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Auf der Suche nach Unseresgleichen

Irgendwie schon verrückt. Wir geben das Recht, über wesentliche Aspekte unseres Lebens zu bestimmen, einfach so ab – abgesehen von der Möglichkeit, alle paar Jahre zwischen Pest und Cholera zu „wählen“. Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Klar, Demokratie ist die „gute“ Staatsform. Auch werden wir – z. B. aktuell in Deutschland – immer wieder aufgerufen, die Demokratie zu „verteidigen“. Ist ja im Prinzip ja auch eine gute Idee. Alle dürfen mitbestimmen, bzw. bestimmen, wer bestimmen darf. 

Um einen Vertreter zu wählen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das haben wir alle schon in der Schule erlebt, als ein Klassensprecher gewählt wurde. Wählen wir den Schlauesten (Streber?), den Coolsten (Blender?), einen Kumpel (Lobbyist?) oder einfach nach Sympathie – was dann u.U. ein individueller Mix von allem ist. Keine leichte Entscheidung. 

In unserer Gesellschaft ist das Wählen einer Elite verpönt. Zu tief stecken die schmerzhaften Erinnerungen des arischen Übermenschen in unseren Knochen, als dass wir mit Eliten noch vorurteilsfrei umgehen könnten. Das es in Deutschland tatsächlich so etwas wie Leistungseliten gibt, halte ich nach der Lektüre aktueller Forschung (z.B. Hartmann), eher für unwahrscheinlich. Es gibt es einen Geldadel oder Bildungsbürgertum. Was die aber so wirklich zum sozialen Wohlstand in Deutschland beitragen – oder auch nicht – wäre eine eigene Geschichte wert.

Eingebürgert hat sich, dass man „einen von uns“ wählt. Kaum ein Politiker, der sich nicht für seine Bürgernähe rühmt, oder quasi „Alles“ über die Nöte des „kleinen Mannes“ weiß. Ob das stimmen kann, lässt sich ja mit einer simplen Analyse feststellen. Zuerst müssen wir zu diesem Zweck einen Durchschnittsdeutschen – quasi Klaus Mustermann – definieren. 

Damit der Text besser lesbar ist, stelle ich die Infografiken, die die entsprechenden Detaildaten enthalten, ans Ende. Alle Infos stammen aus den offiziellen Datenbanken des statistischen Bundesamtes.

An manchen Stellen lauern da ein paar Tücken, z.B. bei der Einkommensbetrachtung. Wenn Deutschland aus 10 Personen bestehen würde und 9 verdienen 2.000€ im Monat, aber einer verdient 1.000.000€, wäre das Durchschnittsgehalt der Deutschen höher als 100.000€ im Monat. So kommt man übrigens auch auf (laut statistischem Bundesamt) ca. 3.500€, die der Durchschnittsdeutsche (brutto) im Monat verdient.

Basteln wir uns also unseren „Musterdeutschen“. Höchstwahrscheinlich wohnt er in Nordrhein-Westfalen (bevölkerungsreichstes Bundesland), irgendwo in der Vorstadt.

In NRW liegt der Stundenlohn im Schnitt bei 21,60€, was dann etwa auf die bereits genannten ca. 3.500€ im Monat (brutto) hinausläuft. Tatsächlich dürfte die Zahl etwas geringer ausfallen. Eine andere Statistik des DeStatis zeigt, dass ein Großteil der steuerpflichtigen Personen bei einem Jahresverdienst zwischen 15.000€ und 37.499€ angesiedelt ist. Nehmen wir davon die Mitte, landen wir bei ca. 26.000€, oder knapp 2.200€ im Monat. Das hört sich dann schon deutlich knapper an, kommt aber offiziellen detaillierteren Statistiken deutlich näher.

Da man über die beiden Werte trefflich streiten kann, nehme ich für unseren Musterdeutschen einfach mal auch hier die Mitte und gehen von einem Einkommen von 2.850€ brutto im Monat aus – was wahrscheinlich aber zu hoch ist.

Die Firmen mit den meisten Arbeitern in Deutschland liegen im produzierenden Gewerbe oder Handel. Herr Mustermann ist also wahrscheinlich Fabrikarbeiter oder Verkäufer.

Höchstwahrscheinlich hat Herr Mustermann eine Berufsausbildung ohne Studium absolviert, bevor er im Berufsleben durchgestartet ist.

