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Dann nennt mich halt Nazi….

Die Nazis von 1933 würden sich wahrscheinlich im Grab umdrehen, wenn sie hören würden, wer heutzutage alles Nazi genannt wird. Damals, also 1933, musste man (sich) schon einiges leisten, um wirklich als Nazi akzeptiert zu werden. Bei Juden Scheiben einwerfen, Behinderte anzeigen und deportieren, Kinder und Jugendliche zu Soldaten „heranformen“. Gauleiter wurde man nicht einfach so! Heute, so scheint es mir häufig, gibt es ja überall Nazis – quasi. Es reicht allerdings schon, wenn man nicht in der Karenzzeit von 30 Sekunden empört und unter Protest aufspringt, wenn jemand den Raum betritt, der in seiner Facebook-Freundesliste einen hat, der einen kennt, der wahrscheinlich AfD wählt. Harte Zeiten, kein Nazi zu sein. Die sind ja plötzlich überall.

Das Thema würde sich so gut für Satire eignen, wenn es nicht so traurig real wäre. Das „gute“ Deutschland steht geschlossen gegen Rechts – nur dass scheinbar bei einigen der Kompass kaputt ist. Da wird gegen Faschismus demonstriert und im gleichen Atemzug politisch anders Denkenden das Demonstrationsrecht abgesprochen. Da ist man gegen Gewalt, verhaut aber ganz gerne mal Menschen, die die „falsche“ Parteiflagge tragen. Insgesamt scheinen die demokratischen Ideale im Moment eher eine Frage der Windrichtung. Ich konnte es gar nicht glauben, als mir bei einer Demo in Mainz erklärt wurde, es gäbe kein Recht auf Nazipropaganda. Leider falsch! Gibt es sehr wohl in einer Demokratie. Solange das nicht im Widerspruch zu den gültigen Gesetzen steht, darf jeder beliebig Dummheiten von sich geben. Auch wenn mir das nicht passt. Wobei… bei „Kein Recht auf Dummheit“ – egal von welcher Himmelsrichtung – wäre ich sofort dabei. Faschismus beginnt genau da, wo ich mir Sonderrechte einräume, weil ich ja „der Gute“ bin.

Wir buhen, pfeifen und grenzen aus, was das Zeug hält, wenn die AfD & Co. irgendwo erscheint. Im Bundestag sind sich die Parteien nur bei 2 Punkten einig: bei Diätenerhöhungen und dass die AfD Scheiße ist. Ich verstehe schon, dass man das Bedürfnis hat, gegen Rassismus und Fremdenhass etwas zu unternehmen. Allerdings sollte man von Zeit zu Zeit auch mal schauen, ob das bisherige Verhalten den gewünschten Effekt hatte. Was haben wir denn bisher erreicht, sagen wir in den letzten 3 – 4 Jahren? Konnten wir „die Bösen“ zurück drängen? Gibt es jetzt weniger fremdenfeindliche Parolen? Haben wir die Ursachen dafür wirkungsvoll bekämpft? Pustekuchen! Es wurde eher schlimmer als besser und ich darf gar nicht daran denken, wie die nächste Wahl wohl ausgeht.

Kein Mensch wird als Nazi geboren – nicht mal in Sachsen. Ich glaube auch, dass 95% der Menschen, die AfD wählen, weit davon entfernt sind, wirklich Nazi zu sein. Es mag nicht schlau sein, aber sie wählen die AfD aus Angst – nicht aus Hass. Und genau deshalb, machen wir es immer schlimmer und werden den Zulauf der rechten Parteien nicht mindern können. Statt diesen Menschen ihre Angst um Zukunft, wirtschaftlichen und sozialen Abstieg oder Sicherheit zu nehmen, kesseln wir sie lieber bei Demos ein, hetzen bei jeder Gelegenheit über sie und machen deutlich, dass sie „nicht zu Deutschland“ gehören. Jetzt mal ehrlich – das soll funktionieren? Zurückdrängen der Rechten durch Ausgrenzung? Lief ja die letzten Jahre super.

Wenn wir wollen, dass es weniger Rechte gibt, sind – so glaube ich – 2 Dinge elementar: Wir müssen wieder ehrlich sein und wir müssen diesen Menschen die Angst nehmen. Zum Glück – oder Unglück – sind diese beiden Punkte eng miteinander verknüpft.

