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Das Deutschland der Sitzenbleiber

Ich geb’s zu. Der aktuelle Plot – man könnte auch Realität dazu sagen – ist komplett unglaubwürdig. Sämtliche Zeitreisende, die zufällig in diesen Jahren stranden, werden total verwirrt sein. Genauso geht es auch Menschen, die noch mit den alten Rollenbildern aus der Politik aufgewachsen sind. Irgendwie macht das alles so keinen Sinn.

Darüber, dass man unverhofft „Nazi“ oder „Zecke“ werden kann, hatte ich ja in der Vergangenheit bereits öfter geschrieben. Aber auch abseits von Einzelschicksalen ist die politische Landschaft in Deutschland eigentlich mehr Satire als Realität. Am besten sieht man das zur Zeit beim Thema #Aufstehen, also der neuen „Bewegung“, die versucht, Menschen einzusammeln um etwas Neues in Deutschland zu gestalten. Trotz des respektablen Erfolgs schon von Anfang an so viele Interessierte hinter sich zu bringen – bisher ist es ja kaum mehr als ein Registrieren – gibt es quasi von allen Seiten Haue. Man könnte fast meinen, man macht gerade das nächste Feindbild nach den Nazis klar, wenn Rechts keinen mehr aufregt.

Was ist an #Aufstehen denn eigentlich so grauenhaft? Ich habe mir die häufigsten Kritikpunkte angesehen.

#Aufstehen ist keine „Bewegung“, sondern wird von Politikern organisiert.

Na das ist (war) ja nun wirklich kein Geheimnis, dass das Ganze nicht spontan entstanden ist, sondern von Politikern und anderen gegründet wurde, um Menschen, die nicht in Parteien organisiert sind (und das vielleicht auch nicht wollen) eine Möglichkeit zum Mitmachen zu geben. Klar, es wäre schöner gewesen, wenn man sich als Graswurzelbewegung irgendwie selbst aus der Bürgerschaft gegründet hätte, aber da war ja nichts wirklich in Sicht, das in so kurzer Zeit einen nennenswerten Einstand hätte schaffen können. Durch die vielen Interessenten kann man deshalb auch hoffen, dass es tatsächlich eine Bewegung der Bürger wird – auch Retortenkinder sind Kinder und können wachsen. Und überhaupt: #Aufstehen ist immer noch deutlich mehr „Bewegung“ als alle politischen Parteien in Deutschland, die das so gern monieren.

#Aufstehen ist ja nur ein Wahlverein für Wagenknecht und Lafontaine

Ohne respektlos sein zu wollen: Lafontaine ist 75 und die Zeit, in der er noch aktiv Politik machen wird (kann), ist sicherlich übersehbar. Schon jetzt findet man ihn, abseits der Schlagzeilen zu #Aufstehen, kaum noch in den Überschriften der Medien – außer im Saarland vielleicht. Das sieht bei Wagenknecht schon ganz anders aus. Ehrlich gesagt hoffe ich sogar, dass sie innerhalb von #Aufstehen die Gestaltungsfreiheit bekommt, die ihr bei den LINKEN verwehrt wird. Eigentlich ist sie auch keine schlechte Gallionsfigur: Frau, Tochter eines Iraners und einer alleinerziehenden deutschen Mutter, Studium in der DDR verweigert wegen fehlender Linientreue, nach der Wende dann Studium und schließlich Promotion. Da schlagen mehrere Quoten gleich voll durch. Wer da skeptisch ist, kann gerne mal die Biografien Wagenknecht – Merkel vergleichen. Nicht sehr schmeichelhaft für Mutti. Ob aus #Aufstehen mal eine Partei werden soll? Na wenn es gut läuft, warum nicht? Was würde dagegen sprechen, wenn sich eine „Bewegung“ so viel Unterstützung sichern kann, dass sie bei Wahlen eine echte Chance hätte? War das nicht bei den anderen Parteien auch mal so?