Nur ca. 40% der Menschen in Deutschland haben Wohneigentum. Herr Mustermann wohnt also zur Miete. Ziemlich sicher empfindet er die Wohnkosten als Belastung.

Außerdem ist der gute Herr Mustermann zwischen 40 und 60 Jahren alt, heterosexuell, verheiratet oder geschieden und hat 1,6 Kinder, na gut, sagen wir 2. Damit können wir von einem 4 Personenhaushalt ausgehen. Wenn Herr Mustermann eine gleichaltrige Frau geheiratet hat, wird diese zu ca. 70% auch arbeiten – viele davon allerdings nicht in Vollzeit. 

Das bedeutet in Kurzform also: 

40- 60 Jahre, ca. 2.850€ brutto – und damit rund 2.100€ netto-  verheiratet bzw. geschieden, 1-2 Kinder, wohnt zur Miete irgendwo in der Vorstadt, hat eine Lehre gemacht und verdient jetzt sein Geld in der Fabrik oder im Handel.

Das wäre also ein typischer Bürger, der von „seinesgleichen“ im Bundestag vertreten werden soll. Welche bzw. wie viele unserer Volksvertreter haben wohl einen ähnlichen Hintergrund und können damit fundiert über die Sorgen und Nöte der Bevölkerung sprechen? Leider fehlt die Zeit für eine Analyse aller Bundestagsabgeordneten. Schauen wir uns stattdessen einfach mal unsere Minister an.

Quelle: Wikipedia – Irrtum vorbehalten

Beim Einkommen lassen sich da schon mal kaum Gemeinsamkeiten zu Herrn Mustermann finden. Der Einfachheit halber ohne die – durchaus erheblichen – Zuschläge gerechnet, bekommt Frau Merkel 18.851€ im Monat und die Minister 15.311€. Das finde ich okay. Immerhin ist es ein Job mit viel Verantwortung und Arbeitsstunden. Spannend finde ich es allerdings, dass wahrscheinlich keiner mit seinem erlernten Job auch nur in die Nähe dieser Summen gekommen wäre – insbesondere, weil für fast alle der Start in die Berufspolitik schon oft kurz nach Studienabschluss erfolgte. So ist z.B. Herr Spahn nach seiner Banklehre fast unmittelbar in die Berufspolitik gewechselt und hat dann nebenbei studiert. Kommt bei Ministern scheinbar sowieso häufig vor: nebenbei studieren. Respekt. Ein ausgefülltes politisches Berufsleben, oft Familie und dann noch Studium und häufig Promotion. Kommt da vielleicht irgendwas zu kurz?

Von der Expertise handelt es sich in der Mehrzahl um Anwälte (zu den Berufen der Bundestagsabgeordneten habe ich bereits im Beitrag „Demokratie 2.0„) oder um Menschen, die Politik studiert haben – was wird man damit eigentlich in der freien Wirtschaft?

Wie man sieht, können die (meisten) Minister die echten Lebensumstände des „kleinen Mannes“ aus eigener Erfahrung nicht kennen. Sie sind mit einem kurzen oder nicht vorhandenen Gastspiel direkt in die Welt von Verbänden, Beamten oder Funktionären abgetaucht, bevor es dann in die Profi-Liga der Politik ging.

Das sind die „Volksvertreter“ in Deutschland.

Demokratie in Deutschland bedeutet also, dass der normale Bürger sein Recht auf Selbstbestimmung weitestgehend abgibt, um alle 4 Jahre zu wählen. Ein Großteil der zur Auswahl stehen Parteien unterscheiden sich nur auf dem Papier. Mit dem Ergebnis werden dann Koalitionen gebildet, obwohl der Wähler nur eine einzelne Partei gewählt hat. Diese Koalition erstellt dann ein Kompromiss-Programm und stellt die Bundeskanzlerin. Die wählt dann ihrerseits die Minister aus. Diese Minister haben mit dem Durchschnittsdeutschen quasi nichts gemein und stehen dann einem Ressort vor, von dem sie keine Ahnung haben bzw. das wahrscheinlich nicht ihrer Ausbildung entspricht. Dafür bekommen sie dann ein Spitzengehalt und zahlen weder in die Renten- noch Arbeitslosenversicherung , etc. ein.