Was meine ich mit „ehrlich sein“? Keine Sau glaubt noch einem Politiker. Wir werden permanent mit lustigen Statistiken berieselt, dass alles gut ist. Wer genauer hinsieht, stellt schnell fest, dass hier gerne mal Details ausgelassen werden. Mein Lieblingsbeispiel ist das Thema Kriminalität bei Zuwanderern bzw. Asylanten. Offiziell hören wir etwas über einen insgesamt gesunkenen Level an Kriminalität. Wer sich aber die Mühe macht, findet in den Zahlen tatsächlich Besonderheiten, die auf Zuwanderung und Asylrecht zurück gehen. Es ist also durchaus berechtigt, sich Gedanken zu machen, inwiefern Asylsuchende die Sicherheit der Bürger beeinflussen. Deswegen ist man noch lange kein Nazi. Außerdem ist es für einen normalen Bürger kaum einsehbar, warum er bei jeder kleinen Ordnungswidrigkeit sofort – bis zur Durchsetzung von Ordnungshaft – vom Staat zur Rechenschaft gezogen wird, während man andererseits einfach Regeln und Gesetze außer Kraft setzt oder Jahre braucht, um einen Kriminellen wieder abzuschieben – falls das überhaupt möglich ist. Mir ist klar, dass es für die langen Verfahren gute Gründe gibt, die nun mal in der Natur eines Rechtsstaats (Widerspruchsrecht) liegen, aber das hilft den meisten Menschen in ihren jeweiligen Lebensumständen überhaupt nicht.

Insgesamt scheint die Frage des Asyls der Prüfstein unserer Gesellschaft zu sein. Ich wollte es wäre anders, denn es gibt kaum eine schwierigere Frage. Auch hier, denke ich, sollten wir zuerst ehrlich mit uns selbst sein. Das wir in Deutschland geboren sind und nicht in Mali, ist Zufall. Wir waren wahrscheinlich nur wenig am deutschen Wirtschaftswunder beteiligt und kaufen gerne Waren, die billig aus dritte Welt Ländern eingeführt werden oder von deren Arbeitskräften erzeugt wurden. Wir haben in den letzten 50 Jahren wahrscheinlich nicht effizient gegen Krieg in aller Welt gekämpft und arbeiten gerne in einem Betrieb, der u.U. von der EU Wirtschaftspolitik, die dritte Welt -Staaten ausbeutet, profitiert. All das ist so, aber falls wir nicht gerade zu den paar hundert Politikern oder Industriellen mit echter Macht gehören, haben wir wenig Möglichkeiten daran etwas zu ändern. Der ethische Imperativ sagt uns ganz klar: unser Leben ist nicht mehr wert, als der des 15-jährigen Jungen aus der Sahelzone, der sich auf den Weg nach Europa macht. Insofern gibt es keine „moralische“ Rechtfertigung, Menschen den Zugang zu unserem Land zu verweigern. Jedes Leben zählt gleich und deswegen kann „Asyl“ – als lebensrettende Maßnahme – eigentlich keine Obergrenze haben. Eine Grenze wäre sowieso aus dieser Sicht paradox. Wenn ich z.B. 100 Leben rette, wieso dann nicht 101? Es gibt schlicht keine Zahl, ab der unser System einfach kollabiert. Es ist ein schleichender Prozess.

 

Von Gottlieb Doebler – http://www.philosovieth.de/kant-bilder/bilddaten.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32847847

Ich bezweifle das Kant mit seinem kategorischen Imperativ das wirklich hätte leben können, wenn er denn mal aus Königsberg und seinem Elfenbeinturm herausgekommen wäre. Ich gestehe, ich könnte das nicht. Auch wenn mir klar ist, dass alles Leben gleich viel wert ist, werde ich das Leben der Menschen, die ich liebe, immer höher schätzen als das von Fremden. Möglicherweise macht mich das zu einem kaltherzigen Nazi, aber so ist es. Ich bin bereit, unmoralische Dinge zu tun (bis zu einem gewissen Punkt), wenn ich damit meine Kinder, Frau, Familie oder Freunde schützen kann. Selbst wenn es um die Abwehr zukünftiger Gefahren – die vielleicht nie real werden – geht. An alle, die jetzt erschüttert den Kopf schütteln: Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ihr in einer konkreten Situation auch so handelt. In der Psychologie spricht man dabei von In-Group und Out-Group Effekten – die in unserem sozialen Gehirn fest verdrahtet sind. Wir werden immer im Interesse unserer Sippe handeln, wenn es eng wird. Trotzdem sind wir Menschen zu größtem Mitgefühl fähig und unser Gehirn ist nur deshalb so leistungsfähig, weil es ein Organ zum Leben in sozialen und teilweise altruistischen Systemen ist.

