Früh übt sich, wer ein Meister werden soll! Aber in WAS?
Mein Gott, wie oft hab ich den Satz in meiner Kindheit und Jugend wohl gehört! Ich denke, das geht ganzen Generationen so – außer vielleicht der heutigen. Die wissen ja, dass sie im Ernstfall immer noch Hartz IV „machen“ können.
Genau genommen gibt es diesen Spruch auch schon seit einiger Zeit per staatlicher Verordnung.
Das ganze nennt sich dann Frühförderung. Mich hat der Begriff schon von Anfang an etwas nachdenklich gemacht. Irgendwie schwang da für mich immer ein „zu“Frühförderung mit. Aber man will ja nicht uninformiert meckern. Deshalb hab ich dann, nicht ganz uneigennützig, das Thema erkundet. Als später Vater, immerhin hatte ich die 30 schon deutlich hinter mir gelassen als ich zum ersten Mal Vater wurde, will man die neue Rolle natürlich nicht versauen. Da passt doch das Thema gut dachte ich mir. Davon können meine Kinder nur profitieren, oder???
Das in Deutschland der Frühförderungshype auf vollen Touren läuft habe ich dann schnell mitbekommen. Schon bei der Hebamme liegen Prospekte für kindgerechte Ergotherapie und Chinesisch-Kurse aus. Passend dazu Zeichensprache für Kinder ab 3 Monaten – man will ja schließlich wissen, was der Nachwuchs wichtiges mitzuteilen hat. Selbstverständlich sollte man auch gaaaanz früh einen Platz im Selbstbehauptungs- und Anti-Gewalt Seminar buchen. Ganz Umsichtige buchen danach gleich noch prophylaktisch ein paar Stunden Täter-Opfer Kommunikation, falls Plan A scheitert. Mein persönlicher Favorit waren dann aber der Computer-Führerschein im Kindergarten und die Tastatur für Kinder die nicht lesen können samt zugehöriger Software für nur wenige hundert Euro. Damit war ich dann perfekt ausgestattet….. oder?
Wenn Sie sehen wollen wie sich junge Eltern in Rage reden, müssen Sie eigentlich nur 2-3 Worte in den Raum werfen. Versuchen Sie mal Entwicklungsfenster, Globalisierung und Startvorteil! Entwicklungsfenster kennen Sie nicht? Glück gehabt! Im Prinzip versteht man darin, dass bestimmte Fähigkeiten in bestimmten Zeiträumen am besten gelernt werden können. Beispiel: eine Sprache lernt man eben am besten dann, wenn man auch Sprechen lernt . Danach geht es auch noch, aber so richtig akzentfrei wird es nur noch unter großen Mühen. Klingt harmlos, aber kommen Sie mal einer Mutter in die Quere die glaubt, dass ein Entwicklungsfenster ihres Kindes gerade nicht perfekt unterstützt wird! Seien Sie froh, wenn Sie das ohne Kratzspuren überleben.
Wenn man sich mit der Forschung zu diesem Thema beschäftigt, fällt allerdings schnell auf, dass es nicht ganz so kritisch ist. Das wichtigste wird meistens völlig übersehen: Um so ein Fenster wirklich nutzen zu können muss es zunächst mal da sein!!! So dauert beispielsweise die Entwicklung der Motorik die man braucht um schön zu Schreiben nun einfach eine gewisse Zeit. Früher Anfangen bringt da höchstens ein hohes Maß an Frustration für das Kind und die Gewissheit, das Schreiben keinen Spaß macht. Es ist ungefähr so als wollte man dem Kind die Windel abgewöhnen, bevor der Schließmuskel kontrolliert werden kann. Am Ende kommt Scheiße raus…
Das zweite wesentliche ist wieder mal der Kontext, in dem die Förderung stattfindet. Der Klassiker bei den Studien zum frühen (Fremd)sprachenerwerb ist das Vorleseexperiment. Hier werden jeweils 3 Gruppen von Kleinkindern mit einer Fremdsprache konfrontiert. Hier wird bevorzugt Chinesisch eingesetzt. Wahrscheinlich haben die „Made in China“ Stempel auf allen Gütern des täglichen Bedarfs ein schweres Trauma bei uns ausgelöst. Die erste Gruppe lauscht kleinen Geschichten die von einem Tonband oder einem Vorleser, der jedoch hinter einem Vorhang verborgen ist, vorgelesen werden. Die zweite Gruppe darf den Vorleser sehen und die Dritte macht mit dem Vorleser kleine interaktive Übungen, d.h. die