Irgendwie hört sich Demokratie nach dieser Beschreibung nicht mehr so attraktiv an, aber wir dürfen nicht ihr die Schuld geben. Wir haben nämlich zugelassen, dass sie schon vor langer Zeit entstellt und kastriert wurde. Es ist mehr so eine Art Pseudo-Demokratie, die den Anschein erweckt, dass hier doch alles in Ordnung ist während die Oligarchen, Konzerne und Erben entspannt in die Zukunft schauen können.

Das muss nicht so bleiben. Allerdings ändern wir das politische System – in der jetzigen Parteienlandschaft – nicht mit Wahlen. In Frankreich sieht man im Moment mit den Gelbwesten, wie wirkungsvoll ein Bürgerprotest sein kann. Nun ist Deutschland nicht Frankreich und ein echter Deutscher nimmt nur an einer Revolution teil, wenn sie im Fernsehen übertragen wird und Günther Jauch moderiert. Bisher wenigstens. Aber das könnten wir ändern.

Τhukydides schrieb in der Geschichte des Peloponnesischen Bürgerkrieges „Tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse“. Die Politik hat hier die Rollen vertauscht und uns zu Schwachen gemacht die erleiden müssen, was die Starken sich ausdenken. Tatsächlich sind es aber nur Scheinriesen, die heute die Kontrolle ausüben. Was uns fehlt ist nur der Funke, der die Wut der Bürger entzündet, damit sich die wahren Kräfteverhältnisse offenbaren.

Wenn wir uns auf Politiker und Parteien verlassen, haben wir nichts Besseres verdient.

Danke fürs Lesen.

Euer Christian
#keinPolitiker

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Real existierende Demokratie

Vielleicht geht es nur mir so, aber der aktuelle politische Diskurs verwirrt mich total. Das waren noch Zeiten, als man mit einer kurzen Richtungsangabe (links oder rechts) relativ eindeutig klar machen konnte, wo man politisch stand. In meinen jungen Jahren war „Links“ eben SPD und „Rechts“ eben der Rest – mehr oder weniger. Mittlerweile ist das Ganze nicht mehr so einfach. In den letzten Monaten bin ich wegen gleicher Kommentare jeweils gleichzeitig von „Linken“ als „Rechts“ bezeichnet worden und vice Versa. Nachdem ich jetzt sowohl von der „Merkel muss weg“-Demo als auch von den Gegendemo eingeladen wurde, gehe ich davon aus, dass ich irgendwo in der Mitte stehe. Genau da, wollte ich eigentlich überhaupt nicht landen (siehe mein Facebook Post vom März).

Leider – oder vielleicht zum Glück  – war ich am Tag der Demo an der Ostsee und konnte bei Meeresrauschen in Ruhe nachdenken. Mittlerweile haben mich aber einige Videos und Postings zu dem Event erreicht. Ich kann nur sagen: Echt jetzt? WTF ist mit euch los?

Ich kenne keinen der Organisatoren – soweit ich das beurteilen kann – persönlich. Ich habe aber die Einladung des Events auf Facebook interessiert gelesen. Mit dem Slogan „Merkel muss weg“ kann ich mich in jedem Fall identifizieren, auch wenn die Liste der Politiker, die ich in den Ruhestand wünsche, sicher deutlich länger ist. Es wurde aber auch folgendes gepostet:

— Aus der Einladung zur Merkel muss weg – Demo —

Bitte Folgendes beachten:

1) Wir demonstrieren friedlich, von uns geht keinerlei Gewalt aus

2) Um unser Tun ernst zu nehmen, ist der Konsum von Alkohol während der gesamten Demo untersagt. Stark alkoholisierte Personen werden vom Ort der Kundgebung durch unser Sicherheitspersonal entfernt

3) Nicht erlaubt:
  - Parteilogos oder Logos irgendwelcher Organisationen
  - Aufrufe zur Gewalt
  - Dinge, die an die Zeit von 1933-1945 anknüpfen.
  - Alkohol
  - gefährliche Gegenstände (Waffen, Anscheinswaffen, Messer etc)
  - Vermummung

3) Den Anweisungen unserer Ordner ist jederzeit Folge zu leisten

4) Für den Zusammenhang von Fremden erstellte Videos und unserer durchgeführten Demo und der Bereitstellung auf diversen sozialen Netzwerken übernehmen wir Veranstalter keine Haftung

5) Wir erwarten gutes Betragen. Selbst dann, wenn man uns anpöbelt. Da stehen wir drüber!