Wie passt das mit unseren Nazis zusammen? Die Konstellation ist einfach zu verstehen. Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa kommen, sind die Out-Group, die mit den Einheimischen um Ressourcen konkurrieren. Das erzeugt Angst, noch bevor sich Mitgefühl einstellen kann. Dabei wäre Mitgefühl eine unserer großen Stärken. Keine andere Tierart verfügt über derart ausgeprägtes Mitgefühl. Wie könnte man das nutzen?

Zunächst: Mitgefühl entsteht bei Menschen immer nur in einem Kontext von Gerechtigkeit und Wertschätzung. Jemand, der sich ungerecht gegenüber anderen verhält, oder das Mitgefühl nicht schätzt, verliert schnell die Unterstützung seiner In-Group. Es ist für uns wichtig, dass der Mensch, mit dem wir fühlen, es auch verdient. Dabei gibt es auch eine Art biologisch einprogrammierte Prioritätenkette von schwach nach stark. Deswegen schwillt vielen der Hals, wenn auf den Rettungsboten im Mittelmeer nur Männer zwischen 18 und 25 sitzen. Unsere „Frauen und Kinder zuerst“-Regel im Kopf ist schon seit den Anfängen der Evolution trainiert und lässt sich von Quotenregelung und Gleichberechtigungsbemühungen nur wenig beeindrucken. Sie ist nicht nur biologisch sinnvoll (Erhaltung der Art), sondern auch moralisch einwandfrei – der Starke hilft dem Schwachen. Es ist kein Geheimnis, dass diejenigen, die es bis ins Mittelmeer schaffen, zwar unmenschlich leiden, aber immer noch die „starken“ sind, gegenüber denjenigen – oft eben Frauen, Kinder, Alte – die auf dem Weg ans Meer weder die Kraft noch das Geld hatten. Die ganz Schwachen fischen wir nicht aus dem Meer. Wir lassen sie in den Krisengebieten sterben.

Von Frank C. Müller, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47487290

Ich will nicht, dass jemand im Mittelmeer auf der Flucht ertrinkt und das Bild des kleinen Alan Kurdi werde ich sicher nie wieder vergessen können. Die Frage ist, machen wir es besser, wenn wir diese Menschen dann nach Europa bringen oder sollten wir sie wieder an die Küste Afrikas zurück bringen? Ich befürchte, auf diese Frage gibt es keine Antwort mit der ich leben könnte. Ich bin eher dafür, das der Westen die Fluchtrouten organisiert, und zwar mit Startpunkt in den jeweiligen Krisengebieten und einer Auswahl vor Ort. Keine gefährliche Reise, kein Geld an Schleuser, kein Ertrinken, keine Zwangsprostitution und keine Kriminalität, weil man sich an die Spitze der Nahrungskette beißen will. Wir suchen nach humanitären Gesichtspunkten aus! Kinder, Frauen, Alte… Es dürfte nicht schwierig sein, sich auf ein Regelwerk zu einigen, dass für den Westen funktioniert. Dann bringen wir die Asylsuchenden in unser Land. Daneben würde keine weitere Einreise mehr geduldet.

