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Meine Deutschland Charts

Eins meiner liebsten Mottos ist „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten“. Es ist eins der wenigen, die man quasi universell anwenden kann und die die Situation meistens verbessern.

Für einen Bürger in der Politik ist das meistens nicht ganz so einfach. Die „offiziellen“ Stellen werden hier immer einen Wissensvorsprung haben, wenn auch häufig einen gleichzeitigen Mangel an gesunden Menschenverstand. Ich rede jetzt ausnahmsweise mal nicht vom Thema Giftgas (Syrien, Skripal), bei dem erst Reaktionen folgen und dann die Analyse.

Auch bei normalen Bundestagsentscheidungen kommen die meisten Vorlagen aus langen Beratungsausschüssen, bei denen – mehr oder weniger – gute Experten alles gesichtet haben und Vorschläge gemacht haben. In einigen Fällen gibt es relativ gut informierte Bürgerinitiativen oder eben auch private Spezialisten, die in den Medien einen Standpunkt verteilen. So „gut“ und umfangreich wie die Lobbyverbände, die die Interessen der Industrie vertreten, sind die alternativen Aktivisten aber selten.

Heißt das jetzt, dass man als Bürger sehr zurückhaltend die Handlungen oder Pläne der Regierung bewerten sollte? Quasi als gut gemeinte Form eines modernen Paternalismus und brav drauf vertrauen, dass der Bundestag in Berlin schon das Richtige macht? Wohl eher nicht! Viele, wenn nicht die meisten Entscheidungen in Berlin sind eher von politischen Motiven als von Sachfragen getrieben. Nicht? Wir glauben also, dass bei der Debatte um Asyl nur Fakten zählen und nicht, wer die Volksmeinung hinter sich bringen kann? Genau. Außerdem kann man ja offensichtlich auch ohne besondere Fachqualifikation Minister werden. Ich erspare uns die Beispiele.

Was Bürger (besser) können, ist meistens nicht die detaillierte Klärung aller Fachfragen, sondern die Anwendung auf gesunden Menschenverstand – jenseits aller Netzwerke und Lobbys – auf grundsätzliche Fragen.

Stellt sich die Frage, was man persönlich für die wichtigen Fragen hält, zu denen man eine Meinung haben sollte. Immer gern genommen sind ja 3-, 5-, 9- oder 12-Punkte-Pläne, mit denen die neuen Minister oder Regierungen dann immer auflaufen. So quasi ein Telegramm mit allen wichtigen Inhalten – liest sich Rückblickend meistens wie einen Not-to-Do-Liste.

Wie würde meine persönliche Liste denn aussehen? Hier meine persönlichen Politik-Charts – geordnet nach Wichtigkeit:

  1. Gesundheitswesen
    Gesundheit gehört nicht in private Hand. Rückkehr zum Solidarprinzip. Alle zahlen ein. Das Geld bleibt im System bzw. in der Gesellschaft. Von den ca. 2.000 Krankenhäusern in Deutschland sind rund 700 ausschließlich kommerzielle Unternehmen, der Rest versucht auch irgendwie Geld reinzuholen. Der größte private Anbieter, die HELIOS Gruppe, hatte mal eben so ca. 550.000.000 (550 Millionen€) Gewinn, während die Personalschlüssel auf den Stationen immer dünner werden. Über Gehälter reden wir gar nicht. Ich will hier in Deutschland alt werden und auch mal krank sein können, ohne die Furcht, irgendwo im Gang vergessen zu werden.
  2. Steuersystem
    Wer in Deutschland Geld verdient, zahlt auch hier Steuern – gilt besonders für internationale Konzerne. Ende mit Steuersparmodellen. Weiterhin Einführung einer Vermögens- und Erbschaftsteuer für sehr große Vermögen. Geringere Steuer auf produzierende Arbeit und höhere auf Finanzdienstleistungen. Ehegattensplitting weg, hin zu einer Besteuerung, die Familien mit Kindern mehr Freiräume schafft. Keine Besteuerung von Renten.
  3. Bezahlung
    Mindestlohn wird erhöht – auch um das Lohnabstandgebot zu Sozialleistungen ins Gleichgewicht zu bringen. Enge Grenzen für prekäre Beschäftigungen. In öffentlichen Einrichtungen werden die Tarifverträge an gesellschaftliche Wichtigkeit gekoppelt. Mehr Geld bekommt nicht der, der am längsten in einem Amt Akten dreht, sondern der, der die meisten Patienten umbettet, Alten pflegt, oder Kinder erzieht. Der Staat geht voran in der finanziellen Kompensation bei gesellschaftlichen wichtigen Funktionen.
  4. Renten, Hartz IV und Sozialleistungen
    Trennung von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und (Erwerbsminderungs-)Renten. Die Unterstützung orientiert sich an Lebensleistung und/oder Gesundheitszustand. Wer mit 23 aufgrund eines unverschuldeten Unfalls Frührentner wird, wird von der Gesellschaft genauso aufgefangen, wie ein Mensch der nach 40 Berufsjahren arbeitslos wird. Wer nie gearbeitet hat, bekommt Unterstützung, aber eben auf einem völlig anderen Niveau. Kinder werden nicht für die Arbeitslosigkeit der Eltern bestraft. Sozialhilfesätze müssen fair sein. Grundsicherung kann nur in extremen Fällen von Verweigerung verwehrt werden – was der absolute Sonderfall sein sollte. Mittel- u. langfristig Systemwechsel hin zum bedingungslosen Grundeinkommen bei entsprechender Umschichtung der Sozialleistungen.
  5. Kernfunktionen des Staates
    Die Ressourcen von Polizei und Justiz sind so zu gestalten, dass eine zeitnahe und effektive Einhaltung bzw. Umsetzung der Gesetze gewährleistet ist. Damit ist kein Polizeistaat gemeint, sondern dass z.B. Polizisten nicht hunderte Überstunden vor sich her schieben und es eine Stunde dauert, bis mal jemand auftaucht bzw. Monate bevor eine Straftat verhandelt wird. Keine neuen Gesetze – aber konsequente Anwendung.
  6. Direkte Demokratie / Parlamentsreform
    Einführung von Volksentscheiden und Verkleinerung des Parlaments sowie Reduzierung der Stabsfunktionen.
  7. Bildungspolitik
    Bildung ist frei und originäre Aufgabe des Staates. Keine Studiengebühren und Bekämpfung der Undurchlässigkeit des Deutschen Bildungssystems. Soziale Herkunft darf kein Zugangshindernis für Bildung sein. Aufwertung der handwerklichen Abschlüsse. Deutschland verfügt über fast keine Rohstoffe – außer Gehirnzellen. Auf diesen Rohstoff müssen wir setzen.
  8. Außenpolitik
    Humanität als Leitbild. Bekämpfung der Fluchtursachen als oberste Priorität – sowohl in Kriegsgebieten als auch in Hunger- oder Armutszonen. Beschränkung von subventionierten Exporten an Entwicklungsländer. Schuldenerlass für dritte Welt Staaten. Versuch eines europäischen Verteidigungsbündnisses – alternativ zur NATO. Ende der Expansionspolitik der EU solange keine vernünftige Konsolidierung der Mitgliedstatten eingetreten ist. Kritische Überprüfung der ursprünglichen Ziele und erreichten Leistungen der EU. KEINE (absolut keine!) Waffenexporte in Krisenregionen. Einführung einer Haftung für den Endverbleib von Waffenexporten.
  9. Gleichstellung / Familienrecht
    Konsequente Gleichstellung beider Geschlechter im Familienrecht – auch in der tatsächlichen Rechtsprechung. Abkehr von „einer betreut“ – „einer bezahlt“ Prinzip. Echte Gleichberechtigung wird nur zu erreichen sein, wenn wir damit auch möglichst früh in den Familien beginnen und entsprechende Strukturen schaffen. Das konservative Familienbild der 70er – 80er Jahre wird nicht länger die Messlatte für die Handlungen des Staates. Erziehungsaufgaben sind von hoher gesellschaftlicher Wichtigkeit und sollten deswegen vom Staat gegenüber den Forderungen der Wirtschaft geschützt werden. Jeder (Mann oder Frau), der sein Kind selbst erziehen will, kann zu Hause bleiben und erhält einen entsprechende finanzielle Absicherung – deutlich über Grundsicherung.
  10. Ein- u. Zuwanderung
    Etablierung einer klaren Einwanderungspolitik nach „Green-Card“ Modell (qualifizierte, geeignete Bewerber und Quote) in Deutschland. Vorübergehende (hier wirklich so viele wie möglich – aber ohne den inneren Frieden zu gefährden) Obergrenze beim Asyl – nur solange, bis entsprechende Integrationskonzepte geschaffen sind. Asyl nicht nach „wer es bis hierher (EU Außengrenze) schafft“, sondern Auswahl der Asylberechtigten möglichst nahe am Krisenherd nach Bedürftigkeit (z.B. Kinder, alleinstehende Mütter usw. zu erst.) Keine Deals mit Türkei und Co. Wir kaufen uns nicht aus unserer humanitären Verpflichtung frei. Bessere Integrationskonzepte für Asylsuchende – insbesondere bessere Verteilung. Recht auf Asyl kann verwirkt werden – nur bei schweren Straftaten.