#Aufstehen zersplittert die Linken in Deutschland

Gute Frage. Wer genau ist denn im Moment „Links“ in Deutschland? Die SPD oder die Grünen? Oder nur die LINKE? Also was SPD und auch die Grünen angeht, koalieren die doch in den letzten Legislaturperioden eh lieber bevorzugt mit rechts aka CDU/CSU. Dass die SPD und die LINKE seit mehr als einer Dekade sowieso nicht wirklich miteinander reden, ist sicherlich nicht Wagenknechts schuld. Echte Sozialpolitik ist auf jeden Fall weder bei der SPD (trotz langer Regierungsbeteiligung) noch bei den Grünen wirklich zu finden. Was die Linke angeht, finde ich es eher traurig, dass man noch nicht mal innerhalb der Partei auf Mobbing verzichten kann. Zersplittert wäre die Linke in Deutschland ganz sicher auch ohne #Aufstehen. Deshalb ist das Angebot von #Aufstehen auch so richtig: Egal aus welcher Partei ihr kommt: macht mit.

#Aufstehen ist ja cool, aber Wagenknecht ist ja extrem rechts/links/Stasi/Egozentrisch/Alien oder was weiß ich.

Also in den Kopf schauen kann ich keinem, aber zumindest Alien würde ich ausschließen. Was den Rest angeht: Wagenknecht hat in 2016 ein Buch veröffentlicht, dass alle wesentlichen Ideen und Konzepte enthält, die sie gerne umsetzen würde. Ich hab das Buch aufmerksam gelesen und kann nur sagen: Chapeau! Mal was ganz anderes als das Phrasengedresche der anderen Politheinis. Egal wo dann „die anderen“ ihre Ideen zwischen rechts und links so einsortieren, ich bin in den meisten Punkten der gleichen Meinung. Klar, keine Ahnung was passiert, wenn sie wirklich die Macht hätte etwas umzusetzen, aber das Problem haben wir doch immer. Bei den „alten“ Parteien hat sich jedenfalls schon gezeigt, dass zwischen Wahlversprechen, Parteiprogramm, gesundem Menschenverstand und Ethik keinerlei Überschneidung zur realen Politik zu finden sind. Da versuch ich lieber was neues.

Bloß nicht #Aufstehen!?

Das ist für mich das Schrägste an der ganzen Sache. Nicht nur, dass mittlerweile die AntiFa Merkels Positionen verteidigt. Zur Zeit gibt es nur bei 2 Sachen einen echten Konsens im Bundestag: AfD ist Scheiße und #Aufstehen ist Quatsch. Meinen Standpunkt zum Thema Umgang mit der AfD habe ich bereits im letzten Blogbeitrag klar gemacht, aber was ist mit #Aufstehen? Also mich macht das schon mal neugierig, wenn plötzlich solche Einigkeit im Bundestag herrscht. Man könnte meinen, getroffene Hunde bellen. Bei den Parteien im Bundestag geht es zunächst erst mal um Machterhalt und Bewahrung des Status Quo. Vielleicht sollte man die allgemeine Ablehnung der Parteien gegenüber #Aufstehen als Kompliment begreifen? Man merkt in Berlin, dass man mit Floskeln und nix machen langsam keinen mehr blenden kann. Was wenn #Aufstehen wirklich funktioniert? Das wäre ein ganz schöner Gegenwind zur aktuellen Politik der Regierung. Da man #Aufstehen schwerlich als „Nazis“ abstempeln kann – obwohl ich das bei manchen Kommentaren in der Presse durchaus lesen konnte – versucht man es einfach anders: man wertet Wagenknecht ab und redet #Aufstehen klein. Und es funktioniert. Bis jetzt wenigstens.

Mitgliederentwicklung SPD (Wikipedia)

Obwohl es mittlerweile mehr als 100.000 registrierte #Aufsteher gibt, wird das Ganze immer noch als Ego-Veranstaltung Wagenknechts oder destruktiv bezeichnet und scheinbar sind die Deutschen mehrheitlich bereit, das auch zu schlucken. Wenn man sich z.B. die Mitgliederzahlen einer „Volkspartei“ wie der SPD ansieht, stellt man fest, dass mehr als 100.000 Interessierte extrem viel ist. Die SPD hat im Moment noch nicht mal 500.000 Mitglieder, und hat seit Anfang der 2000er Jahre ca. 100.000 Mitglieder verloren. Eigentlich also wirklich eine tolle Basis, um mit #Aufstehen in Deutschland eine Veränderung zu bewirken.