Es bliebe natürlich noch die Frage der Zahl. Wie viel verträgt unsere Gesellschaft? 10.000, 100.000, 1.000.000 oder vielleicht Alle, die kommen wollen? Wie kann man es schaffen, dass die Menschen ihr Herz bis an die absolute Grenze dessen, was machbar ist, öffnen können, ohne Angst zu bekommen? Vielleicht würde es helfen, wenn man aufhört, nach nur einer Zahl zu suchen. Deutschland besteht aus einer großen Anzahl von Städten und Gemeinden. Alle ähnlich, und doch immer anders. Jede Zahl, die die Bundesregierung festlegt, wird von den Bürgern als „von oben beschlossen“ empfunden – gleichsam von einer anderen Out-Group festgelegt. Was wäre, wenn nicht Deutschland eine Quote für Asylsuchende festlegt, sondern jedes Dorf und jeder Stadtteil selbst? Was glaubt ihr? Stimmt die Bevölkerung eher für eine abstrakte (hohe) Zahl für die Bundesrepublik oder lieber für die Anzahl der Asylanten in der direkten Nachbarschaft? Was würde passieren, wenn man regelmäßig im Gemeindeblatt lesen würde, „Hallo, wir haben 3 allein erziehende Mütter, 4 Familien und einen Rentner, der in Deutschland Asyl sucht. Haben wir Platz (und ein Herz) für diese Menschen?“ Ich glaube, dass es auf diese Art viel mehr Platz für Asylsuchende gäbe. Am Ende wäre die Gesamtzahl wahrscheinlich viel höher als alles, was politisch als Obergrenze durchzusetzen wäre. Es ist schlicht einfacher, eine Entscheidung für das eigene soziale Umfeld zu treffen, als mit Direktiven von oben zu leben. Außerdem würde man auf diese Weise die „Out-Group“ zur „In-Group“ machen. Viel weniger Angst wäre die Folge. Wenn wir es dann noch schaffen, in Politik und Gesellschaft wieder ehrlicher zueinander und mit uns selbst zu sein, Menschen nicht einfach als Nazi abstempeln, sondern deren Ängste anzuerkennen und (hoffentlich) auch zu nehmen, könnte es wirklich funktionieren mit Deutschland.

Klar, das wäre logistisch, organisatorisch und politisch eine riesen Anstrengung – aber es wäre es wert. Wir hätten wieder Frieden. Dafür lass ich mich sogar Nazi nennen….

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Religion kills!?

Trotz meines Rückzugs in die digitale Diaspora (auf einen Berg in der Nähe von Bad Hersfeld) und der beharrlichen Weigerung mich mit anderen Menschen zu beschäftigen kann ich dem alljährlichen Feiern der Wintersonnenwende, gemeinhin als Weihnachten bekannt, nicht entkommen. Schon wenn ich aus dem Zimmer komme, hat mein Flurnachbar sein Namensschild mit einem kleinen bunten Tannenbaum geschmückt. Es weihnachtet sehr. Quasi überall, immer und jederzeit. Weihnachten scheint von den meisten sehr gemocht zu werden. Gemeinsamer Weihnachtsmarktbesuch (natürlich mit Glühwein – sogar für die sonst so verwöhnten Pseudo-Sommeliers die den Fusel sonst nie anrühren würden. Zumindest wenn er kein edles Etikett hätte und min. 30€ die Flasche kostet), ein Vermögen für Geschenke ausgeben, plötzlich will man sogar mit den blöden Kollegen zusammen (Weihnachts)feiern und einige gehen sogar noch in die Kirche hab ich gehört. Kirche…. gab’s da nicht einen Zusammenhang mit Religion?

Quelle: Fotolia.de
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Religion ist ein gutes Thema zur Zeit. Die meisten haben das Vergessen, aber ein stattlicher Teil aller Kriegstoten auf der Welt geht auf „Religionskriege“ zurück. Achtung: Ich benutze die Bezeichnung „Religionskrieg“ weil es sich so eingebürgert hat. Aus meiner Sicht handelte es sich dabei aber immer um Wirtschaftskriege bzw. Eroberungsfeldzüge. Hierzulande haben die Christen die Mehrheit. In 2013 gab es bei ca. 80 Mio. Einwohnern 33 % Menschen ohne Konfession, 29,9% Katholiken, 28,5% Protestanten und 4,2% Muslims sowie 1,7% sonstige Religionsanhänger. Das ganze ist regional ziemlich ungleichmäßig aufgeteilt, was unter anderem zur Folge hat, dass die „Gottlosen“ sich oft von einer religiösen Minderheit sagen lassen müssen wann sie tanzen dürfen oder nicht – je nachdem wo man so wohnt. Ich denke aber das es in Ordnung geht. Schließlich dürfen wir dafür ja auch alle religiösen Feiertage mitnehmen – inkl. Weihnachten!