Klar, jetzt werden viele sagen: Und wie will er das alles finanzieren? Ich hab jetzt gerade mal kein Excel-Spreadsheet mit den Kalkulationen angehängt ;-). Spaß beiseite: Ich bin sicher, dass sich eine Lösung finden lässt. Wir konnten ja auch – alternativlos und quasi über Nacht – etliche Milliarden für Banken- u. EU-Rettung finden. Dann klappt das bestimmt auch für Deutschland.

So… das wäre mein 10. Punkte Plan. Mit der aktuellen Bundesregierung hab ich wahrscheinlich nur die jeweiligen Titel und die Anzahl der Punkte gemeinsam. Wie sieht das mit euch aus? Was sind eure Top 10? Schreibt doch mal!

Danke für’s lesen.

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

 

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Real existierende Demokratie

Vielleicht geht es nur mir so, aber der aktuelle politische Diskurs verwirrt mich total. Das waren noch Zeiten, als man mit einer kurzen Richtungsangabe (links oder rechts) relativ eindeutig klar machen konnte, wo man politisch stand. In meinen jungen Jahren war „Links“ eben SPD und „Rechts“ eben der Rest – mehr oder weniger. Mittlerweile ist das Ganze nicht mehr so einfach. In den letzten Monaten bin ich wegen gleicher Kommentare jeweils gleichzeitig von „Linken“ als „Rechts“ bezeichnet worden und vice Versa. Nachdem ich jetzt sowohl von der „Merkel muss weg“-Demo als auch von den Gegendemo eingeladen wurde, gehe ich davon aus, dass ich irgendwo in der Mitte stehe. Genau da, wollte ich eigentlich überhaupt nicht landen (siehe mein Facebook Post vom März).

Leider – oder vielleicht zum Glück  – war ich am Tag der Demo an der Ostsee und konnte bei Meeresrauschen in Ruhe nachdenken. Mittlerweile haben mich aber einige Videos und Postings zu dem Event erreicht. Ich kann nur sagen: Echt jetzt? WTF ist mit euch los?

Ich kenne keinen der Organisatoren – soweit ich das beurteilen kann – persönlich. Ich habe aber die Einladung des Events auf Facebook interessiert gelesen. Mit dem Slogan „Merkel muss weg“ kann ich mich in jedem Fall identifizieren, auch wenn die Liste der Politiker, die ich in den Ruhestand wünsche, sicher deutlich länger ist. Es wurde aber auch folgendes gepostet:

— Aus der Einladung zur Merkel muss weg – Demo —

Bitte Folgendes beachten:

1) Wir demonstrieren friedlich, von uns geht keinerlei Gewalt aus

2) Um unser Tun ernst zu nehmen, ist der Konsum von Alkohol während der gesamten Demo untersagt. Stark alkoholisierte Personen werden vom Ort der Kundgebung durch unser Sicherheitspersonal entfernt

3) Nicht erlaubt:
  - Parteilogos oder Logos irgendwelcher Organisationen
  - Aufrufe zur Gewalt
  - Dinge, die an die Zeit von 1933-1945 anknüpfen.
  - Alkohol
  - gefährliche Gegenstände (Waffen, Anscheinswaffen, Messer etc)
  - Vermummung

3) Den Anweisungen unserer Ordner ist jederzeit Folge zu leisten

4) Für den Zusammenhang von Fremden erstellte Videos und unserer durchgeführten Demo und der Bereitstellung auf diversen sozialen Netzwerken übernehmen wir Veranstalter keine Haftung

5) Wir erwarten gutes Betragen. Selbst dann, wenn man uns anpöbelt. Da stehen wir drüber!

6) Zur eigenen Sicherheit empfehlen wir unauffällige Kleidung und An- und Abreise in Kleingruppen

Um uns von gewaltbereiten anderen Veranstaltungen und Gruppen deutlich zu distanzieren, bitten wir sehr, das zu respektieren!

---Zitat Ende ----

Hier kann ich nur sagen: Chapeau. So stelle ich mir eine demokratische Demo vor. Außerdem war die Demo wohl auch ordentlich angemeldet und genehmigt.

Schauen wir uns mal die Einladung zur Gegendemo an:

— Aus der Einladung zur Gegendemo  —

RECHTE MONTAGSDEMOS JETZT AUCH IN MAINZ?! Nicht mit uns!

Seit Mitte März trifft sich montags um 19:00 Uhr in Mainz eine wachsende Gruppe unter dem Motto "Merkel muss weg". Die politischen Inhalte lassen sich kaum von denen der PEGIDA-Aufmärsche unterscheiden.

Rechte Bürger*innen und AfD-Mitglieder stehen hier zusammen mit bekannten Neonazis. Gemeinsam versuchen sie ihre menschenverachtenden Positionen auf die Straße zu bringen. Dazu gehören vor allem islamfeindliche Propaganda, sowie die Forderung nach der "Festung Europa", was den Bruch mit zahlreichen Menschenrechten bedeutet.

DIESES GEDANKENGUT KÖNNEN UND WERDEN WIR NICHT TOLERIEREN.

Schon 2015 versuchten PEGIDA-Anhänger*innen in Frankfurt a.M. mit ihren rechtspopulistischen Parolen in der Region Fuß zu fassen. Jedoch stellten sich ihnen tausende couragierte Menschen ausdauernd und letztlich erfolgreich in den Weg.

Lasst uns ihnen auch in Mainz laut, entschlossen und mit vielfältigem Protest entgegentreten. Zeigen wir gemeinsam, dass hier für ihren schlecht versteckten Rassismus kein Platz ist.

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Denkt euch Plakate, Banner, Sprüche aus. Kommt vorbei, gerne mit allem was Krach macht, ob Musik (live?), Trillerpfeifen oder mit Kochtöpfen.

--- Zitat Ende ---

Zunächst sind Demo und Gegendemo ein Zeichen von Meinungsbildung in einer Demokratie. Mich verwirren hier nur einige Details. Die Gegendemo sieht sich offensichtlich als „die Guten“. Außerdem scheint es wichtig zu sein, die Demokratie gegen intolerante, faschistische Menschen zu verteidigen. Außerdem wird hier klar gesagt, dass „Rechte Bürger*innen und AfD-Mitglieder … zusammen mit bekannten Neonazis“ an der Demo teilnehmen. Hier wurde ich dann schon stutzig. Die Einladung liest sich nun mal überhaupt nicht „Rechts“. Was dann in der Praxis an Publikum auftaucht ist eine andere Frage, aber eben vom Veranstalter nur bedingt zu beeinflussen – was natürlich auch für alle anderen Demos gilt. Auch in Hamburg zum G9 Gipfel waren nicht alle Steinewerfer oder Brandstifter. Dann gibt es noch ein großes „Wir“ – das ausgewähltes Gedankengut nicht tolerieren will. „Wir“ stört mich immer prinzipiell, da es mich – oft ungewünscht – mit einschließt. Am meisten verwundert hat mich aber der letzte Satz: Es geht darum, mobil zu machen und dafür zu sorgen, dass die angemeldete Demo der Merkel-Gegner möglichst nachhaltig gestört wird. Also im Klartext: Wir schützen die tolerante, offene Gesellschaft, Meinungsfreiheit und unser demokratisches Grundverständnis, indem wir eine legale, angemeldete Demonstration von Andersdenkenden in Grund und Boden stören wollen. Merkt ihr selber, oder? Spätestens jetzt ist mir nicht mehr so ganz klar, wer hier die Feinde der Demokratie sind.

Das Stören hat, soweit ich das auf den Videos sehen konnte, ziemlich gut funktioniert. Ich sehe eine Gruppe von ca. 40 – 50 Menschen, die ruhig und zurückhaltend – man könnte es auch als eingeschüchtert interpretieren – in einer abgesperrten und mit Polizei umstellten Zone auf dem Marktplatz steht, während draußen ein vielfaches an Menschen die Atmosphäre eines aufgebrachten Mobs verbreitet. Von den Merkel Gegnern kommen ein paar Transparente ins Bild, an denen ich eigentlich nichts Rechtsradikales finden kann – möglicherweise gab es aber solche Inhalte auch. Was ich gesehen habe, lautet z.B. „Bekenntnis zu Deutschland – Gewaltfrei für unsere Kinder“ oder ein Plakat gegen Wohnungsnot, Armut im Alter, Zerstörung von Kultur und Kinderarmut und natürlich gab es auch ein „Kandel ist überall“-Plakat. Von den Reden konnte ich auf den Videos leider kaum etwas verstehen. Eine der wenigen Passagen, die ich (hoffentlich richtig) hören konnte, war ein Wutrede gegen die Tatsache, dass es kaum Gelder gibt, um den in Nordafrika gestrandeten Flüchtlingen bei ihren menschenunwürdigen Lebensumständen zu helfen. Klingt mir nicht gerade wie ein Hitler Doppelgänger muss ich sagen.

