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Wir hatten Gerechtigkeit erhofft, doch bekommen haben wir den Rechtsstaat.

In den letzten Tagen wäre ich besser abstinent geblieben. Nicht was Wein, Weib und Gesang angeht – mehr auf die Nachrichten bezogen. Der Prozess um den Kindesmissbrauch in Staufen ist in jeder denkbaren Dimension undenkbar, nicht auszuhalten und lässt mich, wie wahrscheinlich die Meisten, ratlos zurück. Über das Unverständnis, was Menschen anderen Menschen, besonders Kindern, antun können, will ich heute nicht schreiben. Ich will mir auch ersparen, auf die Details der Tat einzugehen, oder die Frage zu stellen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Jeder, der die Abläufe und Hintergründe recherchiert hat, wird wohl wie ich nur schwer Schlaf gefunden haben.

Quelle: Wikipedia

Schreiben will ich lieber darüber, wie wir als Gesellschaft mit diesem Fall umgehen, oder etwas genauer, wie unser Rechtsstaat damit umgeht. Unser Rechtsstaat wird in diesem Fall von Juristen repräsentiert, sowohl auf der Seite des Anklägers als auch bei den Verteidigern und, natürlich, in Form von Richtern. Über Juristen habe ich schon das ein oder andere mal geschrieben. Sie stellen einen Sonderfall in unserem System dar. Sie sind quasi die Einzigen, denen man erlaubt, die Regeln, die das Zusammenleben aller Menschen in diesem Land organisieren sollen, zu interpretieren. Zusätzlich stellen Juristen auch die überwiegende Mehrheit der Bundestagsabgeordneten. Man könnte also sagen, unser Land wird von Juristen gestaltet und gelenkt. Kann man mögen – muss man aber nicht. Möglicherweise gibt es viele Juristen, mit denen man sich gerne umgibt. Ich persönlich hätte aber Mühe, mehr als die Mindestbesetzung für eine Skatrunde zusammen zu bekommen. Das liegt im Wesentlichen an der (häufig) sonderbaren Art, wie sie die Welt sehen und mit ihr umgehen. Besonders wenn es mal nicht so läuft, wie sie es gerne hätten. „Den“ Juristen gibt es sicher nicht – es sind eben Menschen, jeder ist anders. Deswegen müssen wir uns behelfsmäßig Einzelfälle ansehen.

Der Prozess in Staufen ist ohne Zweifel für die Bundesrepublik von besonderer Bedeutung. Deshalb ist es kein Zweifel, dass man in Heidelberg einen erfahrenen Richter den Vorsitz übertragen hat. Über die Vita von Richter Bürgelin konnte ich wenig in Erfahrung bringen, aber ich denke, man hat dort sicher einen der „Besten“ ausgewählt, um dieses Thema zu verhandeln. Missbrauch ist für Richter Bürgelin kein neues Thema. Er hat bereits in einigen anderen Fällen in diesem Themenkomplex geurteilt, zuletzt im Mai 2018, als er einen Soldaten zu 8 Jahren Haft wegen Kindesmissbrauchs verurteilte. Interessantes Detail an diesem Fall: auch hier sah der Richter keine gesetzliche Handhabe, um für den Angeklagten nach der Haft Sicherheitsverwahrung anzuordnen.

Sicherheitsverwahrung ist eine gefährliche Waffe, deren Missbrauch zu Recht durch allerlei Gesetze – auch auf EU Ebene – verhindert werden soll. Trotzdem ist es verfassungskonform, dass man ein Instrument hat, dass es ermöglicht, die Gesellschaft – auch nach dem Verbüßen  einer Freiheitsstrafe – vor einem potentiellen Straftäter zu schützen. Es ist der einzige Fall, in dem eine Person ohne Straftat in Haft gehalten wird.

Auch in Staufen wurde Sicherheitsverwahrung für die Mutter abgelehnt. Sie wurde zu zwölfeinhalb Jahren Haft, wegen schweren sexuellen Missbrauchs, schwerer Vergewaltigung, schwerer Zwangsprostitution, Menschenhandel, sexueller Ausbeutung, Besitz und Herstellung von Kinderpornographie verurteilt. Dazu kommen noch hohe Geldstrafen. Eine Rolle für den Verzicht auf Sicherheitsverwahrung spielte dabei sicher auch der Gutachter Dr. med. Hartmut F. Pleines (Arzt, Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie) aus Heidelberg. Auch dieser Mann ist kein Unbekannter. Dem eifrigen Zeitungsleser ist Herr Dr. Pleines schon häufiger in aufsehenerregenden Prozessen als Gutachter aufgefallen, so z.B. im Prozess gegen Kachelmann, in dem er ein Gutachten ablieferte, ohne direkt mit dem Beklagten zu sprechen.  Bei der Angeklagten Berrin T. hatte er mehr Möglichkeiten. Deshalb konnte er auch detailliert im Gutachten und auch im Gerichtssaal berichten. Es kommt einiges zur Sprache. Der geringe IQ der Angeklagten (62-75), der frühe Tod der Eltern, das Aufwachsen bei den Großeltern, Hauptschulabschluss, aber auch die Aussage, dass es bei Berrin T. in der Kindheit und auch später keine eigenen Erfahrungen mit Missbrauch gegeben hat. Das ist selten, da die meisten Menschen, die Missbrauch betreiben, selber Erfahrungen mit Missbrauch haben. Es gibt auch keine Diagnose in Richtung psychischer Auffälligkeiten. Berrin T. ist gesund. Pleines teilt mit, „Frau T. ist eine Frau, die durchaus auf Zeiten beruflicher Anpassung zurückblicken kann“. Sie habe durchaus stabile Lebensverhältnisse gehabt, sich konstruktiv mit Leistungsträgern und Vermietern gestritten und allen jugendamtlichen Interventionen getrotzt. Stattdessen sei bei Berrin T. von einer Lernbehinderung auszugehen. Er sieht sie jedoch als voll schuldfähig: „Frau T. ist nicht in einem Maße minderbegabt, dass ihr die Einsichtsfähigkeit in ihr Tun fehlen würde“. Erst am Ende des Berichts kommt der Hammer: „Frau T. ist weit von einer eingewurzelten Bereitschaft zu Rechtsbrüchen entfernt“ meint Pleines. Er sieht die Tat den „Umständen“ geschuldet. Aus diesem Grund hält er Sicherungsverwahrung nicht für nötig.

Ich bin sicherlich kein prominenter psychologischer Gutachter wie Herr Dr. Pleines, aber so ein wenig ist aus meinem Psychologiestudium doch hängengeblieben – hauptsächlich was man als Psychologe NICHT mit Sicherheit sagen kann. Selbst wenn die Taten „nur“ den Umständen geschuldet wären, wie kann ich garantieren, dass Berrin T. nicht nach ihrer Entlassung wieder in eine ähnliche Konstellation gerät? Offensichtlich hat es ihr darin so gut gefallen, dass sie bereit war, ihr eigenes Kind zu opfern und selbst der Gutachter sieht kein bis sehr wenig Einsicht in die begangenen Straftaten.

Das Urteil von 12 Jahren ist kein Pappenstiel, trotzdem, es bleibt die Frage, was jemand tun muss, um das mögliche Strafmaß voll auszuschöpfen? Maximal wären 15 Jahre plus anschließende Sicherheitsverwahrung möglich gewesen. Dies ist laut Gesetz bei „schwerster Schuld“ zu verhängen. Wenn man davon ausgeht, dass Richter Bürgelin nach Recht und Gesetz geurteilt hat, muss es ja offensichtlich mildernde Umstände gegeben haben – weswegen nicht das volle Strafmaß verhängt wurde. Das war kein Versehen. Zitat Bürgelin: „Uns ist bewusst, dass die Öffentlichkeit das Urteil als zu milde bewerten wird.“ Ich sehe nicht, was Berrin T. als schuldmindernd gelten machen könnte. Es gibt keine Einsicht, keine nach außen sichtbare Reue, kein echtes Geständnis – immer nur zugeben, was nicht mehr zu leugnen ist – und auch dem Kind wurde eine Befragung durch ein umfassendes Geständnis nicht erspart. Alles Dinge, die bei dem Mitangeklagten zu finden waren – der übrigens eine höhere Strafe erhalten hat.