So pflegeleicht wie heute waren die Christen aber nicht immer. Die Kreuzzüge sind erst ein paar Jahrhunderte her. Moment! Waren Kreuzzüge nicht ursprünglich Feldzüge zur Eroberung von Land (Ressourcen) aufgrund vordergründlicher religiöser Motivation die aber tatsächlich hauptsächlich durch wirtschaftliche Interessen einer Elite (Adel) befeuert wurden wie Historiker auf Nachfrage gerne bestätigen werden? Die Beschreibung kommt mir aber irgendwie bekannt vor. Vielleicht sind wir (die westliche Welt) in diesem Sinne immer noch „Kreuzritter“ nur das es diesmal um Öl oder um den Reibach beim Wiederaufbau geht? So gesehen haben wir unsere Religion etwas besser sozialisiert (wir verbrennen keine Menschen mehr – wir schicken Drohnen), im Kern sind wir aber noch genauso dabei. Das ist scheinbar der verbindende Faktor zwischen Religionen. Besonders deutlich bei jüngeren Religionen, wie z.B. dem Islam, der quasi noch in der Pubertät ist und relativ halbstark unterwegs. Es gibt aber auch andere verbindende Elemente. Die meisten Religionen können sich sinngemäß auf das einigen was im Neuen Testament steht, d.h. man findet in allen Religionen auch sinnvolle Anweisungen für ein friedliches, soziales Zusammenleben. Unglücklicherweise kann man eben auch aus allen Schriften auch das Gegenteil herauslesen – von Interpretationen noch gar nicht gesprochen.

Ich habe mir vor einiger Zeit das Buch „Mohammed“ von Abbdel-Samad durchgelesen. Ich kann es nur jedem empfehlen, auch wenn das Buch für strenggläubige Moslems sicher schwer zu verdauen ist. Der Grund ist aber nicht das Kritische was sich ohne Frage in dem Buch findet. Man fragt sich (mit Recht) ob der Koran überhaupt eine Grundlage für den Islam sein kann. Spannend fand ich aber, dass es ganz ähnliche redaktionelle und historische Analysen auch für die Bibel gibt die in etwa die gleichen Schwachpunkte aufzeigen. Meine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Christentum liegt schon mehrere Dekaden zurück, aber erstaunlicher Weise sind es letztlich die gleichen Argumente (zusätzlich zu grundsätzlichen Problemen der Kirchenführung und deren Wirtschaftsmacht. Lesetipp: Gott hat hohe Nebenkosten) weshalb für mich Religion keine echte Option war.

Keine Frage: Viele (vielleicht die meisten) religiöse Menschen nehmen ihre Glaubensgrundsätze um Gutes zu tun – oder was sie dafür halten. Gottgefällig sein ist die passende Beschreibung. Kann das Schaden? Offensichtlich schon. Außerdem ist zum Wohle der Gesellschaft viel weniger als Regelwerk notwendig als die typischen heiligen Schriften beinhalten. Genau genommen bräuchte man nicht mal 10 Gebote. Deutlich weniger tun es auch. Was Richtig und Falsch ist, das Gefühl für Fairness und sozialem Umgang miteinander ist uns allen in die Wiege gelegt. Glaubst Du nicht? Es gibt Berge von Studien die das sozialverhalten von Kleinkindern und sogar Säuglingen getestet haben. Wenn man z.B. 2 Kleinkinder nebeneinander setzt und dem einen 2 Mohrenköpfe (ja ich hab Mohr gesagt!) auf den Teller legt und dem anderen keinen wird automatisch geteilt. Geht sogar ohne Sprache und in fast allen Fällen. Dagegen konnte die empirische Forschung den unserem Wirtschaftssystem zugrunde liegenden Homo oeconomicus, also den streng rationalen und egoistischen Mensch, bisher nicht finden.

Eigentlich brauchen wir keine Religion. Wir haben alles in uns was nötig wäre um eine gute und soziale Welt zu schaffen. Organisierte Religionen liefern zunächst einmal eins: Die Bedrohung durch die Verdammnis bei nicht regelhaften Verhalten sowie das Paradies, wenn man brav war. Wenn die „gesetzgebende“ Einheit gleichzeitig auch die „überwachende“ und „vergebende“ ist findet keine Gewaltenteilung statt. Warum ist wohl in allen modernen Verfassungen Gewaltenteilung ein wesentlicher Faktor? Genau! Weil sonst Missbrauch zu befürchten ist und offensichtlich haben wir den bei allen Religionen.