Der Witz ist: Es sollte völlig egal sein, welche Meinung hier vertreten wird, solange alle Auflagen und Gesetze beachtet werden. Es ist im Prinzip genau das Gleiche wie mit der AfD (und ich setze damit die „Merkel muss weg – Demo“ keineswegs mit AfD Gedankengut gleich). In einer Demokratie hat man andere Meinungen auszuhalten! Selbst wenn sie – wie im Falle der AfD – völlig abwegig sind. „Muslime raus“ fordern oder die AfD verbieten wollen sind nun mal 2 Seiten des gleichen Radiergummis. Oder um es mit Voltaire zu sagen:

„ Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität (das Volk ist in einer Demokratie der Souverän) liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.“

Ehrlich gesagt machen mir die tumben und dummen Rechten auch keine Angst. Ich fürchte mich eher davor, dass mal ein Schlauer kommt. Viel gefährlicher finde ich es, dass es scheinbar wieder gelungen ist, die Bürger beschäftigt zu halten, indem man einfach – mehr oder weniger wahllos, wie das Resultat in Mainz zeigt – links und rechts als In- u. Outgroup definiert. Echte gesellschaftliche Fragen spielen kaum eine Rolle mehr. Es zählt nur noch die Lagerzugehörigkeit und selbstverständlich hält sich jeder selbst für „Gut“ und die anderen sind „Schlecht“.

Lassen wir die Frage, warum es überhaupt möglich war, dass eine angemeldete Demo in der Art eingekesselt und gestört werden konnte, mal außer acht. Warum hat man die Reden nicht angehört und dann darauf reagiert (mit Worten), statt einfach alles niederzupfeifen?

Überhaupt finde ich, dass die AfD Wähler zu Unrecht verunglimpft werden. Sie haben eine legale Partei gewählt. Der Grund wird für die meisten der Wähler nicht Protest, sondern schlicht Zukunftsangst gewesen sein. Angst ist zwar ein schlechter Ratgeber, aber eben auch menschlich. Die Ursache dieser Angst haben die Politiker zu verantworten, die sich jetzt über die AfD ereifern und als Lieblingsbeschäftigung AfD Bashing betreiben – statt sich um die Lösung der eigentlichen Probleme zu kümmern.

Dass die Menschen Angst haben, ist eher ein Zeichen einer richtigen Einschätzung der Lage als nur Hysterie. Ein Großteil der Bürger fühlt sich von der Politik nicht vertreten. Wie man seit spätestens 2016 weiß, zu Recht. Damals wurde nämlich von der Regierung (Arbeitsministerin Andrea – auf die Fresse – Nahles) eine Studie am Institut für Sozialwissenschaften der Uni Osnabrück in Auftrag gegeben. Die Forschungsfrage war – etwas vereinfacht: „Versucht die Bundesregierung das Wohl und die Wünsche der einfachen Bürger im Auge zu behalten?“ Das Ganze sollte als Basis für den 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung dienen. Insbesondere sollte auch die Rolle der Reichen bei der Gesetzgebung untersucht werden. Es waren namenhafte Forscher die die „Responsivität“ (Wird der Volkeswille tatsächlich durch entsprechende Handlungen und Gesetzgebung umgesetzt) der deutschen Politik untersuchten. Der ganze Report hat mehr als 60 Seiten. Kurz zusammengefasst lautet die Antwort: Nein. Analysiert wurden mehr als 250 Sachfragen aus dem Zeitraum 1998 bis 2015 auf der Basis von ARD-Deutschlandtrend als Meinungsumfrage. Also: Offizieller Auftrag der Bundesregierung, unabhängige qualifizierte Forscher, unabhängige großflächige Meinungsumfragen als Baseline. Solide Forschung könnte man sagen. Besonders schlau war, zusätzlich zur Meinung der befragten Bürger auch noch deren Vermögensstatus zu erfassen. Damit war es möglich, die Volksmeinung auch nach „Gehaltsgruppen“ aufzusplitten. Die Auswertung zeigte immer das gleiche Muster: In allen Fragen wurde in der Gesetzgebung letztlich die Wünsche der Einkommensstärksten umgesetzt, während die Wünsche der Einkommensschwächeren meistens diametral entgegengesetzt waren. Egal, ob es um den Abbau der Staatsverschuldung, das Rentenniveau, Bundeswehr in Afghanistan oder Hartz IV ging. Die Regierung folgte immer dem Wunsch der Wohlhabenden.

Kein Wunder, dass man es da als normaler Bürger mit der Angst bekommt und dann – leider AfD – wählt, was besonders fatal ist, da die AfD unter dem Deckmantel des Patriotismus ein reine Klientelpolitik für die Reichen macht.

Quelle: Wikipedia

Falls Sie sich jetzt wundern, warum Sie von dem Report nichts gehört haben: Er hat es nicht in den offiziellen Armutsbericht geschafft. Erst wurde von mehr als 60 Seiten auf ca. 18 Seiten gekürzt und als es dann im Oktober 2016 im Bundeskanzleramt – Frau Merkel läßt grüßen – zur Debatte kam, wurde einfach gestrichen was das Zeug hält. Dankenswerterweise hatte der Verein Lobbycontrol im Frühjahr aber veröffentlicht, welche Passagen von Merkel entfernt worden waren. Leider erreichte das aber kaum die breite Öffentlichkeit. Besonders der in der Studie verwendete Begriff „Krise der Repräsentation“ wurde ausnahmslos getilgt. Selbst in der endgültigen Fassung des Armutsberichts von über 700 Seiten findet sich kein Hinweis mehr. Unnötig darauf hinzuweisen, dass die dazugehörige Debatte im Bundestag vor fast leerem Haus unmittelbar vor der Sommerpause stattfand. Andrea Nahles startete die Rede mit „Deutschland geht es gut“. Da braucht Merkel selbst gar nicht mehr aufzutreten.

Ich hätte noch viel zu dem Thema zu sagen, aber es soll ja ein Blogbeitrag und kein Buch werden. Ich kann in diesem Zusammenhang nur das Buch von Paul Schreyer „Die Angst der Eliten – Wer fürchtet die Demokratie?“ verweisen. Ein solide recherchiertes und mit Quellenangaben belegtes Buch, das viele interessante Zusammenhänge aufzeigt. Die knapp 200 Seiten haben für mich eine Vielzahl von Denkanstößen über unsere aktuelle Demokratie  geliefert.

Was können wir also aus den Ereignissen in Mainz lernen? Vielleicht, dass es in einer Demokratie tatsächlich für alle unter den gleichen Rahmenbedingungen möglich sein sollte, ihre politische Überzeugung zu äußern. Dass wir uns nicht im Streit um Richtungen und Lager entzweien lassen sollten, sondern gemeinsam im Diskurs – der auch gerne lebhaft und emotional sein darf – um Lösungen um die ECHTEN Probleme unserer Gesellschaft bemühen sollten. Am 09.04.2018 in Mainz auf dem Domplatz gab es nur einen Gewinner. Diejenigen, die verhindern wollen, dass sich etwas ändert. Es war ein makelloser Sieg. Eigene Akteure oder Argumente wurden nicht benötigt. Das beherrschte Volk blieb beim Kampf unter sich.

Danke für’s Lesen.

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

 

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Blaue Plaketten, rote Karten und schwarze Augenbinden.

Jetzt haben wir den Salat! Dieselfahrverbote! Jetzt hört der Spaß endgültig auf. Ist das der gewünschte Ruck, der durch Deutschland gehen muss? Statt ein toter Benno Ohnesorg die Autos in Bedrängnis? Ist das der Stein des Anstoßes, der alles entzündet?

Ehrlich gesagt wäre mir das sogar egal. Welche Ursache auch immer die Menschen zum Aufwachen bringt – es wäre gut für Alle. Der Witz ist, die Ursachen und Gründe, weshalb jetzt alle auf die Barrikaden gehen, sind keineswegs neu. Wir haben uns das alles gefallen lassen. Jahrzehntelang. Und aufregen tun wir uns auch nicht über die kommende Klimakatastrophe, sondern über die Einschränkungen der persönlichen Mobilität und Verlust von Kapital. Ich glaube, aus uns wären alle gute Geschäftsführer der Deutschen Bank oder so geworden. Immer den eigenen Vorteil streng im Blick.

