und sollten deswegen vom Staat gegenüber den Forderungen der Wirtschaft geschützt werden. Jeder (Mann oder Frau), der sein Kind selbst erziehen will, kann zu Hause bleiben und erhält einen entsprechende finanzielle Absicherung – deutlich über Grundsicherung.
  10. Ein- u. Zuwanderung
    Etablierung einer klaren Einwanderungspolitik nach „Green-Card“ Modell (qualifizierte, geeignete Bewerber und Quote) in Deutschland. Vorübergehende (hier wirklich so viele wie möglich – aber ohne den inneren Frieden zu gefährden) Obergrenze beim Asyl – nur solange, bis entsprechende Integrationskonzepte geschaffen sind. Asyl nicht nach „wer es bis hierher (EU Außengrenze) schafft“, sondern Auswahl der Asylberechtigten möglichst nahe am Krisenherd nach Bedürftigkeit (z.B. Kinder, alleinstehende Mütter usw. zu erst.) Keine Deals mit Türkei und Co. Wir kaufen uns nicht aus unserer humanitären Verpflichtung frei. Bessere Integrationskonzepte für Asylsuchende – insbesondere bessere Verteilung. Recht auf Asyl kann verwirkt werden – nur bei schweren Straftaten.

Klar, jetzt werden viele sagen: Und wie will er das alles finanzieren? Ich hab jetzt gerade mal kein Excel-Spreadsheet mit den Kalkulationen angehängt ;-). Spaß beiseite: Ich bin sicher, dass sich eine Lösung finden lässt. Wir konnten ja auch – alternativlos und quasi über Nacht – etliche Milliarden für Banken- u. EU-Rettung finden. Dann klappt das bestimmt auch für Deutschland.

So… das wäre mein 10. Punkte Plan. Mit der aktuellen Bundesregierung hab ich wahrscheinlich nur die jeweiligen Titel und die Anzahl der Punkte gemeinsam. Wie sieht das mit euch aus? Was sind eure Top 10? Schreibt doch mal!

Danke für’s lesen.

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

 

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Real existierende Demokratie

Vielleicht geht es nur mir so, aber der aktuelle politische Diskurs verwirrt mich total. Das waren noch Zeiten, als man mit einer kurzen Richtungsangabe (links oder rechts) relativ eindeutig klar machen konnte, wo man politisch stand. In meinen jungen Jahren war „Links“ eben SPD und „Rechts“ eben der Rest – mehr oder weniger. Mittlerweile ist das Ganze nicht mehr so einfach. In den letzten Monaten bin ich wegen gleicher Kommentare jeweils gleichzeitig von „Linken“ als „Rechts“ bezeichnet worden und vice Versa. Nachdem ich jetzt sowohl von der „Merkel muss weg“-Demo als auch von den Gegendemo eingeladen wurde, gehe ich davon aus, dass ich irgendwo in der Mitte stehe. Genau da, wollte ich eigentlich überhaupt nicht landen (siehe mein Facebook Post vom März).

Leider – oder vielleicht zum Glück  – war ich am Tag der Demo an der Ostsee und konnte bei Meeresrauschen in Ruhe nachdenken. Mittlerweile haben mich aber einige Videos und Postings zu dem Event erreicht. Ich kann nur sagen: Echt jetzt? WTF ist mit euch los?

Ich kenne keinen der Organisatoren – soweit ich das beurteilen kann – persönlich. Ich habe aber die Einladung des Events auf Facebook interessiert gelesen. Mit dem Slogan „Merkel muss weg“ kann ich mich in jedem Fall identifizieren, auch wenn die Liste der Politiker, die ich in den Ruhestand wünsche, sicher deutlich länger ist. Es wurde aber auch folgendes gepostet:

— Aus der Einladung zur Merkel muss weg – Demo —

Bitte Folgendes beachten:

1) Wir demonstrieren friedlich, von uns geht keinerlei Gewalt aus

2) Um unser Tun ernst zu nehmen, ist der Konsum von Alkohol während der gesamten Demo untersagt. Stark alkoholisierte Personen werden vom Ort der Kundgebung durch unser Sicherheitspersonal entfernt

3) Nicht erlaubt:
  - Parteilogos oder Logos irgendwelcher Organisationen
  - Aufrufe zur Gewalt
  - Dinge, die an die Zeit von 1933-1945 anknüpfen.
  - Alkohol
  - gefährliche Gegenstände (Waffen, Anscheinswaffen, Messer etc)
  - Vermummung

3) Den Anweisungen unserer Ordner ist jederzeit Folge zu leisten

4) Für den Zusammenhang von Fremden erstellte Videos und unserer durchgeführten Demo und der Bereitstellung auf diversen sozialen Netzwerken übernehmen wir Veranstalter keine Haftung

5) Wir erwarten gutes Betragen. Selbst dann, wenn man uns anpöbelt. Da stehen wir drüber!

6) Zur eigenen Sicherheit empfehlen wir unauffällige Kleidung und An- und Abreise in Kleingruppen

Um uns von gewaltbereiten anderen Veranstaltungen und Gruppen deutlich zu distanzieren, bitten wir sehr, das zu respektieren!

---Zitat Ende ----

Hier kann ich nur sagen: Chapeau. So stelle ich mir eine demokratische Demo vor. Außerdem war die Demo wohl auch ordentlich angemeldet und genehmigt.

Schauen wir uns mal die Einladung zur Gegendemo an:

— Aus der Einladung zur Gegendemo  —

RECHTE MONTAGSDEMOS JETZT AUCH IN MAINZ?! Nicht mit uns!

Seit Mitte März trifft sich montags um 19:00 Uhr in Mainz eine wachsende Gruppe unter dem Motto "Merkel muss weg". Die politischen Inhalte lassen sich kaum von denen der PEGIDA-Aufmärsche unterscheiden.

Rechte Bürger*innen und AfD-Mitglieder stehen hier zusammen mit bekannten Neonazis. Gemeinsam versuchen sie ihre menschenverachtenden Positionen auf die Straße zu bringen. Dazu gehören vor allem islamfeindliche Propaganda, sowie die Forderung nach der "Festung Europa", was den Bruch mit zahlreichen Menschenrechten bedeutet.

DIESES GEDANKENGUT KÖNNEN UND WERDEN WIR NICHT TOLERIEREN.