Geschichte wird mit lustigen Spielchen verknüpft. Ich denke, man muss kein IQ-Monster sein um zu raten, welche Gruppe wirklich von der Sache profitierte. Wenn Sie also wirklich wollen, dass ihr Kind ein Sprache früh lernt lernen Sie am besten mit oder ziehen einfach dahin, wo diese Sprache gesprochen wird! Ach…. zu viel Aufwand? Genau!!! Wieso ist das so wichtig, dass kleine Kinder schon Fremdsprachen können? Damit wären wir dann bei „Globalisierung“ und „Startvorteil“ angekommen. Lustigerweise wissen wir bei Kindern ja genau was die für die Zukunft brauchen, während wir bei unseren Wirtschaftsprognosen (z.B. an der Börse) leider häufig (immer) falsch liegen. Wie unsere Wirtschaft in ca. 25 Jahren aussieht? Ist doch klar, oder??? Also ich hab da so meine Probleme. Kleines Beispiel: Wenn ich meiner Tochter mit 5 Jahren im Kindergarten den Computerführerschein machen lasse, dauert es noch ca. 20 Jahre (Studium vorausgesetzt) bevor Sie einen Computer beruflich nutzen wird. Wenn ich da an die Computer von vor 20 Jahren denke…. Klar, ich weiß schon. Die Grundbegriffe sind ja ähnlich und außerdem braucht man das Zeug ja schon in der Schule. Ok! Werfen wir einen Blick drauf: Was lernt man wirklich? Das erste ist die Bedienung der Maus. Wir lernen das sich etwas auf dem Bildschirm bewegt, wenn wir dieses kleine Ding über den Tisch schieben. Die meisten Schreien jetzt sofort „Förderung der Hand-Augen-Koordination“. Ich bin nicht ganz sicher, aber findet dass nicht auch statt, wenn man einen Ball fängt? Also ein Defizit an Möglichkeiten, das ohne Computer zu üben sehe ich irgendwie nicht. Lassen wir die Tatsache, dass es durch die Touchscreens die verbaut werden bald keine Mäuse mehr gibt, mal außer Acht. Außerdem hat es gerade 30 Sekunden gedauert bis meine Kleine das Prinzip verstanden hatte und wild zu Klicken begann. Das nächste ist dann meistens der Umgang mit der Tastatur!? Komisch, in den Science Fiction Filmen gibt es doch immer eine Spracheingabe! Aber gehen wir mal davon aus, dass es weiter Tastaturen geben wird: brauchen wir schnelles Tippen wirklich vor einer passablen Handschrift? Jetzt kommt eigentlich das Thema Lernsoftware – das spar ich mir aber für den nächsten Blog auf bevor mein Blutdruck die kritische Marke erreicht!!
Mir hat es ganz gut getan, erst mal einen Schritt zurück zu machen. Natürlich will ich das Beste für meine Kinder und ihnen alle Chancen eröffnen damit sie glücklich werden. Aber woher soll ich den heute wissen, was sie später glücklich macht? Früh chinesisch lernen damit sie später leichter ins Management eines Konzerns einsteigen können? Was ist, wenn mein Sohn dabei bleibt und wirklich Musiker wird? Singt er dann für die chinesischen Charts? Wie kann ich wissen was meine Kinder später, also in 20 Jahren, wirklich brauchen? Die Prognose würde mir schon für mich selbst schwerfallen.
Ein paar Dinge gibt es allerdings schon die man lehren könnte. Zum Beispiel, dass man sich selber was zutrauen kann, wie man Probleme und Konflikte löst, dass es mehr als Schwarz und Weiß gibt, das man Liebe nicht kaufen kann und die besten Dinge im Leben kein Geld kosten. Dafür gibt es natürlich keine Kurse. Das zu vermitteln geht nur mit den 2 wichtigsten Eigenschaften, die man als Vater, Mutter, Opa, Oma oder sonstige Bezugsperson zu einem Kind haben sollte: Den Wunsch ein Vorbild zu sein und dem Kind zu zeigen, dass es geliebt wird. Damit kann man übrigens nicht früh genug dran sein
Danke für’s Lesen!
Peace – euer Christian
P.S: Wer leider keinen Platz in der Ergotherapie bekommen hat kann ja mal folgendes probieren: Knete selber machen und benutzen, Schuhe binden, Strickliesel (Häkeln. Stricken oder Nähen geht auch) oder einfach ein Loch mit Matsch, einen Eimer Wasser und Förmchen dazu Kriegsbemalung mit Fingerfarben – am besten selber mitmachen!