Bevor jetzt der Shitstorm losgeht: Wir sind aber in erster Linie Opfer. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Von der Automobilindustrie verarscht und betrogen, von der Regierung als Bauernopfer in Stellung gebracht. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Was mich allerdings nachdenklich macht, ist die Art und Weise wie wir damit umgehen. Zum Beispiel werden jetzt plötzlich alle Feinstaub-Experten. Seit ein paar Tagen wissen alle, dass ein Ozeandampfer an einem Tag mehr Feinstaub ausstößt als 14.000.000 Golf. Wahnsinn! Oder das bei Messungen häufig nur die natürliche Feinstaubbelastung gemessen wird – die gäbe es auch ohne Autos. Und überhaupt: Wer hat denn den Grenzwert festgelegt? Und während wir unsere Wut hier langsam abarbeiten können, stellt Mama Merkel bereits den nächsten Lobby-Minister vor. Diesmal im Gesundheitswesen. Darüber hört man vergleichsweise wenig. Kostet ja auch (noch) kein Geld.

Der Ozeandampfer ist ein schönes Beispiel. Das Argument hätte auch durchaus aus der Politik kommen können. Egal was wir machen – andere sind viel schlimmer. Fakt ist allerdings, Ozeandampfer fahren nicht durch Städte – von Hamburg vielleicht mal abgesehen. Sie sind ohne jeden Zweifel Dreckschleudern, tragen zur Umweltbelastung in Innenstädten aber vergleichsweise wenig bei. Andersrum ausgedrückt: Das Verbot von Schiffen würde die Belastung in der Stuttgarter Innenstadt nicht wesentlich verändern. Das Ganze ist nicht so abstrakt und weit weg, wie man vielleicht annimmt. Nur wenige Kilometer von mir entfernt gibt es, in einem kleinen Ort namens Stadecken-Elsheim, eine Engstelle, durch die jeden Tag hunderte – wenn nicht tausende – Pendler fahren müssen. Hier wurde der höchste Wert an Stickoxiden in Rheinland-Pfalz gemessen. Machen wir uns nix vor: Das kommt nicht von Schiffen oder natürlicher Feinstaubbelastung. Die Werte korrelieren nahezu 1:1 mit dem Durchgangsverkehr. Das kann man nachweisen.

Bleibt die Frage nach den Grenzwerten selber. Ich sag es ungern, aber diese Werte sind nicht zum Schutz der Umwelt gemacht. Dann müssten sie nämlich niedriger sein. Die Grenzwerte sind der maximale Wert, den man in der Politik noch verantworten konnte, ohne weitreichende und schnell sichtbare werdende gesundheitliche Schäden der Bevölkerung zu riskieren. Sie sind sozusagen der Mindestschutz, den wir noch haben. Es scheint mir nicht sinnvoll, ein Loch ins Boot zu schlagen, weil man zu viel Wasser außerhalb des Boots hat und einen Ablauf schaffen will.

Wir lösen das Problem nicht, indem wir es abwerten (natürlicher Feinstaub), mit dem Finger auf andere zeigen (Ozeandampfer) oder brav weiter die gleichen Parteien wählen. Ein wenig könnten wir uns auch an die eigene Nase fassen. Muss der Trend wirklich zum SUV als Zweitauto gehen? Wollten wir die Versprechen nicht einfach glauben? 350 PS und nur 3,4 Liter Verbrauch?

Manche haben Glück. Ich muss beruflich nicht PKW fahren. Ich bin kein Pendler, wenn man die Strecke zwischen Schreibtisch und Kühlschrank nicht mitzählt. Das sieht für mehr als 18. Millionen Deutsche (Zahlen aus 2016) aber anders aus. Diese Menschen haben schlicht keine Wahl. Die durchschnittliche Pendelstrecke liegt bei ca. 18 km einfach. Mir fallen bei diesen Zahlen spontan 2 Fragen ein? „Warum so viele“ und „warum gibt es bei der relativ kurzen Strecke keine Alternativen“? „Warum so viele“ ist relativ einfach zu beantworten: Die Leute können es nicht bezahlen, da zu wohnen, wo sie arbeiten. Woran liegt das? An der Politik. Nicht an der Umweltpolitik. Es ist die (Finanz-) Wirtschaft, die uns das eingebrockt hat und die Politik hat brav zugesehen. Wieso müssen Wohnungen in Städten zum größten Teil Spekulationsobjekte sein? Wieso haben wir uns weitgehend vom sozialen Wohnungsbau verabschiedet? Warum gibt es privatisierte Bahnstrecken und immer weniger Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr? Warum kostet ein Jahresticket für den Stadtbus für mich 782,-€? Eine einfache Hin- und Rückfahrt ist teurer als mit dem Auto zu fahren inkl. Parkhaus. Die Politik hat das zugelassen. Wir (also die Mehrheit – ich meine jetzt nicht die andere Hälfte) haben das zugelassen! Das dein Diesel nicht mehr benutzbar ist, hast du dem Kreuz bei CDU auf deinem Wahlzettel zu verdanken. Verantwortung übernimmt da niemand.

Im Moment kann man nur hoffen, dass die Basis der SPD Mitglieder uns vor dem nächsten Super-Gau (GroKo) rettet – auch wenn die Chancen dafür scheinbar schlecht stehen. Eine Neuwahl würde uns zumindest noch einmal eine Chance geben, nicht wieder durch den Idiotentest zu fallen. Eigentlich sind das nur Nebenkriegsschauplätze. Das was uns durch die Klimakatastrophe – scheinbar kaum abwendbar – bevorsteht, wird das alles als Luxusproblem erscheinen lassen.

Danke für’s Lesen.

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

 

 

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Mohrenkopf meets #metoo

Vorsicht! Dünnes Eis. Die Chancen stehen gut, dass du das gerade gedacht hast. Akute Shitstormgefahr. Eigentlich noch schlimmer. Wäre ich jetzt Politiker, wäre ich entweder erledigt, oder zumindest im Rechtfertigungsdruck. Wahrscheinlich gäbe es auch Beifall von den ganz falschen Seiten. Zum Glück bin ich kein Promi. Die Leute die mich kennen, haben sich längst an meine Ausdrucksweise gewöhnt und ich wage zu behaupten: die meisten verstehen es auch richtig.

Angefangen hat es, wie meistens, ganz schleichend und mit besten Absichten. Weniger Sexismus, politische Korrektheit, Minderheitenschutz. Wir sind noch lange nicht am Ende bei dieser Entwicklung aber gewisse Ähnlichkeiten mit der Inquisition sind nicht von der Hand zu weisen. Wir verbrennen zwar (noch) keine Bücher, fangen aber schon mal an, Kunst von Universitätswänden zu entfernen, wie das Gedicht von Gromringer an einer Berliner Hochschule. Immerhin enthalten die 8 spanischen Zeilen ja 3 x den Begriff „Frau“ – wobei das spanische „mujeres“ irgendwie viel schöner klingt – und irgendwer hat irgendwann entscheiden, dass es sexistisch, anachronistisch und frauenfeindlich ist. Wer das genau entschieden hat steht meistens nicht in den Artikel. Es wird sich auf eine „Studentenbewegung“ berufen. Es ist schon spannend, wer in Deutschland mittlerweile alles eine Deutungshoheit hat und bestimmen darf, was ich auf einer Hauswand lese. Der ganze Streit hat natürlich längst den Campus der Berliner Universität verlassen. Ein wenig erinnert es mich an den Fall, als Weltweit Muslime beleidigt waren weil in einem kleinen Blättchen in Skandinavien Mohamed Karikaturen abgebildet waren. Damals machten sich dann alle bissig über die ewig beleidigten Muslime lustig. Im aktuellen Spiegel ist zu lesen, dass ein Gemälde von Courbet – Der Ursprung der Welt – mittlerweile einen eigenen Wachmann braucht. Es ist nämlich, ohne eine religiöses oder sonstiges Alibi, eine Muschi drauf zu sehen. Was für ein Schock, wo doch 50% der Menschen auch eine haben.

Wieso ist das ganze eigentlich so ein Minenfeld? Wieso ist Mohr den per se ein negativ behafteter Begriff? Ein paar Jahrhunderte war es eine gängige Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe. Kein gebildeter und aufgeklärter Mensch benutzt das aber noch in diesem Zusammenhang. Trotzdem sind Mohrenköpfe jetzt zwingenderweise Schaumspeisen und Zigeunerschnitzel gibt es besser auch nicht mehr. Mir ist noch die endlose Debatte im Gedächtnis, bei dem ein Mainzer Traditionsbetrieb – die Dachdeckerei Neger – wegen Namen und Logo in Teufelsküche kam. Die Leute hießen nun mal einfach so und der berühmte Fastnachts Opa – in der Region legendär durch seinen Song „heile, heile Gänschen“ –  hat sich vor 70 Jahren ein Logo mit einem „Neger“ ausgedacht. Das kann man gut oder schlecht finden, aber einem Inhaber und Betrieb der Nachweislich eher Caritativ unterwegs ist und selbst viele Ausländer beschäftigt vorzuwerfen dem „Rassismus ein Gesicht zu geben“ geht aus meiner Sicht weit über Meinungsfreiheit hinaus und hört sich für mich eher nach Hetze und Rufmord an. Das perfide: die Anschuldigung genügt, und die Fakten spielen keine Rolle mehr.