Schon 2015 versuchten PEGIDA-Anhänger*innen in Frankfurt a.M. mit ihren rechtspopulistischen Parolen in der Region Fuß zu fassen. Jedoch stellten sich ihnen tausende couragierte Menschen ausdauernd und letztlich erfolgreich in den Weg.

Lasst uns ihnen auch in Mainz laut, entschlossen und mit vielfältigem Protest entgegentreten. Zeigen wir gemeinsam, dass hier für ihren schlecht versteckten Rassismus kein Platz ist.

__________________________________________________

Denkt euch Plakate, Banner, Sprüche aus. Kommt vorbei, gerne mit allem was Krach macht, ob Musik (live?), Trillerpfeifen oder mit Kochtöpfen.

--- Zitat Ende ---

Zunächst sind Demo und Gegendemo ein Zeichen von Meinungsbildung in einer Demokratie. Mich verwirren hier nur einige Details. Die Gegendemo sieht sich offensichtlich als „die Guten“. Außerdem scheint es wichtig zu sein, die Demokratie gegen intolerante, faschistische Menschen zu verteidigen. Außerdem wird hier klar gesagt, dass „Rechte Bürger*innen und AfD-Mitglieder … zusammen mit bekannten Neonazis“ an der Demo teilnehmen. Hier wurde ich dann schon stutzig. Die Einladung liest sich nun mal überhaupt nicht „Rechts“. Was dann in der Praxis an Publikum auftaucht ist eine andere Frage, aber eben vom Veranstalter nur bedingt zu beeinflussen – was natürlich auch für alle anderen Demos gilt. Auch in Hamburg zum G9 Gipfel waren nicht alle Steinewerfer oder Brandstifter. Dann gibt es noch ein großes „Wir“ – das ausgewähltes Gedankengut nicht tolerieren will. „Wir“ stört mich immer prinzipiell, da es mich – oft ungewünscht – mit einschließt. Am meisten verwundert hat mich aber der letzte Satz: Es geht darum, mobil zu machen und dafür zu sorgen, dass die angemeldete Demo der Merkel-Gegner möglichst nachhaltig gestört wird. Also im Klartext: Wir schützen die tolerante, offene Gesellschaft, Meinungsfreiheit und unser demokratisches Grundverständnis, indem wir eine legale, angemeldete Demonstration von Andersdenkenden in Grund und Boden stören wollen. Merkt ihr selber, oder? Spätestens jetzt ist mir nicht mehr so ganz klar, wer hier die Feinde der Demokratie sind.

Das Stören hat, soweit ich das auf den Videos sehen konnte, ziemlich gut funktioniert. Ich sehe eine Gruppe von ca. 40 – 50 Menschen, die ruhig und zurückhaltend – man könnte es auch als eingeschüchtert interpretieren – in einer abgesperrten und mit Polizei umstellten Zone auf dem Marktplatz steht, während draußen ein vielfaches an Menschen die Atmosphäre eines aufgebrachten Mobs verbreitet. Von den Merkel Gegnern kommen ein paar Transparente ins Bild, an denen ich eigentlich nichts Rechtsradikales finden kann – möglicherweise gab es aber solche Inhalte auch. Was ich gesehen habe, lautet z.B. „Bekenntnis zu Deutschland – Gewaltfrei für unsere Kinder“ oder ein Plakat gegen Wohnungsnot, Armut im Alter, Zerstörung von Kultur und Kinderarmut und natürlich gab es auch ein „Kandel ist überall“-Plakat. Von den Reden konnte ich auf den Videos leider kaum etwas verstehen. Eine der wenigen Passagen, die ich (hoffentlich richtig) hören konnte, war ein Wutrede gegen die Tatsache, dass es kaum Gelder gibt, um den in Nordafrika gestrandeten Flüchtlingen bei ihren menschenunwürdigen Lebensumständen zu helfen. Klingt mir nicht gerade wie ein Hitler Doppelgänger muss ich sagen.

Der Witz ist: Es sollte völlig egal sein, welche Meinung hier vertreten wird, solange alle Auflagen und Gesetze beachtet werden. Es ist im Prinzip genau das Gleiche wie mit der AfD (und ich setze damit die „Merkel muss weg – Demo“ keineswegs mit AfD Gedankengut gleich). In einer Demokratie hat man andere Meinungen auszuhalten! Selbst wenn sie – wie im Falle der AfD – völlig abwegig sind. „Muslime raus“ fordern oder die AfD verbieten wollen sind nun mal 2 Seiten des gleichen Radiergummis. Oder um es mit Voltaire zu sagen:

„ Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität (das Volk ist in einer Demokratie der Souverän) liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.“

Ehrlich gesagt machen mir die tumben und dummen Rechten auch keine Angst. Ich fürchte mich eher davor, dass mal ein Schlauer kommt. Viel gefährlicher finde ich es, dass es scheinbar wieder gelungen ist, die Bürger beschäftigt zu halten, indem man einfach – mehr oder weniger wahllos, wie das Resultat in Mainz zeigt – links und rechts als In- u. Outgroup definiert. Echte gesellschaftliche Fragen spielen kaum eine Rolle mehr. Es zählt nur noch die Lagerzugehörigkeit und selbstverständlich hält sich jeder selbst für „Gut“ und die anderen sind „Schlecht“.

Lassen wir die Frage, warum es überhaupt möglich war, dass eine angemeldete Demo in der Art eingekesselt und gestört werden konnte, mal außer acht. Warum hat man die Reden nicht angehört und dann darauf reagiert (mit Worten), statt einfach alles niederzupfeifen?

Überhaupt finde ich, dass die AfD Wähler zu Unrecht verunglimpft werden. Sie haben eine legale Partei gewählt. Der Grund wird für die meisten der Wähler nicht Protest, sondern schlicht Zukunftsangst gewesen sein. Angst ist zwar ein schlechter Ratgeber, aber eben auch menschlich. Die Ursache dieser Angst haben die Politiker zu verantworten, die sich jetzt über die AfD ereifern und als Lieblingsbeschäftigung AfD Bashing betreiben – statt sich um die Lösung der eigentlichen Probleme zu kümmern.