Scheinbar war für die beteiligten Juristen alles in Ordnung. Selbst die Anklägerin Novak war zufrieden: „…es ist ein guter Tag für den Rechtsstaat. In dem Verfahren konnten alle Beteiligten ihr Gesicht wahren. Wir gehen auseinander und können uns gegenseitig in die Augen sehen. Das erlebt man mit solchen Angeklagten nicht alle Tage.“ Na, dann bin ich ja froh, dass alle so happy sind. Ich bin’s nicht und ich glaube auch nicht, dass dies für das betroffene Kind gilt. Wahrscheinlich werden aus den 12 Jahren bei guter Führung 6 und diese Mutter ist wieder draußen. Dann können die Strukturen wieder wegsehen, die zu diesem Fall geführt haben. Offenbar stimmt die Redewendung wirklich: Auf See und vor Gericht ist alles möglich.

Am Ende fällt mir dazu ein Zitat von Bärbel Bohley ein: „Wir hatten Gerechtigkeit erhofft, doch bekommen haben wir den Rechtsstaat.“

Peace und danke für’s Lesen.

C.

#keinPolitiker

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Sind Fidget-Spinner User eigentlich Spinner?

von Ryan Dickey from Evanston, IL / Chicago, United States (Flickr) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Ich gebe zu, ich gehöre zu den Leuten, die häufig den Untergang der Welt, so wie wir sie kennen wittern, wenn es neue Trends im Internet zu bestaunen gibt. Trotz mehr als 30 Jahren in Marketing, Consulting und Management bin ich immer wieder verblüfft, was man den Menschen so andrehen kann, bzw. mit welchen Argumenten. Nachdem Nordic-Walking ja offenbar von einem findigen Skistockverkäufer im Sommer erfunden wurde, hat jetzt offenbar ein Hersteller von Kugellagern – wahrscheinlich aus dem schwäbischen, wenn ich raten müsste – den neuesten Marketinghammer abgeliefert. Fidget Spinner.  Ich war schon misstrauisch, bevor ich überhaupt wusste, was dahintersteckt. Der Name schien mir schon seltsam und ich witterte Anrüchiges. Ganz so schlimm war es dann nicht. Ohne mein Zutun erschienen immer mehr Videos von dem neuen „Tool“ in meiner Facebook Zeitleiste. Endgültig erreicht hat mich das Thema, als eine junge Dame, die mir sehr am Herzen liegt, sich so ein Ding gewünscht hat. Sehnlich. Unbedingt. Kein Problem. Warum nicht? Aufmerksam wurde ich dann durch das hysterische Lachen des Verkäufers im Spielzeugladen. „Ausverkauft!“. Offenbar waren ganze LKW-Ladungen innerhalb von Stunden vergriffen und man müsste vor dem Laden campieren, um einen zu bekommen. Ich war schon drauf und dran, im Baumarkt für 50 Cent ein paar Kugellager zu kaufen, als ein Tipp mich zu einer geheimen Quelle in einem Kiosk führte, wo man für schlappe 5,- € einen bekommen konnte. Das Ganze hatte etwas von Drogen kaufen.

Da so ein Ding nun mal im Haus war, wollte ich der Sache auch auf den Grund gehen. Kurz ins Internet und siehe da: der Fidget Spinner scheint ein universeller Heilsbringer zu sein. Hatte ich dem Teil etwa Unrecht getan? Nicht wenige „Psychologen“ – meistens keine studierten, aber dafür mit beeindruckender Liste von Wochenend- u. Onlinekursen zur Verhaltensmodifikation von Kindern und Jugendlichen, vorzugsweise mit ADHS, preisten das Ding als „Konzentrationstrainer“ an. Wahnsinn. Wissenschaftliche Arbeiten gab es zu dem Thema zwar keine, aber liegt doch auf der Hand. Wer das Ding dreht, beruhigt sich und zappelt nicht mehr. Wenn es nur so einfach wäre….

Peter Wolber (Deutsch: selbst gezeichnet) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons
Nutzen wir doch zur Abwechslung mal unser Gehirn und schauen uns mal an, was das Ding genau macht. Man hält es zwischen 2 Fingern während ein dritter dem Rotor gelegentlich und in unregelmäßigen Abständen einen Schubs gibt. Sicher, es gibt im Internet bestimmt Videos wo einer so ein Ding auf der Nasenspitze balanciert und dabei Rechenaufgaben löst, aber für die Meisten dürfte es wirklich nur festhalten und anschubsen sein. Und wie beruhigt uns das dann? Also aus der Perspektive unseres Gehirns sind zunächst einmal nur zwei Bereiche beteiligt. Der motorische Cortex – damit steuern wir die Finger, die das Ding festhalten und anschubsen – sowie der sensorische Cortex, der „merkt“, wie sich das Spielzeug anfühlt und, während der Drehbewegung, die Masse in Rotation wahrnimmt, wenn wir den drehenden Spinner leicht bewegen, während er rotiert. Beide Gehirnteile haben eine nette Angewohnheit. Je öfter wir etwas machen, man könnte auch sagen üben, desto weniger landet es in bewussten Verarbeitungsschritten. So ähnlich wie Radfahren. Wenn man es mal erlernt hat, geht es automatisch und man kann nur schwer erklären, was man eigentlich macht. So ähnlich läuft das auch mit dem „Fidgetspinnen“. Aber wie kommt man dann auf das Argument der „Beruhigung“.

Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=542357

Ganz einfach. Handspielzeug wird schon seit vielen Jahrhunderten in rituellen Handlungen eingesetzt. Jeder kennt den Rosenkranz, Muslime die Gebetsketten, selbst der Dalai Lama hat eine Gebetskette mit Kugeln und schon die Zauberer von früher kannten das Gomboly. Im Prinzip immer das Gleiche. Eine Kette mit einer Anzahl von Kugeln, die man rhythmisch, meistens zu bestimmten Handlungen oder Gebeten, durchzählt. Ähnliches passiert, wenn wir Musik mit einem prägnanten Rhythmus hören. Ganz besonders gut zu beobachten bei Techno oder ähnlichem, bei dem die Musik so manchen (auch wenn er kein Exstasy nimmt) in eine Art Trance versetzt. Häufig erzeugen wir selbst solche „Rhythmen“, wenn kein externer Stimulator zur Verfügung steht, um uns zu beruhigen. Wir wippen z.B. mit dem Fuß oder schaukeln mit dem Stuhl. Ganz genau kann den Mechanismus heute noch keiner erklären, aber einer aus meiner Sicht besten Ansätze stammt von Wolf Singer (mittlerweile schon im Ruhestand, aber früher u.a. erfolgreicher Neurowissenschaftler und Chef des FIAS in Frankfurt). Er forschte lange zum Thema „Bindungsproblem“. Das bezeichnet die Schwierigkeit zu erklären, wie unser Gehirn aus vielen Einzelteilen eine kongruente Erinnerung oder Wahrnehmung macht. Nehmen wir als Beispiel eine Rose. Es gibt im Gehirn kein Speicherplatz an dem die „Rose“ mit allen Eigenschaften gespeichert ist. Es gibt Bereiche, die „wissen“ was „rot“ bedeutet. Andere können den Begriff Blume semantisch mit Leben füllen. Wieder andere wissen, wie so ein Ding riecht und andere, dass es weh tut, wenn man sich an den Dornen sticht. So entsteht aus vielen Einzelteilen die Rose, mit all ihren Bedeutungen und Eigenschaften, in unserem Kopf. Oft sind Gehirnbereiche beteiligt, die weit voneinander entfernt liegen. Dazu kommt, dass wir vieles simultan wahrnehmen. Wenn wir also eine Rose und eine Tulpe sehen, wieso kommen wir bei den Eigenschaften nicht durcheinander? Die Antwort von Singer lautet: frequenzgesteuerte Synchronisation. Stark vereinfacht ausgedrückt: die beteiligten Hirnbereiche (Neurone) flackern kurz im gleichen Rhythmus und zeigen so an: wir gehören zu einer Wahrnehmung. Auf diese Weise kann im Hirn viel gleichzeitig passieren und keiner kommt sich in die Quere. Das gleichgeschaltete, man könnte auch sagen rhythmische, Aktivitätsmuster macht aus einem Chaos einen klaren Gedanken. Kein Wunder also, das es auf uns einen beruhigenden Einfluss haben kann, wenn wir uns rhythmisch mit irgendwas beschäftigen. Es macht uns buchstäblich Ordnung im Kopf. Egal ob wir die Perlen einer Gebetskette zählen, zu Techno tanzen, mit dem Fuß wippen oder im konstanten Tempo joggen. Die Liste ist endlos.