Wir wollen die Guten sein. Keine Frage. Rassismus ist schlecht. Diskriminierung auch. Wer würde das bestreiten außer ein paar tumben Idioten? Viele Menschen suchen deshalb nach einfachen Möglichkeiten alles „richtig“ zu machen – und machen deswegen alles falsch. Wir brauchen keine Gesinnungspolizei, die die political correctness Sharia durchsetzt. Jeder sollte schon für sich selbst Nachdenken was Rassismus und Diskriminierung ist. Beides entsteht nicht durch die „bösen“ Wörter. Erst wir geben ihnen die semantische Bedeutung. Wenn ich das Logo der Firma Neger für rassistisch halte, bin ich wahrscheinlich mehr Rassist, als der Erfinder. In meinem Kopf entsteht dann nämlich das Bild von dem „Schwarzen“, den ich schützen muss. Ich denk bei Neger eher an die Süßspeise – und die liebe ich. Es ist so ähnlich wie mit Witzen über Behinderte. Die Betroffenen kennen die besten und lachen am lautesten. Außerdem wäre doch gerade das ausschließen aus Witzen eine Diskriminierung. Das es dabei eben auch Regeln des Anstands gibt ist unbestritten. Ich will nur nicht, dass jemand anderes die für mich festlegt. Eine hochgezogene Augenbraue meines Gegenübers hat früher gereicht um zu merken das man ins Fettnäpfchen getreten ist. Das war peinlich und man hat es sich gemerkt, oder entschieden: „Stellt der sich an!“. In dem Fall wurde man eben nicht Saufkumpane. Eine totale Vernichtung des Gegners zur Umerziehung war nicht nötig.

Bei der #metoo Debatte geht es mir so ähnlich. Auch hier ist doch klar, wer andere Menschen sexuell nötigt gehört bestraft, bei Beteiligung von Kindern gerne auch mal länger Knast – auch wenn ich weiß, dass die meisten Täter in dem Bereich früher selber Opfer waren. Das ist bedauerlich, aber weitere Opfer zu verhindern hat nun mal Priorität und ist auch sinnvoll. Sonst endet diese Spirale nämlich nie. Wir haben, im Prinzip, auch Gesetze die hohe Strafen ermöglichen. Komischerweise hab ich aber immer das Gefühl das Parksünder und Raubkopierer eher in den Knast gehen als Kindesvergewaltiger, aber das ist ein anderes Problem.

Das es jetzt aber schon als sexuelle Belästigung gilt, wenn ich einer Frau 5 Sekunden zu lang hinterher schaue, macht mir eher Angst. Ob sich jemand beleidigt oder belästigt fühlt oder nicht ist höchst individuell. Außerdem müsste das da ja auch konsequent für Alle gelten, d.h. auch Männer dürften dann über alles und jedes beleidigt sein. Wie sollen wir das mit gesellschaftlichen Normen reglementieren? Ich rede hier nicht von „sie hat zwar Nein gesagt, meinte aber Ja“. Wenn ich einer Frau ein Kompliment mache und sie das zurückweißt, ist jeder weitere Schritt Belästigung. In manchen IQ-Bereichen ist scheinbar hinterher pfeifen oder Bemerkungen über Brüste als Kompliment gedacht. Das ist sicher nicht Gentlemen-like sondern schlicht dämlich, aber jemanden wegen fehlenden Stils oder Dummheit wegzusperren bzw. seine Existenz zu vernichten? Mittlerweile die gängige Strafe für Verfehlungen jeder Art in diesem Bereich. Eigentlich ist die Sache ganz einfach. Stell dir vor, du hast eine Tochter, und dann benimm dich so, wie du es beim Freund deiner Tochter erwarten würdest.

Die meisten Fälle von sexueller Belästigung oder Diskriminierung entstehen, wenn es ein Machtgefälle gibt, und um es klar zu sagen, ich halte das nicht für ein Geschlechterproblem. Ich konnte in meiner beruflichen Tätigkeit einige Frauen in Führungspositionen erleben und kann sagen, die fassen einen vielleicht nicht an den Hintern (lag möglicherweise an meinem Hintern), aber die sind genauso eiskalt und gehen über Leichen wie der typische olg ugly white man.

Es ist ganz klar, dass ein fummelnder Vorstandsvorsitzender für eine Sekretärin ein echtes Problem ist. Oder eine Gruppe besoffener mit offener Hose, wenn eine Frau alleine im Parkhaus ist. Genau für solche Fälle brauchen wir eben Frauenbeauftragte oder Polizei. Ich denke aber nicht, dass es sich hier um einen Flächenbrand handelt. Eher um ein Generationenproblem. Es ist vielleicht nicht wirklich aufgefallen, aber Männer haben sich in den letzten 40 Jahren sehr wohl verändert. Unglücklicherweise schein das den meisten weiblichen Aktivisten nicht aufgefallen zu sein. In modernen Beziehungen gibt es kein echtes Machtgefälle mehr – außer vor dem Familiengericht. Dort wird komischerweise von allen Frauengruppen ohne Kritik hingenommen, dass die Frau als hilf- u. mittellos dargestellt wird und der Mann die finanzielle Versorgung sicher zu stellen hat. (Ich erlaube mir hier mal eine Verallgemeinerung weil es in 95% der Fälle so verhandelt wird. Natürlich kann das im Einzelfall auch mal umgekehrt sein. Blödheit und Charakterschwäche sind keine Frage des Geschlechts). Außerdem sind die wenigsten von uns (Männern) tatsächlich in einer echten Machtposition. Von den knapp 42 Millionen Männern in Deutschland dürften nur wenige Vorstandvorsitzende o.ä. sein. Ich würde behaupten, dass weniger als 1 % der Männer eine echte Machtposition im Beruf haben die sie ausnutzen könnten. Noch krasser ist es in Amerika. Da reicht es schon das jemand denkt, dass es „potentiell“ Frauenfeindlich war wenn sie ein Kompliment über Schuhe gemacht haben und sie gehen stempeln. Ich sehe da sehr wohl ein Machtgefälle, aber nicht auf Seiten der Männer.

Die Tatsache das Männer meistens Frauen an Körperkraft überlegen sind würde nur automatisch ein Machtgefälle erzeugen, wenn wir alle kein Gehirn hätten oder pur instinktgesteuert wären. Wir haben aber zum Glück schon seit mehreren 10.000 Jahren eine Großhirnrinde, die auch einen sozialen Kodex enthält. Echte Männer schlagen keine Frauen. Sie beschützen sie. So wie Menschen Kinder beschützen und es so üblich ist – zumindest wenn es einen Rest Kultur gibt – den schwächeren zu helfen. Der „Schwächere“ ist eine Rolle die dauernd wechselt. Das hat mit Situationen und nicht mit Geschlecht zu tun. Etablieren tut man sowas in Gesellschaften durch Vorbilder. Wer also wirklich was gegen Sexismus tuen will, ist gut beraten, die bisher erfolgten positiven Veränderungen in dem Umgang zwischen Mann und Frau anzuerkennen und zu fördern. Eine Frau kann nur wirklich gleichberechtigt sein, wenn sie dem Mann das auch in typischen Frauendomänen erlaubt. Ich rede jetzt nicht davon, dass ein Mann auch Sprechstundenhilfe werden darf und eine Frau Maurer. Das ist doch längst selbstverständlich. Ich rede von einer echten Gleichberechtigung bei den Rollen innerhalb der Familie, ganz besonders bei der Erziehung der Kinder. Die Generation der Väter von heute hat mit dem Verhalten unserer Väter kaum noch etwas gemein. Bei wieviel Männern zwischen 30 und 50 geht die Familie den nicht vor? Das wäre eine interessante Untersuchung, für die es leider kaum belastbare Zahlen gibt. Deswegen kann ich mich nur in meinem Umfeld umsehen um zu einer Antwort zu kommen. Möglicherweise fällt die Antwort für dich anders aus, aber ich sehe fast ausschließlich Männer, die ihr Bestes geben ein guter Vater zu sein und gerne jede Aufgabe in der Familie mit tragen. Ob die auch derbe Witze über Frauen machen? Klar. Aber jeder weiß genau, in welchem Umfeld sowas geht oder nicht. Machen Frauen übrigens ganz genauso.

Es ist auch aus einem ganz praktischen Grund schlecht, Männer unter Generalverdacht zu stellen oder bei jedem unerwünschten Verhalten gleich nach der Höchststrafe zu rufen. Wie sollen den funktionierende Beziehungen entstehen, wenn ich vor dem Sex ein schriftliches OK brauche und trotzdem hinterher behauptet werden kann, dass man seine Meinung geändert hat aber sich zu unterdrückt fühlte es zu äußern? Das ist das Ende jeglichen Vertrauens. Damit landen wir in einer Gesellschaft die schlicht keine mehr ist. Eine Universallösung kann ich leider nicht anbieten. Außer vielleicht: benutzt euer Gehirn! Lasst nicht von Menschen, die ihr gar nicht kennt festlegen, was in eurem sozialen Umfeld „angemessen“ ist und was nicht. Traut euch ein eigenes Urteil zu.