6) Zur eigenen Sicherheit empfehlen wir unauffällige Kleidung und An- und Abreise in Kleingruppen

Um uns von gewaltbereiten anderen Veranstaltungen und Gruppen deutlich zu distanzieren, bitten wir sehr, das zu respektieren!

---Zitat Ende ----

Hier kann ich nur sagen: Chapeau. So stelle ich mir eine demokratische Demo vor. Außerdem war die Demo wohl auch ordentlich angemeldet und genehmigt.

Schauen wir uns mal die Einladung zur Gegendemo an:

— Aus der Einladung zur Gegendemo  —

RECHTE MONTAGSDEMOS JETZT AUCH IN MAINZ?! Nicht mit uns!

Seit Mitte März trifft sich montags um 19:00 Uhr in Mainz eine wachsende Gruppe unter dem Motto "Merkel muss weg". Die politischen Inhalte lassen sich kaum von denen der PEGIDA-Aufmärsche unterscheiden.

Rechte Bürger*innen und AfD-Mitglieder stehen hier zusammen mit bekannten Neonazis. Gemeinsam versuchen sie ihre menschenverachtenden Positionen auf die Straße zu bringen. Dazu gehören vor allem islamfeindliche Propaganda, sowie die Forderung nach der "Festung Europa", was den Bruch mit zahlreichen Menschenrechten bedeutet.

DIESES GEDANKENGUT KÖNNEN UND WERDEN WIR NICHT TOLERIEREN.

Schon 2015 versuchten PEGIDA-Anhänger*innen in Frankfurt a.M. mit ihren rechtspopulistischen Parolen in der Region Fuß zu fassen. Jedoch stellten sich ihnen tausende couragierte Menschen ausdauernd und letztlich erfolgreich in den Weg.

Lasst uns ihnen auch in Mainz laut, entschlossen und mit vielfältigem Protest entgegentreten. Zeigen wir gemeinsam, dass hier für ihren schlecht versteckten Rassismus kein Platz ist.

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Denkt euch Plakate, Banner, Sprüche aus. Kommt vorbei, gerne mit allem was Krach macht, ob Musik (live?), Trillerpfeifen oder mit Kochtöpfen.

--- Zitat Ende ---

Zunächst sind Demo und Gegendemo ein Zeichen von Meinungsbildung in einer Demokratie. Mich verwirren hier nur einige Details. Die Gegendemo sieht sich offensichtlich als „die Guten“. Außerdem scheint es wichtig zu sein, die Demokratie gegen intolerante, faschistische Menschen zu verteidigen. Außerdem wird hier klar gesagt, dass „Rechte Bürger*innen und AfD-Mitglieder … zusammen mit bekannten Neonazis“ an der Demo teilnehmen. Hier wurde ich dann schon stutzig. Die Einladung liest sich nun mal überhaupt nicht „Rechts“. Was dann in der Praxis an Publikum auftaucht ist eine andere Frage, aber eben vom Veranstalter nur bedingt zu beeinflussen – was natürlich auch für alle anderen Demos gilt. Auch in Hamburg zum G9 Gipfel waren nicht alle Steinewerfer oder Brandstifter. Dann gibt es noch ein großes „Wir“ – das ausgewähltes Gedankengut nicht tolerieren will. „Wir“ stört mich immer prinzipiell, da es mich – oft ungewünscht – mit einschließt. Am meisten verwundert hat mich aber der letzte Satz: Es geht darum, mobil zu machen und dafür zu sorgen, dass die angemeldete Demo der Merkel-Gegner möglichst nachhaltig gestört wird. Also im Klartext: Wir schützen die tolerante, offene Gesellschaft, Meinungsfreiheit und unser demokratisches Grundverständnis, indem wir eine legale, angemeldete Demonstration von Andersdenkenden in Grund und Boden stören wollen. Merkt ihr selber, oder? Spätestens jetzt ist mir nicht mehr so ganz klar, wer hier die Feinde der Demokratie sind.