Dass die Menschen Angst haben, ist eher ein Zeichen einer richtigen Einschätzung der Lage als nur Hysterie. Ein Großteil der Bürger fühlt sich von der Politik nicht vertreten. Wie man seit spätestens 2016 weiß, zu Recht. Damals wurde nämlich von der Regierung (Arbeitsministerin Andrea – auf die Fresse – Nahles) eine Studie am Institut für Sozialwissenschaften der Uni Osnabrück in Auftrag gegeben. Die Forschungsfrage war – etwas vereinfacht: „Versucht die Bundesregierung das Wohl und die Wünsche der einfachen Bürger im Auge zu behalten?“ Das Ganze sollte als Basis für den 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung dienen. Insbesondere sollte auch die Rolle der Reichen bei der Gesetzgebung untersucht werden. Es waren namenhafte Forscher die die „Responsivität“ (Wird der Volkeswille tatsächlich durch entsprechende Handlungen und Gesetzgebung umgesetzt) der deutschen Politik untersuchten. Der ganze Report hat mehr als 60 Seiten. Kurz zusammengefasst lautet die Antwort: Nein. Analysiert wurden mehr als 250 Sachfragen aus dem Zeitraum 1998 bis 2015 auf der Basis von ARD-Deutschlandtrend als Meinungsumfrage. Also: Offizieller Auftrag der Bundesregierung, unabhängige qualifizierte Forscher, unabhängige großflächige Meinungsumfragen als Baseline. Solide Forschung könnte man sagen. Besonders schlau war, zusätzlich zur Meinung der befragten Bürger auch noch deren Vermögensstatus zu erfassen. Damit war es möglich, die Volksmeinung auch nach „Gehaltsgruppen“ aufzusplitten. Die Auswertung zeigte immer das gleiche Muster: In allen Fragen wurde in der Gesetzgebung letztlich die Wünsche der Einkommensstärksten umgesetzt, während die Wünsche der Einkommensschwächeren meistens diametral entgegengesetzt waren. Egal, ob es um den Abbau der Staatsverschuldung, das Rentenniveau, Bundeswehr in Afghanistan oder Hartz IV ging. Die Regierung folgte immer dem Wunsch der Wohlhabenden.

Kein Wunder, dass man es da als normaler Bürger mit der Angst bekommt und dann – leider AfD – wählt, was besonders fatal ist, da die AfD unter dem Deckmantel des Patriotismus ein reine Klientelpolitik für die Reichen macht.

Quelle: Wikipedia

Falls Sie sich jetzt wundern, warum Sie von dem Report nichts gehört haben: Er hat es nicht in den offiziellen Armutsbericht geschafft. Erst wurde von mehr als 60 Seiten auf ca. 18 Seiten gekürzt und als es dann im Oktober 2016 im Bundeskanzleramt – Frau Merkel läßt grüßen – zur Debatte kam, wurde einfach gestrichen was das Zeug hält. Dankenswerterweise hatte der Verein Lobbycontrol im Frühjahr aber veröffentlicht, welche Passagen von Merkel entfernt worden waren. Leider erreichte das aber kaum die breite Öffentlichkeit. Besonders der in der Studie verwendete Begriff „Krise der Repräsentation“ wurde ausnahmslos getilgt. Selbst in der endgültigen Fassung des Armutsberichts von über 700 Seiten findet sich kein Hinweis mehr. Unnötig darauf hinzuweisen, dass die dazugehörige Debatte im Bundestag vor fast leerem Haus unmittelbar vor der Sommerpause stattfand. Andrea Nahles startete die Rede mit „Deutschland geht es gut“. Da braucht Merkel selbst gar nicht mehr aufzutreten.

Ich hätte noch viel zu dem Thema zu sagen, aber es soll ja ein Blogbeitrag und kein Buch werden. Ich kann in diesem Zusammenhang nur das Buch von Paul Schreyer „Die Angst der Eliten – Wer fürchtet die Demokratie?“ verweisen. Ein solide recherchiertes und mit Quellenangaben belegtes Buch, das viele interessante Zusammenhänge aufzeigt. Die knapp 200 Seiten haben für mich eine Vielzahl von Denkanstößen über unsere aktuelle Demokratie  geliefert.

Was können wir also aus den Ereignissen in Mainz lernen? Vielleicht, dass es in einer Demokratie tatsächlich für alle unter den gleichen Rahmenbedingungen möglich sein sollte, ihre politische Überzeugung zu äußern. Dass wir uns nicht im Streit um Richtungen und Lager entzweien lassen sollten, sondern gemeinsam im Diskurs – der auch gerne lebhaft und emotional sein darf – um Lösungen um die ECHTEN Probleme unserer Gesellschaft bemühen sollten. Am 09.04.2018 in Mainz auf dem Domplatz gab es nur einen Gewinner. Diejenigen, die verhindern wollen, dass sich etwas ändert. Es war ein makelloser Sieg. Eigene Akteure oder Argumente wurden nicht benötigt. Das beherrschte Volk blieb beim Kampf unter sich.

Danke für’s Lesen.

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

 

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Blaue Plaketten, rote Karten und schwarze Augenbinden.

Jetzt haben wir den Salat! Dieselfahrverbote! Jetzt hört der Spaß endgültig auf. Ist das der gewünschte Ruck, der durch Deutschland gehen muss? Statt ein toter Benno Ohnesorg die Autos in Bedrängnis? Ist das der Stein des Anstoßes, der alles entzündet?

Ehrlich gesagt wäre mir das sogar egal. Welche Ursache auch immer die Menschen zum Aufwachen bringt – es wäre gut für Alle. Der Witz ist, die Ursachen und Gründe, weshalb jetzt alle auf die Barrikaden gehen, sind keineswegs neu. Wir haben uns das alles gefallen lassen. Jahrzehntelang. Und aufregen tun wir uns auch nicht über die kommende Klimakatastrophe, sondern über die Einschränkungen der persönlichen Mobilität und Verlust von Kapital. Ich glaube, aus uns wären alle gute Geschäftsführer der Deutschen Bank oder so geworden. Immer den eigenen Vorteil streng im Blick.