So. Und bevor jetzt der Shitstrom losgeht, bekommt meine Frau einen Klaps auf den Hintern und ich lass mir ein Wurstbrot bringen. Dabei kann ich nämlich am besten überlegen was ich nächste Woche für meine Tochter kochen will, wie ich ihr am besten bei den Hausaufgaben helfe und welche Putzmittel ich für den Hausputz brauche.

Danke für’s Lesen.

Peace – Euer Christian

#keinPolitiker

 

 

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Die Wurzel allen Übels

„Die Wurzel allen Übels“ – eine Redewendung, die wohl jeder schon einmal gehört hat. Soweit ich das nachverfolgen konnte, war damit ursprünglich das Geld – als Wurzel allen Übels – gemeint. Ob das wirklich so ist weiß ich nicht, aber für möglich würde ich es halten.  Davon unabhängig finde ich es gut, den Dingen oder Ursachen auf den Grund zu gehen. Etwas zu verstehen kann niemals schlecht sein. Eher im Gegenteil.

Gestern hab ich einen Artikel im Netz gelesen, der sich mit der Stadt Cottbus beschäftige. Eine Menge Gewalt, Klischees, Beschuldigungen und erhobener Zeigefinger plus Kopfschütteln. Die stetig präsenten Reizwörter waren auch wieder dabei: Asyl, Rechte, Linke, Gutmenschen usw. Es hängt mir so zum Hals raus.

Ich hab keine Ahnung warum wir uns mit den Etiketten Rechts, Links, Bürgerlich, etc. überhaupt noch abgeben. Was soll das bringen? Vereinfachung? Funktioniert offensichtlich nicht. Wenn ich mich heute zu politischen Themen äußere, kann ich nie sicher sein, welchem Lager mein Gegenüber meine Äußerung zuordnet. Ehe man sich versieht, wird man als Nazi oder linksversiffter Hippi durchs Dorf getrieben. Ich kann sagen, dass mir z.B. die Ziele der AfD als Partei im Wesentlichen nicht zusagen, das gilt aber auch für SPD, Grüne und CDU. Ich halte den Familiennachzug aber auch für ein extrem kritisches Thema – was ich dann wieder mit der Identiären Bewegung gemein hätte, deren Fan ich ausdrücklich nicht bin.

In der Politik hat alles mit Parteien zu tun. Es heißt ja auch: Partei ergreifen. Ich glaube, wir haben da was falsch verstanden. Zunächst habe ich mir eine Meinung zu bilden und dann vertrete ich diese – vielleicht vertreten durch eine Partei – oder auch nicht. Aber unsere Weltanschauung besteht aus mehr als einer Meinung zu einem Thema. Welche Partei soll mich da also vertreten? Brüder im Geiste zu finden ist da schon wesentlich schwieriger. Die Parteien suchen dann Mehrheiten in dem Meinungsbild der Bevölkerung und schwingen sich dann an, dieses zu vertreten. Verkehrte Welt. Ein Partei hat eine Meinung zu haben und wer als Wähler dem zustimmt, soll die halt wählen. Ein Partei, die dauernd das Programm nach „Volksmeinung“ – oder was man dafür hält – ändert, ist keine Partei sondern ein Trupp Populisten. Noch schlimmer sind die, deren Parolen nicht mal 2 Wochen nach den Wahlen in Rauch aufgehen – nennt sich dann Koalitionsverhandlungen.

Genau deshalb ist die Welt voller Vereinfacher aka Bauernfänger, die uns weißmachen, dass es nur richtig und falsch gibt, alle Klischees stimmen und überhaupt nur sie – wenn überhaupt – können die Welt retten. Ich kann schon verstehen, warum viele Menschen sich für diese Lösung entscheiden und einfach jemanden folgen der laut und wütend schreit. Menschen, besonders jene die wirtschaftlich schwach und abhängig sind, sind leicht zu Ängstigen und Angst ist eine mächtige Motivation. Wenn ich es schaffe Menschen Angst zu machen, kann ich sie in fast jede Richtung bewegen. Warum haben aber so viele Menschen bei uns Angst? Angst vor Arbeitslosigkeit, Altersarmut, sozialer und realer Gewalt… die Liste ist endlos. Weil sie sich nicht beschützt fühlen. Das, und genau das, wäre eigentlich die originäre Aufgabe eines Staates.

Wer heute Arbeitslos wird, landet nach 12 Monaten im sozialen Abseits, wer krank wird und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann muss mit Renten knapp über dem Existenzminimum leben, wer mehr Rente bekommt zahlt Steuern, aber eine Vermögenssteuer für die Superreichen gibt es nicht. Die zahlen nämlich gar keine. Während man im Deutschland über die Unterbringung von Asylanten debattiert, suchen viele der 7,5 Millionen geringfügig Beschäftigten in Deutschland eine Wohnung die sie bezahlen können. Es gibt Viertel in Großstädten in denen keiner mehr hin will/soll, Bundeswehr ist quasi nicht Einsatzfähig und Polizei und Justiz seit Jahren unterbesetzt und frustriert. Keine Frage Asyl ist Menschenrecht und muss geschützt werden – das müssen die eigenen Bürger aber auch. Bei ständig steigendem Bruttosozialprodukt, Steuerrekorden und Wirtschaftswachstum kann man eigentlich annehmen, dass man beiden Seiten gerecht werden kann.

Der eigentlichen Gründe für die Angst der Leute ist nicht Dummheit oder schlaue Bauernfänger. Es ist ein nicht funktionierender Staat. Wer kann sich den heute Ernsthaft von den „etablierten“ Parteien vertreten fühlen? Vielleicht 1-2% der Gesellschaft. Der Rest wird mit Krümeln – bestenfalls – abgespeist und bildet sich nur ein, „seine“ Partei würde schon für das Wohl aller Sorgen.

Wenn ich mir jetzt das GroKo gewürge ansehe und die einfach weiterregierende Kanzlerin bin ich sicher, dass keine Sau mehr an die Politik als Lösungsweg glaubt.

Wie soll das weitergehen? Ich glaube, die Politik ist zu wichtig um sie den Politikern zu überlassen. Rudi Dutschke sprach 1967 von einem Marsch durch die Institutionen um die gesellschaftlichen Strukturen von innen heraus zu verändern. Ich fürchte, dafür fehlt uns heute die Zeit wenn wir nicht eine dunkle Epoche riskieren wollen. Ich habe darüber ja schon in meinem Beitrag „Die kommenden Tage“ geschrieben.

Eine Patentlösung habe ich nicht, aber ich glaube es würde helfen, wenn wir – jeder für sich – helfen würde, den Staat zu reparieren. Dabei spielt es keine Rolle ob wir das in der Nachbarschaft machen, im Sportverein, der Gemeinde, Kommune oder eben als Nicht-Politiker in der Politik. Wir müssen zeigen, dass das funktioniert und wir – das Volk – nicht die Politiker, die Ärmel hochkrempeln und anfangen. Ich will auch mehr Direktkandidaten und Parteilose bei den Wahlen zu Gemeinderäten, Bürgermeistern, usw. #keinPolitiker als Hashtag würde ich gerne bei vielen Aktionen sehen, die dabei helfen, die Probleme wirklich anzugehen.

Geht nicht der Angst auf den Leim. Wenn ihr Probleme seht, bekämpft die Ursachen nicht die Symptome.  Ein wenig Zeit haben wir noch.

Danke für’s Lesen.

 

Peace – euer Christian

#keinPolitiker

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Robinsons Tod

Quelle: Wikipedia

Wir haben es weit gebracht. Weil sich an Weihnachten religiöses anbietet und Zitate immer gebildet wirken – besonders in Latein – könnte man auch sagen Dominium terrae: Mission accomplished. Das Ganze ist in der Bibel (Genesis 128) schön beschreiben, für diejenigen, die es mal genauer nachlesen wollen. „Macht Euch die Erde untertan“ usw. Zumindest aus der Sicht der Christen müsste also alles bestens laufen. Komischerweise hat das Ganze auch gewisse Ähnlichkeiten mit einem Zitat von Jack Sparrow aus dem Fluch (!) der Karibik: „Nehmt, was ihr kriegen könnt und gebt nichts wieder zurück“. Ist scheinbar nicht nur bei den Religionen beliebt. Funktioniert genauso im Kapitalismus. Keine Angst, jetzt kommt kein linkes Geschreibsel. Ich will auf etwas anderes hinaus.