Trotzdem erfüllt Religion immer noch zwei wichtige Zwecke. Der wichtigste: Es finden Menschen darin Trost. Das ist sicher auch der Grund weshalb die Religion Menschen seit Jahrtausenden schlecht behandeln kann und sie sich trotzdem nicht alle abwenden. Leider ist unsere Gesellschaft nicht darauf ausgelegt Menschen Trost zu spenden. Alle Elemente die dazu geeignet waren haben wir dem Bruttosozialprodukt geopfert. Große Familien, Arbeiten in kooperativen Einheiten, Vereine, Dorfgemeinschaften, soziales Netz und Hilfe für die Schwachen. Alles Dinge die seit einiger Zeit wieder auf dem Rückzug sind nachdem wir während der Aufklärung einen großen Schritt nach vorne gemacht haben und auch auf viele Jahrhunderte des (sozialen) Fortschritts zurück schauen können. Ich persönlich habe immer die Menschen beneidet die einen festen Glauben daran hatten das ein „Gott“ über sie wacht. Ich kann verstehen, dass viele Menschen Kritik gegenüber Religionen taub sind, weil sie sich das erhalten wollen. Wir haben ja auch als Gesellschaft nichts Besseres zu bieten! Wenn wir also religiösem Fanatismus begegnen wollen müssen wir uns darum kümmern. Wenn die Menschen fest in eine Gemeinschaft eingebunden sind, Freunde haben, ein soziales Netz und eine Perspektive sprengen sie sich nicht in die Luft und ziehen auch nicht in den Krieg um Ölfelder zu erobern. Sie haben nämlich was besseres.

Der zweite Faktor ist der normative und regulative Faktor der Religion. Mein Lieblingsbeispiel ist dabei das Kaffeekassen-Experiment. Wer sich im Detail dafür interessiert findest es in den Werken von Manfred Spitzer (oder im Link oben), einer der führenden deutschen Neurowissenschaftlern. Fakt ist aber, dass Menschen deutlich ehrlicher sind wenn sie beobachtet werden – oder denken das sie beobachtet werden. In der Vergangenheit hat Gott immer die Rolle des (unsichtbaren) Beobachters übernommen und damit zum sozialen Verhalten beigetragen. Ich denke es ist kein Zufall, dass die Tatsache, dass „Gott“ für viele Menschen keine Rolle mehr spielt und die deutliche Verrohung der Sitten zusammenhängen. Unsere Gesetze sind als weltlicher Ersatz gedacht, aber das funktioniert nur teilweise. Wir können nicht jedes Detail im Umgang per Gesetz regeln noch können wir die Einhaltung zu 100% überwachen – so wie ein Gott es könnte.

Quelle: Fotolia.de
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Also doch lieber die Religion nicht abschaffen? Gute Frage. Ich denke wir befinden und in einer sehr verletzlichen Phase, vergleichbar dem Umstieg von einem Tier mit Außenskelett bzw. Panzer zu einem mit Innenskelett. Die Religion gab uns früher ein Außenskelett vor in dem wir relativ geschützt waren. Der Panzer ist immer mehr auf dem Rückzug und wir benötigen ein inneres Skelett oder Rückgrat – und zwar aus ethischen Grundsätzen. Das Gute ist, diese Grundsätze können universal sein, wenn wir uns auf ein Mindestmaß beschränken. Wir handeln in den meisten Fällen nach diesen Grundsätzen, wenn wir mit Familie und engen Freunden umgehen. Gewalt, Diebstahl oder absichtliches Schaden aus Vorteilsnahme stellt immer noch die Ausnahme in engen sozialen Beziehungen dar.

Wenn es uns gelingen würde die Grundsätze auch auf „Fremde“ anzuwenden würden die meisten unserer Gesetze obsolet. (Religions)kriege gäbe es dann auch nicht mehr. Dazu benötigen wir aber mehr als bloße Einsicht. In unserem derzeitigen Gesellschaftssystem sind wir alle zum Konkurrenzdenken erzogen. Es würde mehrere Generationen dauern so etwas zu Ändern. Ein guter Grund jetzt anzufangen!

Frohe Weihnachten 😉

Peace – Euer Christian