Bevor jetzt der Shitstorm losgeht: Wir sind aber in erster Linie Opfer. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Von der Automobilindustrie verarscht und betrogen, von der Regierung als Bauernopfer in Stellung gebracht. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Was mich allerdings nachdenklich macht, ist die Art und Weise wie wir damit umgehen. Zum Beispiel werden jetzt plötzlich alle Feinstaub-Experten. Seit ein paar Tagen wissen alle, dass ein Ozeandampfer an einem Tag mehr Feinstaub ausstößt als 14.000.000 Golf. Wahnsinn! Oder das bei Messungen häufig nur die natürliche Feinstaubbelastung gemessen wird – die gäbe es auch ohne Autos. Und überhaupt: Wer hat denn den Grenzwert festgelegt? Und während wir unsere Wut hier langsam abarbeiten können, stellt Mama Merkel bereits den nächsten Lobby-Minister vor. Diesmal im Gesundheitswesen. Darüber hört man vergleichsweise wenig. Kostet ja auch (noch) kein Geld.

Der Ozeandampfer ist ein schönes Beispiel. Das Argument hätte auch durchaus aus der Politik kommen können. Egal was wir machen – andere sind viel schlimmer. Fakt ist allerdings, Ozeandampfer fahren nicht durch Städte – von Hamburg vielleicht mal abgesehen. Sie sind ohne jeden Zweifel Dreckschleudern, tragen zur Umweltbelastung in Innenstädten aber vergleichsweise wenig bei. Andersrum ausgedrückt: Das Verbot von Schiffen würde die Belastung in der Stuttgarter Innenstadt nicht wesentlich verändern. Das Ganze ist nicht so abstrakt und weit weg, wie man vielleicht annimmt. Nur wenige Kilometer von mir entfernt gibt es, in einem kleinen Ort namens Stadecken-Elsheim, eine Engstelle, durch die jeden Tag hunderte – wenn nicht tausende – Pendler fahren müssen. Hier wurde der höchste Wert an Stickoxiden in Rheinland-Pfalz gemessen. Machen wir uns nix vor: Das kommt nicht von Schiffen oder natürlicher Feinstaubbelastung. Die Werte korrelieren nahezu 1:1 mit dem Durchgangsverkehr. Das kann man nachweisen.

Bleibt die Frage nach den Grenzwerten selber. Ich sag es ungern, aber diese Werte sind nicht zum Schutz der Umwelt gemacht. Dann müssten sie nämlich niedriger sein. Die Grenzwerte sind der maximale Wert, den man in der Politik noch verantworten konnte, ohne weitreichende und schnell sichtbare werdende gesundheitliche Schäden der Bevölkerung zu riskieren. Sie sind sozusagen der Mindestschutz, den wir noch haben. Es scheint mir nicht sinnvoll, ein Loch ins Boot zu schlagen, weil man zu viel Wasser außerhalb des Boots hat und einen Ablauf schaffen will.

Wir lösen das Problem nicht, indem wir es abwerten (natürlicher Feinstaub), mit dem Finger auf andere zeigen (Ozeandampfer) oder brav weiter die gleichen Parteien wählen. Ein wenig könnten wir uns auch an die eigene Nase fassen. Muss der Trend wirklich zum SUV als Zweitauto gehen? Wollten wir die Versprechen nicht einfach glauben? 350 PS und nur 3,4 Liter Verbrauch?

Manche haben Glück. Ich muss beruflich nicht PKW fahren. Ich bin kein Pendler, wenn man die Strecke zwischen Schreibtisch und Kühlschrank nicht mitzählt. Das sieht für mehr als 18. Millionen Deutsche (Zahlen aus 2016) aber anders aus. Diese Menschen haben schlicht keine Wahl. Die durchschnittliche Pendelstrecke liegt bei ca. 18 km einfach. Mir fallen bei diesen Zahlen spontan 2 Fragen ein? „Warum so viele“ und „warum gibt es bei der relativ kurzen Strecke keine Alternativen“? „Warum so viele“ ist relativ einfach zu beantworten: Die Leute können es nicht bezahlen, da zu wohnen, wo sie arbeiten. Woran liegt das? An der Politik. Nicht an der Umweltpolitik. Es ist die (Finanz-) Wirtschaft, die uns das eingebrockt hat und die Politik hat brav zugesehen. Wieso müssen Wohnungen in Städten zum größten Teil Spekulationsobjekte sein? Wieso haben wir uns weitgehend vom sozialen Wohnungsbau verabschiedet? Warum gibt es privatisierte Bahnstrecken und immer weniger Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr? Warum kostet ein Jahresticket für den Stadtbus für mich 782,-€? Eine einfache Hin- und Rückfahrt ist teurer als mit dem Auto zu fahren inkl. Parkhaus. Die Politik hat das zugelassen. Wir (also die Mehrheit – ich meine jetzt nicht die andere Hälfte) haben das zugelassen! Das dein Diesel nicht mehr benutzbar ist, hast du dem Kreuz bei CDU auf deinem Wahlzettel zu verdanken. Verantwortung übernimmt da niemand.

Im Moment kann man nur hoffen, dass die Basis der SPD Mitglieder uns vor dem nächsten Super-Gau (GroKo) rettet – auch wenn die Chancen dafür scheinbar schlecht stehen. Eine Neuwahl würde uns zumindest noch einmal eine Chance geben, nicht wieder durch den Idiotentest zu fallen. Eigentlich sind das nur Nebenkriegsschauplätze. Das was uns durch die Klimakatastrophe – scheinbar kaum abwendbar – bevorsteht, wird das alles als Luxusproblem erscheinen lassen.

Danke für’s Lesen.

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

 

 

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Die Wurzel allen Übels

„Die Wurzel allen Übels“ – eine Redewendung, die wohl jeder schon einmal gehört hat. Soweit ich das nachverfolgen konnte, war damit ursprünglich das Geld – als Wurzel allen Übels – gemeint. Ob das wirklich so ist weiß ich nicht, aber für möglich würde ich es halten.  Davon unabhängig finde ich es gut, den Dingen oder Ursachen auf den Grund zu gehen. Etwas zu verstehen kann niemals schlecht sein. Eher im Gegenteil.

Gestern hab ich einen Artikel im Netz gelesen, der sich mit der Stadt Cottbus beschäftige. Eine Menge Gewalt, Klischees, Beschuldigungen und erhobener Zeigefinger plus Kopfschütteln. Die stetig präsenten Reizwörter waren auch wieder dabei: Asyl, Rechte, Linke, Gutmenschen usw. Es hängt mir so zum Hals raus.