Schaut an, was wir alles können. Ich sitze hier an einem Laptop und schreibe einen Text. Das Ding besteht aus komplexer Elektronik, inkl. angewandter Quantenphysik. Ich sitze auf einem Sofa aus High-tech Fasern, hinter 4 fach-Verglasung, koche auf einem Induktionsherd, imprägniere meine Schuhe gegen den Schnee, haue mir kiloweise hochverarbeitete Nahrung (vorzugsweise Zucker) rein und schlucke brav meine Pillen, damit ich nicht Amok laufe. Quatsch. Spaß! All diese Dinge benutze ich ganz selbstverständlich und solange ich das nötige Geld habe, denke ich wohl auch nicht weiter drüber nach. Ist auch besser. Wenn man das nämlich macht, kommt man schnell an den Punkt, an dem man sich für einen Nichtskönner hält. Hätte ich nämlich kein Geld und müsste irgendwas von diesen Annehmlichkeiten selber herstellen, wäre ich ganz schön in Schwierigkeiten. Wir sehen heute die Auswirkungen von über 200 Jahren Industrialisierung. Arbeitsteilung und Aufspaltung der Produktionsprozesse war letztlich die Triebfeder (neben der Ablösung der Muskelkraft durch Maschinen). Den meisten Menschen ist gar nicht klar, wie spezialisiert wir mittlerweile sind. Man könnte auch sagen abhängig. Was passiert, wenn mal für 2-3 Tage die Geldautomaten nicht gehen? Oder es eine Woche keinen Strom gibt? Mittlerweile gibt es in Deutschland eine ganze Subkultur, die sich mit solchen Szenarien beschäftigt: die Prepper. Oft belächelt und zuweilen auch als „Rechte“ verschriehen. Es sind sozusagen die letzten Robinsons unserer Zeit. Sie könnten auch ohne die Zivilisation noch eine Weile durchhalten.

Wir haben eine riesige Monokultur gebaut. Alles ist nur noch gegen Geld erhältlich. Und wie jede Monokultur ist das ganze anfällig und muss dauernd gepflegt werden. Aus dieser Monokultur auszusteigen ist kaum möglich und nur die ganz harten versuchen das. Es ist uns nicht nur egal, wo unser T-Shirt genäht wird, wir haben auch keine Ahnung wie ein Faden überhaupt entsteht und wie Weben funktioniert. Wir können es zwar auf dem schicken Tablet bei Wikipedia nachsehen, aber selber weben könnten wir nicht.

Weben ist übrigens ein gutes Beispiel. Nicht nur, dass in dieser Branche die Industrialisierung ihren Anfang nahm. Es zeigt auch den Einfluss solcher Entwicklungen auf das soziale Gefüge einer Gesellschaft. Indien war z.B. über Jahrzehnte billiger Lieferant für Baumwolle, die an die Kolonialherren in England verkauft wurde. Dort wurde sie mit Hilfe billiger Fabrikarbeiter „veredelt“, d.h. es wurde Kleidung daraus, die dann wieder teuer nach Indien verkauft wurde. Webereien in Indien waren nicht gerne gesehen. Man hatte lieber hochspezialisierte Bauwollpflücker. Reich geworden sind dabei nur wenige. Nicht umsonst war die Spinnrad-Kampagne ein wesentlicher Teil von Ghandis Versuchen, Indien zu befreien. Er ging mit gutem Beispiel voran, reiste mit Spinnrad, und stellte seine eigene Kleidung her. Es ging ihm natürlich um die Geste: „Wenn wir unabhängig

Quelle: Wikipedia

sein wollen, müssen wir auch für uns selber sorgen können.“ Noch heute ist das Spinnrad Teil der indischen Flagge. Spezialisierung bedeutet also immer auch gesteigerte Abhängigkeit. Im Vergleich zu unseren Großeltern sind wir heute die totalen Fachidioten. Das wird wohl auch nicht mehr besser. Dass eine Bevölkerung, die hochgradig arbeitsteilig organisiert ist, leichter zu steuern ist, ist eine Binsenweisheit. Besonders wenn das einzig universelle Gut (Geld) immer mehr physisch verschwindet. Das alleine wäre einen Blogbeitrag wert. Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Aspekt.

Was hat uns als Spezies eigentlich so erfolgreich gemacht? Warum konnten wir alle anderen Arten überflügeln? Die Antwort ist ziemlich einfach. Weil wir Multitalente waren. Wir konnten fast überall überleben und uns auf die verschiedensten Lebensbedingungen einstellen. Unser Lebensraum war auf den eisigen verschneiten Gipfeln des Atlas-Gebirges bis hin in die afrikanische Wüste. Es war uns egal, ob wir unsere Kalorien aus Protein, Fett oder Kohlenhydraten bekamen, konnten lange und schnell laufen und wenn wir für eine Aufgabe zu schwach waren, wurden wir stärker. Wir waren flexibel. Das Ganze steckt auch schon so in unserer Biologie. Wir kommen als Menschen ziemlich unfertig auf die Welt. Das ist ein Kompromiss, den die Natur eingehen musste, weil ein größeres Gehirn nicht mehr durch den Beckenkanal der Frau passt. Ohne moderne Medizin würde es bei jeder 10. Geburt zu (oft) tödlichen Komplikation kommen. Die Evolution hat also das Maximale ausgereizt, was möglich war. Dafür hat das Gehirn nahezu unendliche Speicher und Lernfähigkeit. Die Großhirnrinde – der Teil, der uns im Wesentlichen von anderen Säugern unterscheidet – hat sich massiv vergrößert. Einen wesentlichen Anteil an dieser Weiterentwicklung hat die Entstehung der Sprache. Erst sie machte aus dem Gehirn dieses universelle und mächtige Werkzeug. Lustigerweise spielte auch hier nicht Spezialisierung, sondern Universalität die Hauptrolle. Sprache entstand nicht aus Lauten, sondern aus Gesten. Es beginnt auch heute noch mit dem einfachen Zeigen des Zeigefingers. Komplizierte Gesten (oder handwerkliche Arbeiten) benötigen hohe Kontrolle der Hand. Wer Zeit hat, kann sich gerne dazu einen Vortrag von Dr. Martin Fischer aus Jena anhören. Er erklärt sehr schön, wie eine kleine anatomische Abweichung unserer Handknochen im Vergleich zu Menschenaffen, es den frühen Menschen ermöglichte komplexe Gesten und Handgriffe auszuführen. Das war nicht nur der Startpunkt zur Entstehung der Sprache, es führte auch – zusammen mit eiweißreicher Ernährung – zu einem Sprung in der Gehirnentwicklung. Es machte unsere Hände zum Universalwerkzeug. Und uns letztlich zum Alleskönner. Ein echtes Erfolgsrezept.

Heute will jeder Spezialist sein. Wie klein unsere Welt, in der wir uns bewegen können, doch geworden ist. Für jeden kleinen Schritt außerhalb des Habitats unserer Spezialisierung brauchen wir einen anderen Spezialisten. Das ist keineswegs ein Bildungsproblem. Das trifft den Ungelernten genauso wie den Nobelpreisträger. In vielerlei Beziehung sind wir heute genauso unfertig und hilflos wie Babys. Wir sind nur noch als Konsument überlebensfähig. Als Individuum sind wir verloren. Es wird noch schlimmer werden. Digitale Techniken und Künstliche Intelligenz werden viele Spezialisierungen von Menschen überflüssig machen. Die wenigen neuen Spezialisierungen, die dann benötigt werden, werden das nicht aufwiegen.

Quelle: Wikipedia

Wie wäre es, wenn wir gelegentlich mal aus unserer Nische herauskommen? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Mal lernen, wie man einen Knopf selber annäht, einen Fisch ausnimmt, Kartoffeln pflanzt, oder Papier schöpft…. das kann sogar ziemlich viel Spaß machen. Ich denke, wir sollten unsere (Über)lebensfähigkeit nicht ganz zu Gunsten der Anforderungen der Industrie aufgeben. Wir können ruhig mal was selbst machen – auch wenn das Ergebnis dann vielleicht nicht ganz so toll aussieht, es länger gedauert hat und es auch teurer war. Dann haben wir nämlich was gelernt….. Lernen. Übrigens die Überlebenstechnik schlechthin.

Danke für’s Lesen.

Peace. Euer Christian

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Demokratie 2.0

Bald ist es  soweit. Am 24.September, also in wenigen Tagen, ist wieder Bundestagswahl. Auch wenn das wohl mittlerweile kaum einer mehr so sieht: es macht einen Unterscheid was, oder ob, wir an diesem Tag wählen. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, wo wir uns, als Deutsche, als schlau oder strunzdoof erweisen können. Wollen wir „weiter so“, oder „zurück nach 1935“ oder wagen wir einen „neuen“ Entwurf? Das wären so grob die Möglichkeiten, die zur Auswahl stehen.