Wie passt jetzt also der Fidget Spinner da rein? Beruhigt der auch? Ich denke nicht. Soweit ich das beurteilen kann, wird das Ding nicht unbedingt in einem festen Rhythmus angeschubst – und damit entfällt der eigentliche Effekt. Ich denke, dass genau deswegen das Ding eher mehr ablenkt als hilft. Was bei einem Spielzeug als Zeitvertreib ja kein Problem ist, solange man es nicht als Konzentrationshilfe an Kinder oder besorgte Eltern verkauft. Zum Glück sind solche Trends ja nicht besonders langlebig. Wir können uns also beruhigt zurücklehnen. Die Dinger verschwinden auch wieder. Bis dahin beruhigen sie den Verkäufer. Der kann dann nämlich rhythmisch Geld zählen. Ich hab mir sagen lassen, das sei sogar doppelt beruhigend.

Danke fürs Lesen.

Peace. Euer Christian

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Wissen sie denn, was sie tun?

Truth and Wisdom assist History in writing by Jacob de Wit (Wikipedia)

Deutschland ist, ohne Frage, das Land der Bescheinigungen und Nachweise. Ich wette, in keinem anderen Land auf der Welt muss man für jeden Pieps eine Bescheinigung und einen ausführlichen Qualifikationsnachweis vorlegen – in 3-facher Ausfertigung und mit Stempel. Das fängt schon früh an. Selbst als Baby muss man sich seine Gesundheit beim Arzt mit einem Stempel in den Babypass bestätigen lassen – und wehe einer der „U“-Stempel ist nicht drin. Später sind es dann die Zeugnisse oder das Sporttauglichkeitsgutachten vor dem ersten „offiziellen“ Fußballspiel. Wer glaubt, als Erwachsener der Sache entkommen zu können: Von wegen. Für die meisten Berufe gibt es einen Ausbildungszwang, bevor man z.B. als Elektriker oder KFZ-Mechaniker fachgerecht arbeiten darf. Wer selber die Aufsicht führen will, muss einen Meister machen, und zur Ausbildung junger Menschen muss man sogar eine Ausbildereignung nachweisen. Das Ganze dient der „Qualitätssicherung“ und ehrlich gesagt finde ich das in den meisten Fällen auch sinnvoll. Eine gute Ausbildung ist was wert und auf der ganzen Welt schätzt man die Qualifikation der „Deutschen“. Das Ganze ist natürlich nicht nur auf potentiell gefährliche Bereiche beschränkt. Selbst wenn ich auf dem Schulfest der Kinder Würstchen für einen guten Zweck verkaufen will, komme ich um einiges an Papierkram nicht drum rum. Wenns blöd läuft, wollen die Helikopterelten auch noch einen Durchschlag des Gesundheitszeugnisses – oder fordern vegane Würste. Auch wenn heute jeder in seinem Handy eine Kamera hat, Fotograf ist man nur nach 3-jähriger Ausbildung – ganz egal wie gut man knipst. Auch zum Fischen von Muscheln, die nun nachweislich kein Gehirn bzw. Bewusstsein haben, brauch ich einen Angelschein. Den gibt es dann in allen möglichen Geschmacksrichtungen (Tümpel, Küste, vom Boot, auf dem Meer, usw.). Scheinbar ist Gefahr aber nicht unbedingt ein Kriterium. Sportschütze wird man relativ einfach und der „kleine“ Waffenschein ist nur Formsache.  Auf Prüfungen bzw. Fähigkeitsnachweise wird offensichtlich gerne mal verzichtet, auf den kostenpflichtigen Stempel nie.

Ganz krass ist es, wenn man an Menschen herumdoktern will. Mehr als 6 Jahre dauert es, wenn man Mediziner werden will. Eine der umfangreichsten Ausbildungen überhaupt. Ganz ähnlich ist es bei den Psychologen, die ich hier mal als Beispiel benutzen will, weil ich mich da besser auskenne. Um Psychologie zu studieren, muss man, wegen dem Nummerus clausus, erst einmal ein Top-Abitur abliefern. Jedes Jahr gibt es weit mehr Bewerber als Studienplätze. Wer das geschafft hat, muss erst mal 3 Jahre bis zum Bachelor studieren. Da wird dann wieder gesiebt, und nur die Besten haben die Chance auf einen Masterplatz. Der Master dauert wiederum ca. 2 Jahre. Wer dann z.B. als Psychologe mit eigener Praxis für die Krankenkasse arbeiten will, muss zusätzlich noch eine Therapieausbildung machen – die dauert noch einmal 3 Jahre. Nach dem Abi also insgesamt 8 Jahre Ausbildung. Danach darf ich dem Patienten dann in einer Therapie Vorschläge machen, wie er sein Leben optimieren könnte. Wohlgemerkt: Vorschläge. Keine Weisungsbefugnis oder der Anspruch auf Unfehlbarkeit und die einzig ewige Wahrheit.

Wie schon gesagt, dass Ganze dient dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte. Das sind `ne ganze Menge: Würde, Privatsphäre, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Anspruch auf rechtliches Gehör und – mein Lieblingsrechtsgut – die Familie. Wie wir mittlerweile wissen, ist Familie nicht immer Vater, Mutter, Kind. Es gibt da viele Möglichkeiten, von Alleinerziehend bis Patchwork. Da es sich bei der Familie offensichtlich um ein extrem wichtiges Rechtsgut handelt, würde man annehmen, dass diejenigen, die sich beruflich mit Familien beschäftigen, bis unter den Haaransatz ausgebildet sind. Ein Arzt braucht z.B. eine Facharztausbildung, um Kinderarzt zu werden. In den Kinderkrippen und Kindergärten sind es im Regelfall ausgebildete Erzieherinnen, die 3 Jahre Ausbildung (davon mindestens 1 Jahr praktisch) hatten. Lehrer funktioniert so ähnlich, wobei die Fachausbildung da überwiegt. Es wird also eher der Stoff als der Lehrkörper trainiert, aber auch hier erfolgt eine mehrjährige Ausbildung. Soweit, so gut – aber was passiert, wenn man als Familie in einer Krisensituation wirklich Hilfe benötigt? Woher kommen da die Fachleute?

Quelle: Wikipedia

Wenns kracht, sind die ersten Mitkombattanten in der Regel Anwälte. Die kennen sich mit Gesetzen super aus (viele Jahre Studium), sind aber sicher unverdächtig, wenn man nach pädagogisch oder psychologisch geschulten Menschen sucht. Es geht dann nicht mehr um „wie bekommen wir das mit möglichst wenig Schmerzen hin“ sondern „der, dessen Haus am längsten brennt, hat gewonnen“. Die Aufgabe ist es, möglichst viel für den Mandanten und oft auch möglichst viel Ärger für den „Gegner“ herauszuholen. Jede dritte Ehe wird geschieden. In der Mehrzahl reicht die Frau die Scheidung ein und in 50% aller Scheidungen gibt es Kinder unter 18 Jahren. Insgesamt waren 2014 rund 134.800 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Leider konnte ich unter dem Stichwort „einvernehmliche Scheidung“ kein Zahlenmaterial finden, aber es handelt sich dabei wohl eher um eine exotische Lösung. Das bedeutet, statt eines unabhängigen „Sachverständigen“, der sich neutral um eine faire Lösung für alle beteiligten Parteien kümmert, schicken wir zwei Kämpfer ins Rennen, die dann „gut“ sind, wenn der Ex-Partner ans Kreuz genagelt wurde und das Ganze auf der Basis starrer Regeln, die für alle gleich gut passen müssen. Bin ich der Einzige, für den sich das absurd anhört? Damit aber noch nicht genug.