Ich hab keine Ahnung warum wir uns mit den Etiketten Rechts, Links, Bürgerlich, etc. überhaupt noch abgeben. Was soll das bringen? Vereinfachung? Funktioniert offensichtlich nicht. Wenn ich mich heute zu politischen Themen äußere, kann ich nie sicher sein, welchem Lager mein Gegenüber meine Äußerung zuordnet. Ehe man sich versieht, wird man als Nazi oder linksversiffter Hippi durchs Dorf getrieben. Ich kann sagen, dass mir z.B. die Ziele der AfD als Partei im Wesentlichen nicht zusagen, das gilt aber auch für SPD, Grüne und CDU. Ich halte den Familiennachzug aber auch für ein extrem kritisches Thema – was ich dann wieder mit der Identiären Bewegung gemein hätte, deren Fan ich ausdrücklich nicht bin.

In der Politik hat alles mit Parteien zu tun. Es heißt ja auch: Partei ergreifen. Ich glaube, wir haben da was falsch verstanden. Zunächst habe ich mir eine Meinung zu bilden und dann vertrete ich diese – vielleicht vertreten durch eine Partei – oder auch nicht. Aber unsere Weltanschauung besteht aus mehr als einer Meinung zu einem Thema. Welche Partei soll mich da also vertreten? Brüder im Geiste zu finden ist da schon wesentlich schwieriger. Die Parteien suchen dann Mehrheiten in dem Meinungsbild der Bevölkerung und schwingen sich dann an, dieses zu vertreten. Verkehrte Welt. Ein Partei hat eine Meinung zu haben und wer als Wähler dem zustimmt, soll die halt wählen. Ein Partei, die dauernd das Programm nach „Volksmeinung“ – oder was man dafür hält – ändert, ist keine Partei sondern ein Trupp Populisten. Noch schlimmer sind die, deren Parolen nicht mal 2 Wochen nach den Wahlen in Rauch aufgehen – nennt sich dann Koalitionsverhandlungen.

Genau deshalb ist die Welt voller Vereinfacher aka Bauernfänger, die uns weißmachen, dass es nur richtig und falsch gibt, alle Klischees stimmen und überhaupt nur sie – wenn überhaupt – können die Welt retten. Ich kann schon verstehen, warum viele Menschen sich für diese Lösung entscheiden und einfach jemanden folgen der laut und wütend schreit. Menschen, besonders jene die wirtschaftlich schwach und abhängig sind, sind leicht zu Ängstigen und Angst ist eine mächtige Motivation. Wenn ich es schaffe Menschen Angst zu machen, kann ich sie in fast jede Richtung bewegen. Warum haben aber so viele Menschen bei uns Angst? Angst vor Arbeitslosigkeit, Altersarmut, sozialer und realer Gewalt… die Liste ist endlos. Weil sie sich nicht beschützt fühlen. Das, und genau das, wäre eigentlich die originäre Aufgabe eines Staates.

Wer heute Arbeitslos wird, landet nach 12 Monaten im sozialen Abseits, wer krank wird und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann muss mit Renten knapp über dem Existenzminimum leben, wer mehr Rente bekommt zahlt Steuern, aber eine Vermögenssteuer für die Superreichen gibt es nicht. Die zahlen nämlich gar keine. Während man im Deutschland über die Unterbringung von Asylanten debattiert, suchen viele der 7,5 Millionen geringfügig Beschäftigten in Deutschland eine Wohnung die sie bezahlen können. Es gibt Viertel in Großstädten in denen keiner mehr hin will/soll, Bundeswehr ist quasi nicht Einsatzfähig und Polizei und Justiz seit Jahren unterbesetzt und frustriert. Keine Frage Asyl ist Menschenrecht und muss geschützt werden – das müssen die eigenen Bürger aber auch. Bei ständig steigendem Bruttosozialprodukt, Steuerrekorden und Wirtschaftswachstum kann man eigentlich annehmen, dass man beiden Seiten gerecht werden kann.

Der eigentlichen Gründe für die Angst der Leute ist nicht Dummheit oder schlaue Bauernfänger. Es ist ein nicht funktionierender Staat. Wer kann sich den heute Ernsthaft von den „etablierten“ Parteien vertreten fühlen? Vielleicht 1-2% der Gesellschaft. Der Rest wird mit Krümeln – bestenfalls – abgespeist und bildet sich nur ein, „seine“ Partei würde schon für das Wohl aller Sorgen.

Wenn ich mir jetzt das GroKo gewürge ansehe und die einfach weiterregierende Kanzlerin bin ich sicher, dass keine Sau mehr an die Politik als Lösungsweg glaubt.

Wie soll das weitergehen? Ich glaube, die Politik ist zu wichtig um sie den Politikern zu überlassen. Rudi Dutschke sprach 1967 von einem Marsch durch die Institutionen um die gesellschaftlichen Strukturen von innen heraus zu verändern. Ich fürchte, dafür fehlt uns heute die Zeit wenn wir nicht eine dunkle Epoche riskieren wollen. Ich habe darüber ja schon in meinem Beitrag „Die kommenden Tage“ geschrieben.

Eine Patentlösung habe ich nicht, aber ich glaube es würde helfen, wenn wir – jeder für sich – helfen würde, den Staat zu reparieren. Dabei spielt es keine Rolle ob wir das in der Nachbarschaft machen, im Sportverein, der Gemeinde, Kommune oder eben als Nicht-Politiker in der Politik. Wir müssen zeigen, dass das funktioniert und wir – das Volk – nicht die Politiker, die Ärmel hochkrempeln und anfangen. Ich will auch mehr Direktkandidaten und Parteilose bei den Wahlen zu Gemeinderäten, Bürgermeistern, usw. #keinPolitiker als Hashtag würde ich gerne bei vielen Aktionen sehen, die dabei helfen, die Probleme wirklich anzugehen.

Geht nicht der Angst auf den Leim. Wenn ihr Probleme seht, bekämpft die Ursachen nicht die Symptome.  Ein wenig Zeit haben wir noch.

Danke für’s Lesen.