Das Stören hat, soweit ich das auf den Videos sehen konnte, ziemlich gut funktioniert. Ich sehe eine Gruppe von ca. 40 – 50 Menschen, die ruhig und zurückhaltend – man könnte es auch als eingeschüchtert interpretieren – in einer abgesperrten und mit Polizei umstellten Zone auf dem Marktplatz steht, während draußen ein vielfaches an Menschen die Atmosphäre eines aufgebrachten Mobs verbreitet. Von den Merkel Gegnern kommen ein paar Transparente ins Bild, an denen ich eigentlich nichts Rechtsradikales finden kann – möglicherweise gab es aber solche Inhalte auch. Was ich gesehen habe, lautet z.B. „Bekenntnis zu Deutschland – Gewaltfrei für unsere Kinder“ oder ein Plakat gegen Wohnungsnot, Armut im Alter, Zerstörung von Kultur und Kinderarmut und natürlich gab es auch ein „Kandel ist überall“-Plakat. Von den Reden konnte ich auf den Videos leider kaum etwas verstehen. Eine der wenigen Passagen, die ich (hoffentlich richtig) hören konnte, war ein Wutrede gegen die Tatsache, dass es kaum Gelder gibt, um den in Nordafrika gestrandeten Flüchtlingen bei ihren menschenunwürdigen Lebensumständen zu helfen. Klingt mir nicht gerade wie ein Hitler Doppelgänger muss ich sagen.

Der Witz ist: Es sollte völlig egal sein, welche Meinung hier vertreten wird, solange alle Auflagen und Gesetze beachtet werden. Es ist im Prinzip genau das Gleiche wie mit der AfD (und ich setze damit die „Merkel muss weg – Demo“ keineswegs mit AfD Gedankengut gleich). In einer Demokratie hat man andere Meinungen auszuhalten! Selbst wenn sie – wie im Falle der AfD – völlig abwegig sind. „Muslime raus“ fordern oder die AfD verbieten wollen sind nun mal 2 Seiten des gleichen Radiergummis. Oder um es mit Voltaire zu sagen:

„ Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität (das Volk ist in einer Demokratie der Souverän) liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.“

Ehrlich gesagt machen mir die tumben und dummen Rechten auch keine Angst. Ich fürchte mich eher davor, dass mal ein Schlauer kommt. Viel gefährlicher finde ich es, dass es scheinbar wieder gelungen ist, die Bürger beschäftigt zu halten, indem man einfach – mehr oder weniger wahllos, wie das Resultat in Mainz zeigt – links und rechts als In- u. Outgroup definiert. Echte gesellschaftliche Fragen spielen kaum eine Rolle mehr. Es zählt nur noch die Lagerzugehörigkeit und selbstverständlich hält sich jeder selbst für „Gut“ und die anderen sind „Schlecht“.

Lassen wir die Frage, warum es überhaupt möglich war, dass eine angemeldete Demo in der Art eingekesselt und gestört werden konnte, mal außer acht. Warum hat man die Reden nicht angehört und dann darauf reagiert (mit Worten), statt einfach alles niederzupfeifen?

Überhaupt finde ich, dass die AfD Wähler zu Unrecht verunglimpft werden. Sie haben eine legale Partei gewählt. Der Grund wird für die meisten der Wähler nicht Protest, sondern schlicht Zukunftsangst gewesen sein. Angst ist zwar ein schlechter Ratgeber, aber eben auch menschlich. Die Ursache dieser Angst haben die Politiker zu verantworten, die sich jetzt über die AfD ereifern und als Lieblingsbeschäftigung AfD Bashing betreiben – statt sich um die Lösung der eigentlichen Probleme zu kümmern.