Da häufig Kinder an Scheidungen beteiligt sind, ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis das Jugendamt mitspielt. Egal, ob es um eine Umgangsregelung oder Familienhilfe geht. Die Mitarbeiter beim Jugendamt haben ziemlich weitreichende Befugnisse. Nicht nur, dass es feststellt, was das Kindeswohl ist und wann ein Kind aus der Familie genommen wird. Es hat mit seiner Stellungnahme bei Gericht auch wesentlichen Einfluss auf Umgangs-, Besuchs- und Sorgerechtsregelungen. Die Ausbildung von Jugendamtsmitarbeiter kann dabei sehr variieren. Manchmal reicht eine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte, in einigen Fällen wird ein Studium der Sozialwissenschaften o.ä. gerne gesehen. Als Verwaltungsfachangestellte sind sie, was die Beurteilung von Kindeswohl und Co. auf ihre bisherige Lebenserfahrung angewiesen. Das findet nämlich während der Ausbildung nicht statt. Sollten sie mit ihrer Einschätzung einmal falsch liegen: Nicht so schlimm. Das Elternteil, das sich falsch behandelt fühlt, hat nämlich kaum die Chance, gegen ihren Beschluss vorzugehen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, und habe z.B. bei Väterforen nachgefragt, wie viele wirklich schon mit einem Einspruch beim Jugendamt Erfolg hatten. Die Palette ging von schriftlich beschweren, über Termin beim Chef bis hin zur Klage. Ich konnte keinen Fall finden, bei dem es tatsächlich etwas genutzt hätte. Damit hätten wir also schon den zweiten Laien im Bunde, der maßgeblich darüber bestimmt, was der Schutz des Grundgesetzes in der Praxis wirklich wert ist.

Als nächstes gibt das Jugendamt die Familienhilfe wahrscheinlich an eine externe Organisation ab. Davon gibt es viele in Deutschland. Die meisten sind unter kirchlicher Trägerschaft. Das bedeutet aber keineswegs, dass diese Organisation nicht profitorientiert arbeitet. Nehmen wir ein konkretes Beispiel – den Namen der „Firma“ lass ich aus rechtlichen Gründen lieber weg. Ein Verein, der sich auf der Webseite als Unternehmen bezeichnet, in Trägerschaft einer großen Volkskirche. Der „Verein“ hat mehr als 2.000 Mitarbeiter und mehr als 60 Standorte. Er berechnet dem Jugendamt ca. 60€/Stunde für die Familienhilfe. Gearbeitet wird im Tandem, d.h. ein Mitarbeiter betreut die Kinder, ein anderer Mitarbeiter „berät“ und ist bei den Elterngesprächen anwesend und moderiert. Die Qualifikation der Mitarbeiter ist weit gestreut. Es ist aber sicher kein Einzelfall, wenn ich behaupte, dass die Leistungsstunden in der Regel von Studenten, oder bestenfalls von frischgebackenen Bachelors geleistet werden. Im Klartext heißt das, dass die Betreuung und die spätere Einschätzung, welche Schritte z.B. beim Umgangsrecht eingeleitet werden sollen, unter Umständen (wahrscheinlich häufiger, als uns lieb ist) von einem Mitarbeiter ohne die entsprechende formale Qualifikation vorgenommen wird – der trotzdem voll bezahlt wird. In der Regel sehr junge Menschen, die dadurch zwar einen guten Draht zu jüngeren Kindern haben, aber im Regelfall kaum oder keine Erfahrungen haben, was Erziehung und Eltern-sein wirklich in der Praxis bedeutet – zumindest außerhalb einer „Besuchssituation“. Wer Glück hat, gerät an einen erfahrenen Sozialpädagogen oder Erziehungswissenschaftler. Das geht vergleichsweise schneller, als ein Psychologiestudium und man darf viel früher über das Schicksal von Menschen entscheiden. Erziehungswissenschaften (und die Ausbildung von Lehrern) wird zu 77% von Frauen belegt. Ich will ja niemanden Parteilichkeit unterstellen, aber bei meinen eigenen Erfahrungen ist schon deutlich gewesen, dass Rollenstereotypen gerne genommen werden.  Es erfordert einen ziemlichen Aufwand und Nerven, permanent beweisen zu müssen, dass beide Geschlechter gleichgut Eltern sein können bzw. das Fehlverhalten nicht geschlechterspezifisch ist. Eine Schiedsstelle gibt es auch hier nicht. Der Verein hört sich die Kritikpunkte an  (bestenfalls – wer Pech hat, taucht dann im Bericht als aggressiver Gesprächspartner auf) und schreibt dann seinen Bericht ans Jugendamt, welches diesen an das Gericht weiterreicht. Womit wir beim nächsten Punkt wären.

Das Gericht wird als ersten Schritt, zum Schutz des Kindeswohls, einen Verfahrensbeistand bestellen. Dieser ist weder Mutter noch Vater verpflichtet. Er soll die Interessen der Kinder vertreten und ist – welche Überraschung – Jurist. Wie bitte? Also in unseren Gesetzen steht nicht im Detail drin, wie sich Kindeswohl definiert, lediglich, dass es Priorität hat. Deswegen muss sich der Anwalt der Kinder ganz allein überlegen, was das wohl wäre. Wieder kein Psychologe oder ein speziell ausgebildeter Erwachsener. Und wie gewohnt: Gegen das Votum des Verfahrensbeistands gibt es natürlich auch kein Vetorecht. Der Richter entscheidet dann nach Ermessen. Vorher wird wahrscheinlich noch ein Gutachter bestellt. Das im Detail zu beleuchten, würde den Blogbeitrag sprengen, aber um es kurz zu machen: Die Anzahl bekannter schlechter oder schlicht falscher Gutachten an deutschen Familiengerichten ist legendär. Es liegt im Wesentlichen daran, dass die Qualifikation der Gutachter oft fragwürdig ist und die Versuchung mit Copy & Paste – oder insgesamt mit wenig Zeitaufwand – für die Begutachtung zu arbeiten, bei andererseits exorbitanter Entlohnung, wohl vielfach den Gutachter übermannt. Hier wird dann z.B. entschieden, ob Du dein Kind jemals wiedersiehst.

Damit wären wir am Ende der Kette angelangt.

Quelle: Wikipedia

In dem ganzen Verlauf einer Trennung/Scheidung geht es um Menschen. Nicht vorrangig um Vermögenswerte oder Versorgungsausgleich. Überall machen wir ein Riesenbohei um Zeugnisse, Ausbildungen, Zertifikate und Stempel, aber gerade hier setzen wir (fast) ausschließlich fachfremde Personen ein, um den Prozess zu begleiten. Die Ergebnisse sind offensichtlich. In der Regel bedeutet für mindestens eine Partei die Scheidung den finanziellen Supergau und den quasi Verlust der Kinder. Statt den ganzen Prozess in eine neutrale Ecke zu holen und es von ausgebildeten Fachleuten (Psychologen, Rechtsgelehrte, usw.) leiten zu lassen, entscheiden wir uns dafür, die Kriegsparteien mit Gefolge aufeinander zu hetzen und einen qualifizierten Schiedsrichter über weite Strecken einfach wegzulassen. Ein Großteil der Beteiligten wird besser bezahlt, wenn es richtig kracht, oder erhält überhaupt nur Arbeit, wenn die Fetzen fliegen. Gar nicht erwähnt habe ich, wie lange es dauert, überhaupt in so einer Angelegenheit vor Gericht Gehör zu finden. Der Mittelwert bis zur ersten Entscheidung eines Umgangsrecht lag bei den Fällen, die ich mir angesehen habe, bei > 1 Jahr, wobei mehrere Jahre keine Seltenheit sind. Bis alle ihren Senf dazu gegeben haben, dauert es seine Zeit.