 

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

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Die Toten von Berlin – das Ende der Differenzierung

Mittlerweile läuft das alles ziemlich eingespielt. Schon wenige Minuten nach dem Anschlag bietet Facebook die Funktion „In Sicherheit“ an, die ersten Chronik- und Profilbilder werden angepasst, ausländische Nachrichtenagenturen reden von Terroranschlag und die Deutschen ziehen dann irgendwann am nächsten Tag mit „könnte eventuell Terror gewesen sein“ nach. Die Rechten wollen schon Trucks chartern, um Flüchtlinge abzuschieben, die „Gutmenschen“ (grauenhafter Begriff) posten sofort, dass es egal ist, welcher Nationalität oder Religion der Mörder angehört. Der Innenminister wird wahrscheinlich dann auch irgendwann erzählen, dass wir dringend mehr „Vorsorge“ brauchen und lässt ungesagt, dass es nicht die Technik war, die den Attentäter gefasst hat, sondern Zivilcourage. Ein mutiger Mitbürger hat ihn nämlich einfach verfolgt und die Polizei gerufen. Folgerichtig wären also Kurse in Zivilcourage angesagt, nicht mehr Überwachung.

Da ich ja quasi ein „Linker“ bin (wer weiß, ob das nach dem Beitrag noch so ist), erscheinen bei mir auf Facebook natürlich auch entsprechende Beiträge. Ganz weit vorne ist ein Beitrag, der vom Komiker Ruthe (toller Typ!) direkt nach den Anschlägen veröffentlicht wurde. Dort wird festgestellt, wer die Schuld an den Toten in Berlin hat. Nicht Merkel, nicht Flüchtlinge, nicht Gutmenschen, sondern nur der Fahrer selbst. Der Beitrag wird schnell verbreitet (z.B. bei der von mir sehr geschätzten „Hogesa„) und schon am nächsten Morgen ist die Reichweite riesig. Klar, die Fakten betrachtend und rein logisch vorgehend kann man zu diesem Schluss kommen: Nur der Mörder hat gemordet. Es ist auch eine angenehme Erkenntnis. Der Schuldige ist bereits gefasst. Sonst trägt keiner Schuld. Wir müssen uns nicht weiter über Flüchtlinge und die sich daraus ergebenden Realitäten unterhalten. Wir können weiter über „mehr Sicherheit“ diskutieren, wenn wir Überwachung meinen. Wir können weiter mit der profitorientierten Politik in Afrika und dem Nahen Osten weitermachen. Alles super. Game over.

Es ist so ein wenig wie in dem Beispiel vom Frosch im Wassertopf: Setzt man einen Frosch ins Wasser und erhöht langsam die Temperatur, springt der Frosch nie raus und wird langsam lebendig gekocht. Wirft man einen Frosch in heißes Wasser, springt er sofort wieder raus. Ich frage mich, ob wir nicht schon längst langsam gar gekocht werden. Ich will jetzt hier keinen Aluhut aufziehen, aber das Ganze hat schon etwas von einer Expositionsstrategie, wie sie z.B. in der Psychologie sehr erfolgreich eingesetzt wird, um Menschen an Dinge zu gewöhnen, die ihnen Panik verursachen.

Das erste Opfer ist immer der gesunde Menschenverstand. Danach kommt dann das, was wir heute gerne mit #Postfaktisch beschreiben. Das gilt nicht nur für unseren Umgang mit dem Terror. Es ist allgegenwärtig. Klima, Rohstoffe, Vermögen, Soziales, Asyl – überall haben wir uns vom gesunden Menschenverstand und – noch schlimmer – von der Fähigkeit zu differenzieren verabschiedet. Wir sind Pippi Langstrumpf und machen uns die Welt widdewidde wie sie uns gefällt.

Vielleicht ist das ein neuer Kniff der Evolution? Nachdem wir durch Beseitigung vieler Gefahren durch die moderne Zivilisation nicht mehr besonders schlau und findig sein müssen, um zu überleben, hat die Evolution nun vielleicht die Rahmenbedingungen geändert, um auf lange Sicht die positive Weiterentwicklung zu gewährleisten?! Die Evolution hat einen langen Atem, wie jeder weiß. Was passiert, wenn wir so weitermachen? Der entscheidende Punkt ist: Es wird keine Lösung der Probleme geben. Am Ende hat jeder, egal ob links, rechts, oben, unten und in jeglicher Farbe, „irgendwie“ Recht. Es geht mir selbst ja auch so. Ich bin für Asyl (links), für konsequentes Abschieben von Straftätern (rechts) – aber nur bei bestimmten Straftaten (Mitte). So geht das bei fast allen Fragen. Und jetzt?

Als erstes müssen wir uns davon verabschieden, dass es eine einfache Lösung für „Alles“ gibt. Wir haben schon Mühe in Kausalketten zu denken, aber unsere Gesellschaft ist ein komplexes Kausalnetzwerk. Es gibt eine riesige Anzahl von Ereignissen, die miteinander zusammenhängen. Unser Wusch, mit bezahlbarem Benzin zu unserer Liebsten zu fahren, hängt genauso mit den Toten in Berlin zusammen wie mit dem Typ, dem wir in der Fußgängerzone erlauben einen radikalen Islam zu predigen, oder einer Bundesregierung, die permanent beruhigen will. Insofern ist das Posting von ruthe „Wer Schuld ist“ falsch. Die Liste der Schuldigen ist endlos. Und wir stehen irgendwie mit drauf. Und weil das eben so kompliziert ist, verlagern wir uns auf einfache, manchmal postfaktische Sichtweisen. Dann ist die Welt wieder in Ordnung. Irgendwann führen aber die ungelösten Probleme unweigerlich zum totalen Zusammenbruch des Systems, in dem wir leben – was übrigens eine typische Lösung der Evolution wäre, wenn man in einer Sackgasse steckt. Am Ende bleiben nur die Stärksten, Schlauesten und Findigsten übrig. Ich hoffe sehr, dass dieser Prozess mir und meinen Kindern erspart bleibt.

Wie löst die Evolution Probleme sonst noch? Durch geschicktes Arbeiten in Regelkreisen. Einfaches Beispiel: Eine Population aus Jägern und Beutetieren hält sich gegenseitig im Gleichgewicht in einer bestimmten Fläche. Wird von den Jägern zu viel gefressen, wird das Futter knapp und es gibt weniger Nachwuchs. Und umgekehrt. In Wirklichkeit ist es natürlich viel komplexer. Die Menge an Futter für die Beute spielt auch eine wichtige Rolle für die Jäger, das Wetter und vieles andere mehr. Es ist ein komplexes System und die „Natur“ geht sehr differenziert vor, um alles im Gleichgewicht zu halten. Da war es wieder, das seltsame Wort: Differenzieren. Was bedeutet dieses Verb eigentlich?