Genau deshalb macht es mich so wütend, dass es noch so viele #Sitzenbleiber statt #Aufsteher gibt. Das ist genau die Chance, die seit Jahren gefehlt hat. Euch gefallen einige Aspekte bei #Aufstehen nicht? Gut, dann macht mit und bringt euch ein. Statt sich sinnlos von der Politik in rechts und links sortieren zu lassen, während Merkel und Co. weiterhin dem ökonomischen Gott des unbegrenzten Wachstums huldigen, den Umweltschutz als Option behandeln und die Lebenswirklichkeit für immer mehr Menschen in Deutschland signifikant verschlechtert, könnte man hier einfach mal #Aufstehen.

Danke für’s Lesen.

Euer Christian

#keinPolitiker

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Demokratie 2.0

Bald ist es  soweit. Am 24.September, also in wenigen Tagen, ist wieder Bundestagswahl. Auch wenn das wohl mittlerweile kaum einer mehr so sieht: es macht einen Unterscheid was, oder ob, wir an diesem Tag wählen. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, wo wir uns, als Deutsche, als schlau oder strunzdoof erweisen können. Wollen wir „weiter so“, oder „zurück nach 1935“ oder wagen wir einen „neuen“ Entwurf? Das wären so grob die Möglichkeiten, die zur Auswahl stehen.

Also ich werde „links“ wählen, aber da sind natürlich die Geschmäcker verschieden. Damit muss man in einer Demokratie leben. Falls wir noch in einer leben. Mittlerweile darf man ruhig gelegentlich mal zweifeln, aber nehmen wir das für einen Moment mal an. Wer wird eigentlich gewählt? Na, die Volksvertreter. Schwieriger ist schon die Frage, nach welchen Kriterien man diese Vertreter aussuchen sollte. Gehen wir logisch vor. Die „Besten“ sollen es machen. Klingt einleuchtend. Problem: was bedeutet „die Besten“ in diesem Fall? Es könnten z.B. die mit der besten Qualifikation für das jeweilige Ressort sein, also nicht gerade ein Mediziner, der Verteidigungsminister wird. Leider geht das nicht so einfach, da man ja vor der Wahl nie weiß, welcher Politiker auf welchem Ministerposten landet, solange Koalitionen gebildet werden müssen und damit das unvermeidliche Jobgeschacher beginnt. „Die Besten“ könnten aber auch die Schlauesten bedeuten, in der Hoffnung, dass ein hoher IQ sozusagen als Basisqualifikation zum schnellen Erlernen verschiedener Aufgaben befähigt. Gleiches könnte man z.B. auch bei Leuten mit großer Lebenserfahrung annehmen, vorzugsweise Menschen, die viele Probleme und Schwierigkeiten im Leben hatten und diese gut gemeistert haben. Alternativ könnte man auch ganz anders vorgehen, nämlich den Bundestag als Abbild der Gesellschaft zu verstehen, also echte Volksvertreter zu wählen. Dann müsste sich der Bundestag ähnlich der Bevölkerungsstruktur der BRD zusammensetzen – mit allen Aspekten und Meinungen. Lustigerweise scheinen sich die Menschen beim Wählen mit solchen Nebensächlichkeiten gar nicht aufzuhalten. Das wird deutlich, wenn man sich die tatsächlichen Abgeordneten des Bundestags einmal ansieht. Wenn ihr nach dem Handwerker, Einzelhandelskaufmann, Friseur oder der Metzgereifachverkäuferin sucht, wird es ganz schön eng. Die Berufsgruppe, die den kompletten Bundestag beherrscht, sind die Juristen. Deren Anzahl hat sich seit 1961 im Bundestag mehr als verdoppelt. Wenn ich ehrlich bin, kenne ich kaum einen Juristen, neben dem ich im Bus sitzen will, geschweige denn, dass er mein Leben beeinflussen sollte. Wenn ich nur einen Satz als Antwort auf die Frage hätte, was im Bundestag falsch läuft, würde ich wahrscheinlich antworten: zu viele Juristen! Auch auf Position 2, 3 und 4 finden sich nicht wirklich Berufe, die viel mit dem deutschen Alltagsleben (und dessen Sorgen) zu tun haben. Politologen, Volkswirte und dann Beamte – allen voran die Lehrer. Also meistens Menschen, die sich einfach mal freistellen lassen können, etwas Politik machen und dann, ohne Druck, wieder in ihren Beruf zurückkehren können. Davon kann ein Schlosser oder die Verkäuferin bei Aldi nur träumen. Scheinbar ist die einzige Währung, in der der Wähler abrechnet, Popularität. So schafft es dann auch mal ein Ex-Catcher mit dem schönen Kampfnamen „Fieser Freiherr“ in den Bundestag und konzentriert sich fortan auf Energie, Wirtschaft, Verkehr. Oder die Sport-Ikone Eberhard Ginger, der einfach mal 53% in seinem Wahlkreis abräumt. Ich wette, wenn Günther Jauch jemals antritt, gibt es einen Erdrutschsieg. Defakto waren die letzten Bundestagswahlen viel mehr Personen als Parteienwahlen. Zwar sind es die Parteien, die nach Artikel 21 des Grundgesetzes bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, in der Praxis funktioniert das aber eher schlecht.