Man hat 1976 die Schuldfrage im Scheidungsrecht abgeschafft. Man trug damit der Tatsache Rechnung, dass zu einer gescheiterten Ehe immer 2 gehören. Der Grundsatz „nulla poena since culpa“ – niemand darf bestraft werden, den keine Schuld trifft – ist aber nach wie vor einer der Grundsäulen unseres Rechtssystems. Leider kann ich nicht sehen, dass der Ablauf von Scheidungsverfahren diesem Anspruch gerecht wird. Wenn das Kindeswohl wirklich im Mittelpunkt steht, müsste der Staat von Anfang an dafür sorgen, dass qualifizierte und neutrale Fachleute den Prozess leiten. Stattdessen haben wir eine Realität, die häufig (vielleicht sogar im Regelfall) vor dreckiger Wäsche, Verleumdungen und Entfremdung der Kinder nur so strotzt.

Wo hierbei die Familie – auch nach einer Scheidung gibt es sowas wie Familien – von unserem Grundgesetz besonders geschützt wird, kann ich nicht erkennen. Es erinnert mich eher an ein Sprichwort, das ich mal in USA gehört habe: „Wenn Du als Werkzeug nur einen Hammer hast, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus“.

P.S: Ich bin der Letzte, der etwas gegen Autodidakten hätte, und vielfach machen gerade die eine besonders gute Arbeit, weil sie mit Herzblut dabei sind. Leider konnte ich im Kontext Scheidung/Familiengericht keine finden. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine gibt.

Viel Spaß beim Lesen.

Peace. Euer Christian

 

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Die kommenden Tage….

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über meine Sehnsucht nach einem neuen Utopia geschrieben. Ein schöner Traum, leider nicht allzu wahrscheinlich. Nur ein Narr bereitet sich ausschließlich auf seine Traumzukunft vor. Zu schwarz sollte man die Zukunft auch nicht sehen, sonst wird es schwer weiter durchzuhalten. Nun mag jeder seine individuelle Linie ziehen zwischen „zu rosig“ und „zu schwarz“, aber ich finde es es ein guter Anfang mit den Prognosen zu starten, die halbwegs gesichert sind, oder, falls es keine gibt, einen aufmerksamen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

So einen Versuch macht auch der Film „Die kommenden Tage“ aus dem Jahr 2010, von dem ich auch den Titel dieses Beitrags entliehen habe. Er beschreibt die Veränderungen im Leben einer Familie, genauer zweier Schwestern, in der Zeitspanne 2012-2020. Es vergeht eigentlich kein Jahr, in dem ich mir den Film nicht ansehe, und in jedem Jahr bekomme ich mehr Angst, dass man es sich in 2020 nicht mehr als Spielfilm, sondern als Doku ansehen wird. Eine ganz normale Familie in einer sich schnell verändernden Welt. Der Vater Anwalt der Großindustrie, die Mutter frustrierte Hausfrau, der Sohn orientierungslos und später als Bundeswehrsoldat im Ausland, und die beiden Töchter. Während die eine verzweifelt versucht, ihre Träume (Studium, Familie, heile Welt) zu retten, wird die andere durch vermeintliche Intellektuelle in den bewaffneten Widerstand gezogen. Alles beginnt harmlos – fast könnte es die Momentaufnahme einer heutigen deutschen Durchschnittsfamilie sein.

Wie sieht unsere Zukunft denn nun wirklich aus? Wagen wir doch mal eine Projektion auf der Basis der vorliegenden Daten. Im Moment scheint die Flüchtlingswelle unser größtes Problem zu sein. Dazu Altersarmut, weiterer Abbau des Sozialstaats, schwierige Wirtschaftssituationen. Der Klimawandel läuft als Problem quasi nur so mit. Der Verkauf von SUVs boomt immer noch – scheinbar also noch kein Grund zur Panik. Ich denke, nach den Erfahrungen von Kyoto usw. wird keiner mehr glauben, dass wir die Erderwärmung auf 1-2 Grad begrenzen können. Realistischer ist da schon eher Hoffnung unter 5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu bleiben. Bis zum Ende des Jahrhunderts hört sich lange an, aber das täuscht. Die Kinder, die heute geboren werden, werden schon kurz nach Erreichen der Volljährigkeit eine völlig andere Landkarte sehen als wir. Meine Kinder, heute 11 und 13, werden wohl schon vor dem Erreichen ihres 30. Lebensjahrs größere Veränderungen miterleben. Es passiert jetzt!

Selbst wenn wir uns nur die nächsten 20 Jahre ansehen – und damit sicher bei den meisten Lesern noch innerhalb der aktiven Lebensspanne bleiben – wird sich einiges ändern. Die wesentlichste Änderung wird Afrika betreffen. Ein Kontinent, den die westliche Welt kompromisslos Ausbeutet und ohne Skrupel als Rohstofflieferant ausnutzt. Seit wir die EU (und Entwicklungshilfe) haben, muss Afrika auch noch als Abnehmer unserer Über- oder Billigproduktionen herhalten. Auch unseren Müll lassen wir dort hinreisen. Durch den Klimawandel wird Zentralafrika und weite Teile des Restkontinents schlicht unbewohnbar. Wer dort bleibt, stirbt. Die Folgen für die Umwelt werden verheerend sein, aber die Folgen der unvermeidlichen Völkerwanderung werden uns eher treffen. In Afrika leben mehr als 1 Milliarde Menschen – zum Vergleich: Europa hat gerade Mal ca. 750 Millionen. Gehen wir dann davon aus, dass mindestens 50% der Menschen (konservative Schätzung) Afrika verlassen müssen, wenn sie überleben wollen, haben wir es also in der Tat mit einer Völkerwanderung zu tun. Es werden sich nicht alle auf einmal auf den Weg machen. 1-2 Generationen lang wird nur ein kleiner Teil kommen. Die die bleiben, werden sich an Tod und Elend gewöhnen. Es wird eine Generation aufwachsen, die ohne Chance ist und nichts zu verlieren hat. Sie wird daran gewöhnt sein, um knappe Ressourcen zu kämpfen und um überleben zu können, weitgehend empathiefrei ist. Zur Klarstellung: Das hat nichts mit Rasse, Religion oder sonstigen spezifischen Eigenschaften zu tun. Das ist die unausweichliche Folge der Umstände. Unsere Gesellschaft würde sich mit diesen Rahmenbedingungen genauso verändern. Auf den Weg machen sich dann nur noch die Jungen und Starken. Diejenigen die gekämpft haben und sich durchzubeißen wissen. Die schlauen, pfiffigen aber genauso die brutalsten von Allen. Die Familien, die Alten und Schwachen werden den Weg kaum schaffen. Schon heute ertrinken im Mittelmeer bei den Flüchtlingen überwiegend Frauen, Kinder und Alte. Diese Verzweifelten werden dann auf ein befestigtes Europa treffen. Europa, der Mittelschicht beraubt, überaltert und einer jungen Generation die ebenfalls mit einer 1.-Welt Perspektivlosigkeit aufgewachsen ist. Welche Ziele sind in Europa den interessant? Wo wird es keine katastrophalen Folgen des Klimawandels geben? Portugal, weite Teile Spaniens und Süditaliens wird es sicher auch treffen. Bleibt Frankreich, Deutschland, UK, Skandinavien und eventl. Osteuropa. Ein paar davon werden sicher die Landesgrenzen verteidigen, aber in vielen Staaten gibt es dazu gar nicht die entsprechende Landesverteidigung. Deutschland z.B. wird wohl kaum wieder in die Bundeswehr investieren oder eine Mauer bauen.