Die Definition aus dem Duden ist schick, aber man könnte auch sagen, es hat etwas mit genauer hinsehen zu tun. Ein wichtiger Aspekt von „differenzieren“ ist es, auf Verallgemeinerungen zu verzichten. Wir Alle wehren uns dauernd gegen Verallgemeinerungen – auch Klischees genannt. Alle Männer gehen fremd. Alle Frauen heiraten, um versorgt zu sein. Sowas hat jeder von uns schon mal gehört und gleich gesagt „Es gibt aber auch Ausnahmen“ – und sich selbst damit gemeint. Auch in der Partnerschaft gibt es das: „Nie bringst Du den Müll raus“ oder „Immer hast Du Migräne, wenn ich Sex will“. Erfahrene Menschen vermeiden deshalb tunlichst alle Verallgemeinerungen bei Streit in der Beziehung. Es führt sonst (fast) jedes Mal zur Eskalation. Was wir im „Kleinen“ so gut beachten, ignorieren wir im „Großen“ völlig. Wir differenzieren einfach nicht mehr. Die „wasauchimmer“ sind Schuld. Immer.

Was wäre die Alternative? Nicht an Rädern drehen (oder fordern, dass daran gedreht wird) bevor klar wird, wie sie den Regelkreis beeinflussen. Von Fakten leiten lassen. Eine Erhöhung der Überwachung hat bisher noch zu keiner höheren Sicherheit geführt. Funktioniert hat gut ausgebildete und in ausreichender Anzahl vorhandene bürgernahe(!) Polizei und ein guter sozialer Zusammenhalt (Menschen die z.B. in Paris Passanten von der Straße in die Wohnung holten) und Zivilcourage (siehe Berlin). Das wäre ein guter Punkt für Maßnahmen. Auch müssen wir unterscheiden zwischen Symptom und Ursache. Es ist völlig klar, dass wir die Symptome des Terrors bekämpfen müssen – soweit das überhaupt möglich ist – aber totale Sicherheit wird es NIE geben. Noch nicht mal auf einem Weihnachtsmarkt. Wenn wir den Terror zurückdrängen wollen, wird es aber ohne das Anpacken der Ursachen nicht gehen. Das Profilbild wegen Aleppo zu ändern reicht eben nicht.

Jetzt sind wir nun mal nicht Bundeskanzler, Innenminister oder US Präsident. Was bleibt uns also übrig? Ein guter Anfang wäre es, wenn wir uns nicht verarschen lassen und weiterhin versuchen, unseren gesunden Menschenverstand zu benutzen. Immer aufmerksam werden, wenn „Alle“ (oft auch unausgesprochen) in einem Satz vorkommt. Wir könnten auch aufeinander aufpassen – würde sogar super zum bevorstehenden Fest der Liebe passen. Auch hier gilt wieder: Der gesunde Menschenverstand zeigt uns eigentlich, wo die Grenze zwischen Bespitzeln und aufeinander Aufpassen liegt. Traut euch das ruhig mal zu. Zusammenhalt ist die mit Abstand effektivste und beste Waffe gegen Terror.

Peace

Euer Christian

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Die kommenden Tage….

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über meine Sehnsucht nach einem neuen Utopia geschrieben. Ein schöner Traum, leider nicht allzu wahrscheinlich. Nur ein Narr bereitet sich ausschließlich auf seine Traumzukunft vor. Zu schwarz sollte man die Zukunft auch nicht sehen, sonst wird es schwer weiter durchzuhalten. Nun mag jeder seine individuelle Linie ziehen zwischen „zu rosig“ und „zu schwarz“, aber ich finde es es ein guter Anfang mit den Prognosen zu starten, die halbwegs gesichert sind, oder, falls es keine gibt, einen aufmerksamen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

So einen Versuch macht auch der Film „Die kommenden Tage“ aus dem Jahr 2010, von dem ich auch den Titel dieses Beitrags entliehen habe. Er beschreibt die Veränderungen im Leben einer Familie, genauer zweier Schwestern, in der Zeitspanne 2012-2020. Es vergeht eigentlich kein Jahr, in dem ich mir den Film nicht ansehe, und in jedem Jahr bekomme ich mehr Angst, dass man es sich in 2020 nicht mehr als Spielfilm, sondern als Doku ansehen wird. Eine ganz normale Familie in einer sich schnell verändernden Welt. Der Vater Anwalt der Großindustrie, die Mutter frustrierte Hausfrau, der Sohn orientierungslos und später als Bundeswehrsoldat im Ausland, und die beiden Töchter. Während die eine verzweifelt versucht, ihre Träume (Studium, Familie, heile Welt) zu retten, wird die andere durch vermeintliche Intellektuelle in den bewaffneten Widerstand gezogen. Alles beginnt harmlos – fast könnte es die Momentaufnahme einer heutigen deutschen Durchschnittsfamilie sein.

Wie sieht unsere Zukunft denn nun wirklich aus? Wagen wir doch mal eine Projektion auf der Basis der vorliegenden Daten. Im Moment scheint die Flüchtlingswelle unser größtes Problem zu sein. Dazu Altersarmut, weiterer Abbau des Sozialstaats, schwierige Wirtschaftssituationen. Der Klimawandel läuft als Problem quasi nur so mit. Der Verkauf von SUVs boomt immer noch – scheinbar also noch kein Grund zur Panik. Ich denke, nach den Erfahrungen von Kyoto usw. wird keiner mehr glauben, dass wir die Erderwärmung auf 1-2 Grad begrenzen können. Realistischer ist da schon eher Hoffnung unter 5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu bleiben. Bis zum Ende des Jahrhunderts hört sich lange an, aber das täuscht. Die Kinder, die heute geboren werden, werden schon kurz nach Erreichen der Volljährigkeit eine völlig andere Landkarte sehen als wir. Meine Kinder, heute 11 und 13, werden wohl schon vor dem Erreichen ihres 30. Lebensjahrs größere Veränderungen miterleben. Es passiert jetzt!