Wie immer ist meckern natürlich einfach, aber konstruktive Vorschläge machen besser. Es gibt in der Tat einiges an Literatur und Forschung über die Schwachstellen einer Demokratie und wie man ihnen begegnen kann. Ein Konzept hat mir besonders gefallen, auch wenn es auf den ersten Blick ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Die Wahl des Ministers im Losverfahren. Die Idee ist folgende: Es wird nicht die Regierungspartei bestimmt, sondern nur noch Chefs für die entsprechenden Ressorts plus eine Oberaufsicht. Für die einzelnen Ressorts werden Pools von geeigneten Bewerbern gebildet. Die Kriterien könnte man per Volksentscheid bestimmen lassen. IQ, Lebenserfahrung, bisheriges (ethisches) Verhalten, praktische Erfahrung im Ressort usw. könnten mit einfließen und man könnte, ganz nebenbei, auch die Zielvorgaben festlegen. Echte Basisdemokratie also. Am Ende hat man dann eine Gruppe der „Besten“ für das jeweilige Ressort – außerhalb jeder Parteienzugehörigkeit. Der Glückliche wird dann aber nicht gewählt, sondern per Los bestimmt. Da ja nur geeignete Bewerber im Pool sind, hat der Kandidat auf jeden Fall eine deutlich bessere Qualifikation als im bisherigen System. Außerdem können wir im Moment ja auch keine Minister direkt bestimmen und so unterbindet das System wenigstens Vetternwirtschaft und Seilschaften sofort. Als nächstes machen wir den Mann finanziell unabhängig. Werft ihm ruhig ein paar Millionen hinterher. Natürlich nicht alles in Euro. Ich denke eher an ein fettes Gehalt plus eine Art Aktienpaket. Das Aktienpaket kann er frühestens nach 8 Jahren zu Geld machen oder es behalten und auf weitere Wertsteigerung hoffen. Der Wert der „Aktien“ wird dann auf der Basis von Arbeitslosigkeit, Umweltschäden, Gesundheits- und Bildungsstand der Bevölkerung usw. festgelegt. Das sorgt dafür, über die nächsten 4 Jahre hinaus zu denken. Das Ganze wird dann noch abgerundet mit einer möglichen Verurteilung wegen Landesverrats, wenn man sich mit einer Lobby in Bett gelegt hat oder ähnliches. Natürlich gilt dann nach Ende der Amtszeit ein branchenbezogenes Berufsverbot.

Leider haben wir so ein Modell im Moment noch nicht zur Auswahl. Also müssen wir eben noch selbst Politiker sein, die sich ja bekanntlich an der „Kunst des machbaren“ orientieren. Aber bitte wählt nicht wieder die Parteien, die euch weiter das Fell über die Ohren ziehen!

Danke für’s Lesen.

Peace.

Euer Christian