Spätestens jetzt möchte man lieber mit dem Gedankenspiel aufhören. Die Welt, wie wir sie heute kennen (oder besser sehen) wird dann aufhören zu existieren. Eine Flut von Menschen die absolut nichts zu verlieren hat auf der Suche nach einer Zukunft. Menschen die gelernt haben, dass keine Hilfe aus Europa zu erwarten ist und die schon ihr Leben lang für das eigene Überleben gekämpft haben. Wir, mit unseren Handys die ohne Koltan und andere Rohstoffe aus Afrika nicht funktionieren, unseren SUVs, unserem Bedarf an Kakao, Bananen, Erdöl, Diamanten, Baumwolle… – die Liste könnte endlos so weitergehen. Wir haben Afrika fast alles genommen und den meisten Afrikanern unseren Wohlstand verweigert. Wir haben das freie Saatgut durch gentechnisch verändertes und teures ersetzt. Sogar Wasser will Nestle und Co dort lieber verkaufen. Heute könnte die Erde auch ein 1.-Welt Verschwendungsnivieau ausgedehnt auf die 3. Welt nicht mehr aushalten.

Wenn das so kommt, wird sogar unsere Generation wieder physisch – mit der Waffe in der Hand – ums Überleben kämpfen müssen. Das klingt hart. Aber die kleine Menge an Flüchtlingen aus Syrien hat doch schon gezeigt wie wenig unsere Gesellschaft mit solchen Veränderungen umgehen kann. In 20 Jahren, wenn die wirtschaftliche Situation der meisten Menschen hier noch wesentlich schlechter sein wird wird ein kleiner Funke reichen um das Pulverfass zu zünden. Zyniker machen heute schon den Waffenschein und kaufen Aktien von Firmen die Stacheldrähte herstellen.

Einstein hat mal gesagt, dass es unerwartet schwer ist, die Menschen zu überreden ihrem eigenen Überleben zuzustimmen. Das gilt heute mehr denn je. Die notwenigen Schritte sind scheinbar in unserem politischen System nicht durchzusetzen. Ich bezweifle, dass z.B. ein radikaler Schuldenerlass für Afrika sowie der erhebliche Ausbau der Entwicklungshilfe, der Umbau unseres Steuersystems (Ressourcenverbrauch muss VIEL teurer werden), das Ende der Externalisierung von Problemen (z.B. Müllentsorgung im Ausland) wirklich eine breite Zustimmung finden würde – weil es nämlich nicht umsonst kommen kann. Wir müssten wirklich Opfer bringen. Am wichtigsten wäre aber eine Reform unseres Wirtschaftssystems. Wachstum als Antrieb und Pflicht führt unausweichlich zur Zerstörung. Es gibt in der Natur nur ein Beispiel für unbegrenztes Wachstum: Den Krebs – und der tötet am Ende den Wirt.

Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir lieber kämpfen oder teilen wollen. Noch geht teilen – und schlauer wäre es auch. Mir gefällt Teilen viel besser als Kämpfen. Schaut Euch doch mal den Film an, über den ich am Anfang dieses Blogs geschrieben habe.

Danke für’s Lesen.

Peace – Euer Christian

 

 

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Wenn ich einmal reich wär‘!

Source: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Euro-1_neu2.jpg
Source: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Euro-1_neu2.jpg

Nein, es handelt sich hier nicht um ein Essay über schnelle Autos, teure Uhren, exklusive Yachten und schöne Frauen – Alternativ für Menschen mit etwas älterer Vorbildung: Nein, es geht hier nicht um das Musical Anatevka. Wer also gerne über die Insignien von Reichtum und Macht liest, versucht es vielleicht besser auf iamarichrapayoubitch.com oder so.

Es geht vielmehr um die Frage was passieren würde, wenn man genug Ressourcen (neumodisch für Geld) hätte um wirklich was zu bewegen. Zugegeben, ich bin nicht der erste mit so einem Gedankenspiel. Schon sehr lange geistern verschiedenste Utopien von alternativen Gesellschaften durch die Literatur und Philosophie. Der tatsächliche Utopia Roman von Thomas Morus ist da bei weitem nicht der einzige. Auch heutzutage gibt es gute Berichte über alternative Versuche. Einer der letzten über den ich gelesen habe war Gaviotas (kann das Buch sehr empfehlen). Die Siedlung wurde 1971 gegründet und bis heute leben dort ca. 200 Menschen.

Fast Alle dieser Konzepte (genau genommen 100% von denen ich weiß) sehen die Unverzichtbarkeit von modernen Erziehungs- und Lernkonzepten für den Erfolg der Unternehmung. Kein Wunder. Ein geschlossenes Ökomodell für eine „Ernte“ am Leben zu halten ist nicht wirklich schwer. Nachhaltigkeit schon. Da sind die Menschen nicht anders als die Pflanzen. So unterschiedlich die Modelle auch sind, nicht immer handelt es sich um rein theoretische Überlegungen. Das beste Beispiel ich für mich das vielzitierte Beispiel Finnland, wenn es um eine Schulreform geht. Klar, fast jeder hat mitbekommen, dass Finnland es in weniger als einer Generation vom unteren PISA-Drittel  ganz an die Spitze geschafft hat. Die wenigsten (Profis aus Schule und Bildungswesen ausgenommen) dürften sich mal die Mühe gemacht haben rauszufinden woran das lag. Es gibt viele

Source: Michael Moore.
Source: Michael Moore.

Möglichkeiten das rauszufinden und eine kurzweilige ist z.B. der neue Michael Moore Film „Where to invade next“. Kurz zusammengefasst könnte man sagen: (weitgehender) Verzicht auf Hausaufgaben, weniger Schule (Stunden), mehr musische Fächer, Förderung der Schlüsselqualifikationen (Problemlöseverhalten, strukturiertes Arbeiten, sozialer Umgang, usw). Schon spannend wie man damit plötzlich bei den Rechen- u. Schreibtests von PISA ganz vorne mit dabei sein kann. Möglicherweise habe ich über die Walldorfschüler einmal zu viel gelacht! Dabei geben die Finnen gar nicht mehr, sondern weniger Geld für Schulen aus als wir. Das wäre ein mögliches Indiz dafür, dass man gar nicht so viel Geld haben muss um wirklich was zu bewirken. Oder wie Nena es in einem Song so schön ausdrückt: „Ich will nicht arm sein, aber Geld macht mich nicht reich“. Hammer wen ich hier alles zitiere….

Was ist eigentlich das Kernstück unserer Bildung, oder besser gesagt das Vehikel das wir dazu nutzen? Klar, Schule usw. Aber lasst uns etwas abstrakter werden. Schule beruht im Prinzip auf dem gleichen Konzept wie Verhaltenstherapie – die übrigens die am häufigsten angewandte Interventionsmethode bei psych. Problemen ist.

Lustige Gemeinsamkeit – oder vielleicht doch nicht so lustig!?

Das ganze beruht wiederum auf Forschung von einem gewissen Herrn Skinner. Auch wenn Sie den Namen noch nie gehört haben: Er ist Ihnen schon begegnet. Er hat viele Bücher geschrieben, z.B. über die Themen „klassische“ und „operante“ Konditionierung. Außerdem hat der zu diesen Themen die sog. Skinner-Box erfunden. Einfaches Prinzip: Wenn das

Source: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Skinner_box_de.png
Source: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Skinner_box_de.png

Versuchstier auf ein Signal nicht die gewünschte Reaktion zeigt gibt es kein Leckerli oder sogar einen Stromschlag oder etwas ähnlich Unangenehmes. Wie das so im Detail funktioniert kann man hier Nachlesen. Verhaltenstherapie ist so ähnlich – nur meistens ohne Stromschlag. Wie genau läuft das eigentlich in der Schule? Genau! Gleiches Prinzip. Und genau das haben die Finnen eben anders gelöst. Aber das noch bessere Beispiel liefert Skinner selbst. Die meisten Psychologen haben den guten Mann während der Ausbildung als knallharten Behavioristen kennengelernt. Die Vorstellung, dass jemand eine Box erfindet die dann kleinen Nagern Stromstöße gibt, wenn sie nicht parieren ist auch nicht besonders sympathisch. Ich glaube aber, dass wir dem guten Skinner unrecht tun. Im Gegensatz zu uns als Gesellschaft – die seine Lehren einfach auf unsere didaktischen und pädagogischen Konzepte sowie die Arbeitswelt angewandt haben – hat er weitergedacht. Er hat das Gute in dieser Idee gesehen.