Dass die Menschen Angst haben, ist eher ein Zeichen einer richtigen Einschätzung der Lage als nur Hysterie. Ein Großteil der Bürger fühlt sich von der Politik nicht vertreten. Wie man seit spätestens 2016 weiß, zu Recht. Damals wurde nämlich von der Regierung (Arbeitsministerin Andrea – auf die Fresse – Nahles) eine Studie am Institut für Sozialwissenschaften der Uni Osnabrück in Auftrag gegeben. Die Forschungsfrage war – etwas vereinfacht: „Versucht die Bundesregierung das Wohl und die Wünsche der einfachen Bürger im Auge zu behalten?“ Das Ganze sollte als Basis für den 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung dienen. Insbesondere sollte auch die Rolle der Reichen bei der Gesetzgebung untersucht werden. Es waren namenhafte Forscher die die „Responsivität“ (Wird der Volkeswille tatsächlich durch entsprechende Handlungen und Gesetzgebung umgesetzt) der deutschen Politik untersuchten. Der ganze Report hat mehr als 60 Seiten. Kurz zusammengefasst lautet die Antwort: Nein. Analysiert wurden mehr als 250 Sachfragen aus dem Zeitraum 1998 bis 2015 auf der Basis von ARD-Deutschlandtrend als Meinungsumfrage. Also: Offizieller Auftrag der Bundesregierung, unabhängige qualifizierte Forscher, unabhängige großflächige Meinungsumfragen als Baseline. Solide Forschung könnte man sagen. Besonders schlau war, zusätzlich zur Meinung der befragten Bürger auch noch deren Vermögensstatus zu erfassen. Damit war es möglich, die Volksmeinung auch nach „Gehaltsgruppen“ aufzusplitten. Die Auswertung zeigte immer das gleiche Muster: In allen Fragen wurde in der Gesetzgebung letztlich die Wünsche der Einkommensstärksten umgesetzt, während die Wünsche der Einkommensschwächeren meistens diametral entgegengesetzt waren. Egal, ob es um den Abbau der Staatsverschuldung, das Rentenniveau, Bundeswehr in Afghanistan oder Hartz IV ging. Die Regierung folgte immer dem Wunsch der Wohlhabenden.

Kein Wunder, dass man es da als normaler Bürger mit der Angst bekommt und dann – leider AfD – wählt, was besonders fatal ist, da die AfD unter dem Deckmantel des Patriotismus ein reine Klientelpolitik für die Reichen macht.

Quelle: Wikipedia

Falls Sie sich jetzt wundern, warum Sie von dem Report nichts gehört haben: Er hat es nicht in den offiziellen Armutsbericht geschafft. Erst wurde von mehr als 60 Seiten auf ca. 18 Seiten gekürzt und als es dann im Oktober 2016 im Bundeskanzleramt – Frau Merkel läßt grüßen – zur Debatte kam, wurde einfach gestrichen was das Zeug hält. Dankenswerterweise hatte der Verein Lobbycontrol im Frühjahr aber veröffentlicht, welche Passagen von Merkel entfernt worden waren. Leider erreichte das aber kaum die breite Öffentlichkeit. Besonders der in der Studie verwendete Begriff „Krise der Repräsentation“ wurde ausnahmslos getilgt. Selbst in der endgültigen Fassung des Armutsberichts von über 700 Seiten findet sich kein Hinweis mehr. Unnötig darauf hinzuweisen, dass die dazugehörige Debatte im Bundestag vor fast leerem Haus unmittelbar vor der Sommerpause stattfand. Andrea Nahles startete die Rede mit „Deutschland geht es gut“. Da braucht Merkel selbst gar nicht mehr aufzutreten.

Ich hätte noch viel zu dem Thema zu sagen, aber es soll ja ein Blogbeitrag und kein Buch werden. Ich kann in diesem Zusammenhang nur das Buch von Paul Schreyer „Die Angst der Eliten – Wer fürchtet die Demokratie?“ verweisen. Ein solide recherchiertes und mit Quellenangaben belegtes Buch, das viele interessante Zusammenhänge aufzeigt. Die knapp 200 Seiten haben für mich eine Vielzahl von Denkanstößen über unsere aktuelle Demokratie  geliefert.

Was können wir also aus den Ereignissen in Mainz lernen? Vielleicht, dass es in einer Demokratie tatsächlich für alle unter den gleichen Rahmenbedingungen möglich sein sollte, ihre politische Überzeugung zu äußern. Dass wir uns nicht im Streit um Richtungen und Lager entzweien lassen sollten, sondern gemeinsam im Diskurs – der auch gerne lebhaft und emotional sein darf – um Lösungen um die ECHTEN Probleme unserer Gesellschaft bemühen sollten. Am 09.04.2018 in Mainz auf dem Domplatz gab es nur einen Gewinner. Diejenigen, die verhindern wollen, dass sich etwas ändert. Es war ein makelloser Sieg. Eigene Akteure oder Argumente wurden nicht benötigt. Das beherrschte Volk blieb beim Kampf unter sich.

Danke für’s Lesen.

Peace – euer Christian

#keinPolitiker