Selbst wenn wir uns nur die nächsten 20 Jahre ansehen – und damit sicher bei den meisten Lesern noch innerhalb der aktiven Lebensspanne bleiben – wird sich einiges ändern. Die wesentlichste Änderung wird Afrika betreffen. Ein Kontinent, den die westliche Welt kompromisslos Ausbeutet und ohne Skrupel als Rohstofflieferant ausnutzt. Seit wir die EU (und Entwicklungshilfe) haben, muss Afrika auch noch als Abnehmer unserer Über- oder Billigproduktionen herhalten. Auch unseren Müll lassen wir dort hinreisen. Durch den Klimawandel wird Zentralafrika und weite Teile des Restkontinents schlicht unbewohnbar. Wer dort bleibt, stirbt. Die Folgen für die Umwelt werden verheerend sein, aber die Folgen der unvermeidlichen Völkerwanderung werden uns eher treffen. In Afrika leben mehr als 1 Milliarde Menschen – zum Vergleich: Europa hat gerade Mal ca. 750 Millionen. Gehen wir dann davon aus, dass mindestens 50% der Menschen (konservative Schätzung) Afrika verlassen müssen, wenn sie überleben wollen, haben wir es also in der Tat mit einer Völkerwanderung zu tun. Es werden sich nicht alle auf einmal auf den Weg machen. 1-2 Generationen lang wird nur ein kleiner Teil kommen. Die die bleiben, werden sich an Tod und Elend gewöhnen. Es wird eine Generation aufwachsen, die ohne Chance ist und nichts zu verlieren hat. Sie wird daran gewöhnt sein, um knappe Ressourcen zu kämpfen und um überleben zu können, weitgehend empathiefrei ist. Zur Klarstellung: Das hat nichts mit Rasse, Religion oder sonstigen spezifischen Eigenschaften zu tun. Das ist die unausweichliche Folge der Umstände. Unsere Gesellschaft würde sich mit diesen Rahmenbedingungen genauso verändern. Auf den Weg machen sich dann nur noch die Jungen und Starken. Diejenigen die gekämpft haben und sich durchzubeißen wissen. Die schlauen, pfiffigen aber genauso die brutalsten von Allen. Die Familien, die Alten und Schwachen werden den Weg kaum schaffen. Schon heute ertrinken im Mittelmeer bei den Flüchtlingen überwiegend Frauen, Kinder und Alte. Diese Verzweifelten werden dann auf ein befestigtes Europa treffen. Europa, der Mittelschicht beraubt, überaltert und einer jungen Generation die ebenfalls mit einer 1.-Welt Perspektivlosigkeit aufgewachsen ist. Welche Ziele sind in Europa den interessant? Wo wird es keine katastrophalen Folgen des Klimawandels geben? Portugal, weite Teile Spaniens und Süditaliens wird es sicher auch treffen. Bleibt Frankreich, Deutschland, UK, Skandinavien und eventl. Osteuropa. Ein paar davon werden sicher die Landesgrenzen verteidigen, aber in vielen Staaten gibt es dazu gar nicht die entsprechende Landesverteidigung. Deutschland z.B. wird wohl kaum wieder in die Bundeswehr investieren oder eine Mauer bauen.

Spätestens jetzt möchte man lieber mit dem Gedankenspiel aufhören. Die Welt, wie wir sie heute kennen (oder besser sehen) wird dann aufhören zu existieren. Eine Flut von Menschen die absolut nichts zu verlieren hat auf der Suche nach einer Zukunft. Menschen die gelernt haben, dass keine Hilfe aus Europa zu erwarten ist und die schon ihr Leben lang für das eigene Überleben gekämpft haben. Wir, mit unseren Handys die ohne Koltan und andere Rohstoffe aus Afrika nicht funktionieren, unseren SUVs, unserem Bedarf an Kakao, Bananen, Erdöl, Diamanten, Baumwolle… – die Liste könnte endlos so weitergehen. Wir haben Afrika fast alles genommen und den meisten Afrikanern unseren Wohlstand verweigert. Wir haben das freie Saatgut durch gentechnisch verändertes und teures ersetzt. Sogar Wasser will Nestle und Co dort lieber verkaufen. Heute könnte die Erde auch ein 1.-Welt Verschwendungsnivieau ausgedehnt auf die 3. Welt nicht mehr aushalten.

Wenn das so kommt, wird sogar unsere Generation wieder physisch – mit der Waffe in der Hand – ums Überleben kämpfen müssen. Das klingt hart. Aber die kleine Menge an Flüchtlingen aus Syrien hat doch schon gezeigt wie wenig unsere Gesellschaft mit solchen Veränderungen umgehen kann. In 20 Jahren, wenn die wirtschaftliche Situation der meisten Menschen hier noch wesentlich schlechter sein wird wird ein kleiner Funke reichen um das Pulverfass zu zünden. Zyniker machen heute schon den Waffenschein und kaufen Aktien von Firmen die Stacheldrähte herstellen.

Einstein hat mal gesagt, dass es unerwartet schwer ist, die Menschen zu überreden ihrem eigenen Überleben zuzustimmen. Das gilt heute mehr denn je. Die notwenigen Schritte sind scheinbar in unserem politischen System nicht durchzusetzen. Ich bezweifle, dass z.B. ein radikaler Schuldenerlass für Afrika sowie der erhebliche Ausbau der Entwicklungshilfe, der Umbau unseres Steuersystems (Ressourcenverbrauch muss VIEL teurer werden), das Ende der Externalisierung von Problemen (z.B. Müllentsorgung im Ausland) wirklich eine breite Zustimmung finden würde – weil es nämlich nicht umsonst kommen kann. Wir müssten wirklich Opfer bringen. Am wichtigsten wäre aber eine Reform unseres Wirtschaftssystems. Wachstum als Antrieb und Pflicht führt unausweichlich zur Zerstörung. Es gibt in der Natur nur ein Beispiel für unbegrenztes Wachstum: Den Krebs – und der tötet am Ende den Wirt.

Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir lieber kämpfen oder teilen wollen. Noch geht teilen – und schlauer wäre es auch. Mir gefällt Teilen viel besser als Kämpfen. Schaut Euch doch mal den Film an, über den ich am Anfang dieses Blogs geschrieben habe.

Danke für’s Lesen.

Peace – Euer Christian