Kaum beachtet neben seinem wissenschaftlichen Werk hat er Anfang der 70er das Buch „Walden 2“ (in Deutschland unter dem Titel „Futurum II“ erschienen) geschrieben. Es ist ohne Frage eines der Bücher das meinen Blick auf die Welt völlig verändert hat. Leider ist das Buch seit vielen Jahren nur gebraucht zu bekommen, aber dafür bekommt man für 2-3€ eine echte Inspiration. In seinem Buch zeigt Skinner wie man auf den Ideen seiner Forschung eine zutiefst freie und humanistische Gesellschaft aufbauen kann. Im Unterscheid zu vielen anderen Konzepten wird von Anfang an auf die Wirtschaftlichkeit des Modells wertgelegt.  Auch die Fragen wie man das „Außenverhältnis“ regeln kann – er nimmt nicht an, dass er schlagartig die ganze Welt bekehren kann – werden berührt. Das Ganze stellt letztlich eine Zusammenfassung vieler aktueller Positionen des heutigen Diskurses um die Frage „Wie sollen wir Leben“ da – 50 Jahre bevor wir diesen Punkt erreicht hatten. Bedingungsloses Grundeinkommen, freie Lehre, freies Gesundheitswesen, (flexible) Bezahlung nach dem gesellschaftlichen Wert der Arbeit, Gleichberechtigung und vieles mehr findet sich in seinem Konzept.

Viel bräuchte es nicht um dieses kleine Utopia, oder besser Futurum III, zu bauen. Zunächst braucht man einen Platz dafür. Wie z.B. die riesigen Flächen die in den neuen Bundesländern nahezu menschenleer sind und für „ein Butterbrot“ verkauft werden, weil es dort keine Arbeit gibt. Dann bräuchte man einen Kern von Menschen. Sozusagen die Saat. Diese Gründungsväter müssten noch bereit sein weitestgehend für die folgende Generation zu arbeiten und, noch wichtiger, das entsprechende Know-How mitbringen. Neben Handwerkern, Ärzten, Ingenieuren und Architekten bräuchte es aber auch eine Anzahl Künstler, Spinnern und Lebenskünstler damit es funktioniert.

Womit wir wieder am Anfang wären: Wenn ich einmal Reich wär! Wäre das nicht eine tolle Idee ein Stück Land zu kaufen und die Gründungsväter zusammen zu suchen? Was könnte aufregender oder lohnender sein? Das letzte echte Abenteuer: die Schaffung einer besseren Welt. Zumindest der Versuch lohnt sich auf jeden Fall.

Source: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Uckermark_Blick.jpg
Source: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Uckermark_Blick.jpg

Wer weiß? Vielleicht gewinne ich ja einmal den Jackpot. Dann wundert Euch nicht wenn ich dann aus der Uckermark schreibe und ein paar von Euch einlade 😉

Danke für’s Lesen.

Peace – Euer Christian

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Von Kindern und Computern

 

Quelle: FotoliaEs gibt einen simplen Grund warum wir wollen, dass unsere Kinder versiert im Umgang mit den „neuen Technologien“ sind. Weil wir sie lieben. Ich sage das ohne Pathos, es ist einfach so. Wir, damit meine ich die Menschen die zwischen den frühen 60er und späten 80er Jahren geboren sind. Wir stellen eine Gruppe von Menschen dar, die besondere Erfahrungen mit dem Thema Computer gemacht hat. Genau diese Erfahrungen machen uns so sicher, dass es buchstäblich existenziell ist, gut mit Computern „umgehen“ zu können. Diese Erkenntnis bringt uns dazu, Computerführerscheine im Kindergarten anzubieten, Computer- u. Internetzugang in der Grundschule zu ermöglichen, einen Internetzugang schon vor dem Erreichen der Pubertät als notwendig zu erachten und die Nachfrage im Markt für (Lern)spielsoftware jedes Jahr exponentiell zu steigern. Keine Modellschule ohne Multimedia-Whiteboards, das haben die teuren Privatschulen ja sowieso. Es gibt Tastaturen mit großen farbigen Knöpfen für Kinder die noch keine Buchstaben können. Körperliche Ertüchtigung geht jetzt auch „Indoor“ mit der Wii Station. Klar, dass der Papa in Computerfragen gerne seinen Sohn (oder Tochter“ fragt. Computerkurse für Kinder boomen, die für Erwachsene bei denen erklärt wird wie man sein Kind bei dieser Entdeckungsreise begleitet sind eher schwach besetzt.

Der Druck dem wir als Eltern uns ausgesetzt fühlen, unserem Kind den notwendigen Startvorteil zu sichern ist enorm. Zu groß ist die Angst, dass ausgerechnet unser Kind nicht „mitkommt“ bei den neuen Technologien. Warum ist das so?

Ich denke die Erfahrungen die wir mit diesem Thema gemacht haben sind, mehr oder weniger, universell. Allerdings glaube ich, dass es gerade in der vielbeschworenen Mittelschicht, früher auch Arbeiterklasse genannt, zu ganz besonders traumatischen Erfahrungen kam. Ich habe meinen ersten Computer mit rund 16 Jahren bekommen. Zu dieser Zeit war das praktisch revolutionär. Die ersten Homecomputer von Commodore kamen auf den Markt – zur gleichen Zeit überschwemmten die PC’s gerade Firmen in aller Welt und in der Fertigungsindustrie wurden vermehrt Roboter zur Montage eingesetzt. Mich hat dieser kleine C-64, liebevoll auch Brillenschachtel gennant, von Anfang an fasziniert. So sehr, dass ich in der Computerbranche mehr als 20 Jahre gearbeitet habe.

Der Zugang zur Welt der Computer war damals ein anderer. Um die Kisten zu benutzen musste man sie programmieren. Selbst um ein Spiel zu laden und zu spielen waren intime Kenntnisse des Betriebssystems notwendig. Das Verständnis was in der Kiste los war wurde zwangsweise mit erlernt. Die Bestseller waren die typischen rot-weißen Bücher von „Pater-Becker“ in denen es von kryptischen Codes, Peeks & Pokes und Ablaufdiagrammen nur so wimmelte. Es war vergleichsweise kompliziert. Man bekam nichts geschenkt. Kein Windows, kein Wizzard – noch nicht mal eine Hilfe Funktion oder aussagekräftige Fehlermeldungen.

Es war aber nicht nur diese Welt die es zu entdecken galt, es war auch die Erfahrung, dass in der Welt der „Großen“, das Wissen um diese Kisten von erheblicher Wichtigkeit war. Während meiner Ausbildung in der Automobilindustrie wurde ich Zeuge, wie gestandene Industriemeister die Hilfe der Azubis benötigten um dem Roboter die richtigen Bewegungen beizubringen. Das ganze Wissen, dass sie über 20, 30 manchmal 40 Berufsjahren gesammelt hatten war auf einmal nichts mehr wert. Ingenieure wurden eingeflogen um die neuen Kisten zu installieren. Für uns Azubis, alle mit „Computererfahrung“, war das der Himmel. Wir konnten nach Herzenslust in dem Meer von AND, OR und NOR-Verknüpfungen im Programmcode stöbern und viel dabei lernen. Es war ja letztlich das gleiche, was wir auch auf unseren Kisten zuhause machten. Wir begannen, ohne es wirklich zu bemerken, die Alten zu verdrängen. Nach der Lehre konnten wir sofort in diesen Bereichen eingesetzt werden, während unsere Väter sich noch lange Jahre durch Weiterbildungen quälen mußten, um dann doch schließlich vor der Übermacht der Jungen kapitulieren zu müssen.

Da war er tatsächlich: Der Startvorteil. Eine ganze Generation hatte erfahren, dass diese spezielle Wissen in einer Welt, in der bisher das reine Erfahrungswissen der Älteren dominierte, zum entscheidenden Punkt geworden war. Wir waren der King – am Computer, aber auch am Videorekorder! Der Umgang mit Technik war einfach geworden – wir hatten die Grundprinzipien verstanden und konnten sie nun überall nutzen. Wir sahen aber auch, welche Folgen es für die anderen hatte, die mit diesen neuen Anforderungen nicht zurecht kamen. Die Arbeitslosigkeit derjenigen die nicht mit der neuen Technik umgehen konnte stieg stetig. Dazu kam das auch der erfolg in anderen Branchen, z.B. bei den Banken, sehr mit dem geschickten Umgang mit Computern zusammen hing. Wir alle haben den Film „Wallstreet“ gesehen, bei dem Buddy Fox nachts am Computer Millionen an der Börse in Tokio machte. Uns war klar: Ohne Computerkenntnisse sind wir in der Welt von heute verloren! Unser Glück hängt davon ab. Diese Angst ist der Grund warum wir unsere Kinder heute so früh an diese Kisten schicken.
Quelle: Kunstmenschen.comDamit sind wir wieder am Anfangspunkt. Wir lieben unsere Kinder und wollen das beste. Die Erfahrungen unserer Väter (und Mütter) sollen ihnen erspart bleiben. Aber: Zeiten ändern sich. Kann man unsere Erfahrungen wirklich auf die Situation heute übertragen? Mir kommt bei dieser Frage immer ein Experiment in den Sinn das ich bei einem Biologen gesehen habe. Eine Vogelmutter bringt Nahrung ins Nest, wo ihre Kücken mit weit aufgerissenen Schnabel warten. Der aufgerissene Schnabel ist eine Aufforderung an die Mutter das Kücken zu füttern. Das Nahrungsangebot in der freien Natur setzt dem Vorgang hier aber eine natürlich Grenze. Man muss lange suchen um genug Nahrung zu finden bis ein Kücken satt wird. Inzwischen ist das nächste schon wieder hungrig. Gibt es ein Kücken, dass häufig nicht um Futter bittet, wir des die Mutter für krank halten. Die Evolution hat es in diesem Fall so eingerichtet, dass die Mutter das Kücken dann aus dem Nest wirft um nicht wertvolle Nahrung an ein krankes Kücken zu verschwenden. Grausam, aber wirkungsvoll. In einem Versuchsaufbau wurde nun in der Nähe des Nests ein großer Haufen Würmer platziert. Damit konnte die Mutter in kurzer Zeit große Mengen Nahrung zum Nest bringen. Es dauerte nicht lange bis alle Kücken pappsatt waren. Was passierte dann? Nach einer weile fing die Mutter an, alle Kücken aus dem Nest zu werfen. Sie hatte nicht bemerkt, dass sinnvolles Verhalten durch eine Veränderung der Lebenswelt zu einer schrecklichen Fehlentscheidung geführt hatte. Diejenigen die sie schützen wollte, wurden nun Opfer.

Machen wir also einen Schritt zurück und schauen uns an, was wir a) welche Computerkenntnisse wir wirklich benötigen um erfolgreich ins Berufsleben zu starten und b) welche Kenntnisse wir typischerweise heute Kindern am Computer vermitteln.

Punkt a) ist vergleichsweise einfach zu beantworten. Wir müssen den Kasten einschalten können und Normalfall eine Anmeldeprozedur absolvieren. Danach haben wir es dann mit spezieller Anwendungssoftware zu tun die unserer Tätigkeit entspricht. Manchmal kommen dann noch universelle Werkzeuge wie Internet, Präsentationsprogramme oder ähnliches dazu. Wenn wir nicht gerade IT-Servicetechniker sind, wissen wir über die Vorgänge im Innern dieser Kisten eigentlich nichts. Beispiel: Die erfolgreichste Firma für Anwendungen in Firmen ist SAP. Deren Berater haben ein umfassendes Wissen zu den Betriebsabläufen der entsprechenden Branchen. Es sind hochbezahlte Speziallisten. Installieren können sie die Software aber nicht. Das machen dann andere – eben jene die sich auf die Technik im Hintergrund spezialisiert haben. Was bedeutet das? Da ich heute nicht weiß, in welcher Branche mein Kind später arbeiten wird kann ich es kaum auf eine spezielle Software vorbereiten. Meistens kommt dann von anderen Eltern der Hinweis, dass Dinge wie Textverarbeitung, Internet oder Windows ja „im Prinzip“ ähnlich waren. Ich glaube, dass das Bullshit ist. Haben Sie mal Windows 1.0 mit Windows 7 verglichen? Klar, da gibt es Fenster. Das waren dann aber auch schon fast alle Gemeinsamkeiten. Auch die Eingabegeräte sind einer erheblichen Evolution unterworfen. Früher wurde getippt, dann kam die Maus, heute gitb es Touchscreens. Kein Mensch weiß, wo wir in 10 Jahren sind. Außerdem sind viele Dinge, z.B. die Steuerung mit der Maus, so trivial, dass man sie einem 4 jährigen in 3 Min. beibringen kann.

Damit sind wir bei Punkt b). Was bringen wir Kindern am Computer heute bei? Machen wir es kurz. Wir schulen sie im Normalfall an spezifischer Anwendungssoftware, d.h. sie lernen MS-Office. Damit machen wir dann schöne Präsentationen oder Internetrecherchen und tippen die Berichte dann ein. Was ich davon halte? Siehe Punkt a)!

Macht das Sinn? Natürlich nicht! Was müssten wir also tun? Jetzt kommt’s: Schlüsselqualifikationen! Was genau sind diese Schlüsselqualifikationen. Davon gibt es natürlich viele.

Für ein sinnvolles Beispiel würde ich den Umgang mit kausalen Verknüpfungen halten. Was das ist?  Also: Wenn ich keine sinnvolle Frage bei Google eingebe kann auch keine sinnvolle Antwort erwartet werden. Das schöne ist, dass sich kausale Verknüpfungen überall im Leben üben lassen. Beispiel: Wenn du mir gegenüber vorlaut und frech bist kannst du auch keine Antwort von mir erwarten. Wenn du deine Klamotten nicht in den Wäschekorb räumst werde ich sie auch nicht waschen. Ihnen fallen sicher auch Beispiele ein.

Manchmal ist es gut an den Anfang zurück zu gehen. Warum wurden Computer eigentlich erfunden? Was machte sie so erfolgreich? Die simpelste Antwort darauf scheint mir immer noch „Sie sparen Zeit“ zu sein. Computer erledigen viele Dinge schneller und sparen uns so Zeit die wir mit anderen Aktivitäten verbringen können. Für Firmen kann so die Produktivität gesteigert werden, im Privaten gewinnen wir vielleicht mehr Freizeit. Für das Thema Kinder und Computer gilt eigentlich dasselbe. Die Zeit die hier gespart wird ist allerdings nicht die Zeit der Kinder. Vielmehr wird die Zeit derjenigen gespart, die sich sonst mit den Kindern beschäftigen müssten. Soweit es mich betrifft, spare ich lieber an anderer Stelle. Oder, um es zeitgemäß auszudrücken: Ich shifte meine workflow optimisation lieber in eine andere area. Tja.. so hab ich wirklich mal geredet – kaum zu glauben!

Damit aus diesem (viel zu langen) Blogbeitrag kein Buch wird komme ich lieber zum Schluss. Ich glaube, wie sollten die Zeit lieber mit den Basics verbringen. Die Projektionen, die wir in das Computer-Know-How legen gelten zum großen Teil heute nicht mehr. Der Umgang mit Technik ist kein Paradigmenwechsel mehr sondern einfach nur noch Alltag. Eine besondere Vorbereitung ist schlicht nicht mehr nötig. Das bisschen Computer lernen die Kinder dann ganz schnell wenn es benötigt wird. Das erkennen von Regeln, den Wert von Anstrengung und die eigene Wertschätzung sind sicher wichtiger als perfekte Präsentationen mit Powerpoint in der 6. Klasse.

Übrigens: Wussten Sie das die Ursache für die Explosion der Raumfähre Challenger von der Nasa in einer zu starken Vereinfachung von Problemen in einer Powerpoint-Präsentation gesehen wurde. Aus diesem Grund sind bei der Nasa keine Präsentationen mehr zur Darstellung von wichtigen Sachverhalten erlaubt.

Vielen Dank für’s Lesen!

Peace – euer Christian

P.S: Wer hat die besten Beispiele für das Erlernen von Schlüsselqualifikationen? Einfach hier als Kommentar posten!