Also ich werde „links“ wählen, aber da sind natürlich die Geschmäcker verschieden. Damit muss man in einer Demokratie leben. Falls wir noch in einer leben. Mittlerweile darf man ruhig gelegentlich mal zweifeln, aber nehmen wir das für einen Moment mal an. Wer wird eigentlich gewählt? Na, die Volksvertreter. Schwieriger ist schon die Frage, nach welchen Kriterien man diese Vertreter aussuchen sollte. Gehen wir logisch vor. Die „Besten“ sollen es machen. Klingt einleuchtend. Problem: was bedeutet „die Besten“ in diesem Fall? Es könnten z.B. die mit der besten Qualifikation für das jeweilige Ressort sein, also nicht gerade ein Mediziner, der Verteidigungsminister wird. Leider geht das nicht so einfach, da man ja vor der Wahl nie weiß, welcher Politiker auf welchem Ministerposten landet, solange Koalitionen gebildet werden müssen und damit das unvermeidliche Jobgeschacher beginnt. „Die Besten“ könnten aber auch die Schlauesten bedeuten, in der Hoffnung, dass ein hoher IQ sozusagen als Basisqualifikation zum schnellen Erlernen verschiedener Aufgaben befähigt. Gleiches könnte man z.B. auch bei Leuten mit großer Lebenserfahrung annehmen, vorzugsweise Menschen, die viele Probleme und Schwierigkeiten im Leben hatten und diese gut gemeistert haben. Alternativ könnte man auch ganz anders vorgehen, nämlich den Bundestag als Abbild der Gesellschaft zu verstehen, also echte Volksvertreter zu wählen. Dann müsste sich der Bundestag ähnlich der Bevölkerungsstruktur der BRD zusammensetzen – mit allen Aspekten und Meinungen. Lustigerweise scheinen sich die Menschen beim Wählen mit solchen Nebensächlichkeiten gar nicht aufzuhalten. Das wird deutlich, wenn man sich die tatsächlichen Abgeordneten des Bundestags einmal ansieht. Wenn ihr nach dem Handwerker, Einzelhandelskaufmann, Friseur oder der Metzgereifachverkäuferin sucht, wird es ganz schön eng. Die Berufsgruppe, die den kompletten Bundestag beherrscht, sind die Juristen. Deren Anzahl hat sich seit 1961 im Bundestag mehr als verdoppelt. Wenn ich ehrlich bin, kenne ich kaum einen Juristen, neben dem ich im Bus sitzen will, geschweige denn, dass er mein Leben beeinflussen sollte. Wenn ich nur einen Satz als Antwort auf die Frage hätte, was im Bundestag falsch läuft, würde ich wahrscheinlich antworten: zu viele Juristen! Auch auf Position 2, 3 und 4 finden sich nicht wirklich Berufe, die viel mit dem deutschen Alltagsleben (und dessen Sorgen) zu tun haben. Politologen, Volkswirte und dann Beamte – allen voran die Lehrer. Also meistens Menschen, die sich einfach mal freistellen lassen können, etwas Politik machen und dann, ohne Druck, wieder in ihren Beruf zurückkehren können. Davon kann ein Schlosser oder die Verkäuferin bei Aldi nur träumen. Scheinbar ist die einzige Währung, in der der Wähler abrechnet, Popularität. So schafft es dann auch mal ein Ex-Catcher mit dem schönen Kampfnamen „Fieser Freiherr“ in den Bundestag und konzentriert sich fortan auf Energie, Wirtschaft, Verkehr. Oder die Sport-Ikone Eberhard Ginger, der einfach mal 53% in seinem Wahlkreis abräumt. Ich wette, wenn Günther Jauch jemals antritt, gibt es einen Erdrutschsieg. Defakto waren die letzten Bundestagswahlen viel mehr Personen als Parteienwahlen. Zwar sind es die Parteien, die nach Artikel 21 des Grundgesetzes bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, in der Praxis funktioniert das aber eher schlecht.

Wie immer ist meckern natürlich einfach, aber konstruktive Vorschläge machen besser. Es gibt in der Tat einiges an Literatur und Forschung über die Schwachstellen einer Demokratie und wie man ihnen begegnen kann. Ein Konzept hat mir besonders gefallen, auch wenn es auf den ersten Blick ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Die Wahl des Ministers im Losverfahren. Die Idee ist folgende: Es wird nicht die Regierungspartei bestimmt, sondern nur noch Chefs für die entsprechenden Ressorts plus eine Oberaufsicht. Für die einzelnen Ressorts werden Pools von geeigneten Bewerbern gebildet. Die Kriterien könnte man per Volksentscheid bestimmen lassen. IQ, Lebenserfahrung, bisheriges (ethisches) Verhalten, praktische Erfahrung im Ressort usw. könnten mit einfließen und man könnte, ganz nebenbei, auch die Zielvorgaben festlegen. Echte Basisdemokratie also. Am Ende hat man dann eine Gruppe der „Besten“ für das jeweilige Ressort – außerhalb jeder Parteienzugehörigkeit. Der Glückliche wird dann aber nicht gewählt, sondern per Los bestimmt. Da ja nur geeignete Bewerber im Pool sind, hat der Kandidat auf jeden Fall eine deutlich bessere Qualifikation als im bisherigen System. Außerdem können wir im Moment ja auch keine Minister direkt bestimmen und so unterbindet das System wenigstens Vetternwirtschaft und Seilschaften sofort. Als nächstes machen wir den Mann finanziell unabhängig. Werft ihm ruhig ein paar Millionen hinterher. Natürlich nicht alles in Euro. Ich denke eher an ein fettes Gehalt plus eine Art Aktienpaket. Das Aktienpaket kann er frühestens nach 8 Jahren zu Geld machen oder es behalten und auf weitere Wertsteigerung hoffen. Der Wert der „Aktien“ wird dann auf der Basis von Arbeitslosigkeit, Umweltschäden, Gesundheits- und Bildungsstand der Bevölkerung usw. festgelegt. Das sorgt dafür, über die nächsten 4 Jahre hinaus zu denken. Das Ganze wird dann noch abgerundet mit einer möglichen Verurteilung wegen Landesverrats, wenn man sich mit einer Lobby in Bett gelegt hat oder ähnliches. Natürlich gilt dann nach Ende der Amtszeit ein branchenbezogenes Berufsverbot.

Leider haben wir so ein Modell im Moment noch nicht zur Auswahl. Also müssen wir eben noch selbst Politiker sein, die sich ja bekanntlich an der „Kunst des machbaren“ orientieren. Aber bitte wählt nicht wieder die Parteien, die euch weiter das Fell über die Ohren ziehen!

Danke für’s Lesen.

Peace.

Euer Christian

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Sind Fidget-Spinner User eigentlich Spinner?

von Ryan Dickey from Evanston, IL / Chicago, United States (Flickr) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Ich gebe zu, ich gehöre zu den Leuten, die häufig den Untergang der Welt, so wie wir sie kennen wittern, wenn es neue Trends im Internet zu bestaunen gibt. Trotz mehr als 30 Jahren in Marketing, Consulting und Management bin ich immer wieder verblüfft, was man den Menschen so andrehen kann, bzw. mit welchen Argumenten. Nachdem Nordic-Walking ja offenbar von einem findigen Skistockverkäufer im Sommer erfunden wurde, hat jetzt offenbar ein Hersteller von Kugellagern – wahrscheinlich aus dem schwäbischen, wenn ich raten müsste – den neuesten Marketinghammer abgeliefert. Fidget Spinner.  Ich war schon misstrauisch, bevor ich überhaupt wusste, was dahintersteckt. Der Name schien mir schon seltsam und ich witterte Anrüchiges. Ganz so schlimm war es dann nicht. Ohne mein Zutun erschienen immer mehr Videos von dem neuen „Tool“ in meiner Facebook Zeitleiste. Endgültig erreicht hat mich das Thema, als eine junge Dame, die mir sehr am Herzen liegt, sich so ein Ding gewünscht hat. Sehnlich. Unbedingt. Kein Problem. Warum nicht? Aufmerksam wurde ich dann durch das hysterische Lachen des Verkäufers im Spielzeugladen. „Ausverkauft!“. Offenbar waren ganze LKW-Ladungen innerhalb von Stunden vergriffen und man müsste vor dem Laden campieren, um einen zu bekommen. Ich war schon drauf und dran, im Baumarkt für 50 Cent ein paar Kugellager zu kaufen, als ein Tipp mich zu einer geheimen Quelle in einem Kiosk führte, wo man für schlappe 5,- € einen bekommen konnte. Das Ganze hatte etwas von Drogen kaufen.

Da so ein Ding nun mal im Haus war, wollte ich der Sache auch auf den Grund gehen. Kurz ins Internet und siehe da: der Fidget Spinner scheint ein universeller Heilsbringer zu sein. Hatte ich dem Teil etwa Unrecht getan? Nicht wenige „Psychologen“ – meistens keine studierten, aber dafür mit beeindruckender Liste von Wochenend- u. Onlinekursen zur Verhaltensmodifikation von Kindern und Jugendlichen, vorzugsweise mit ADHS, preisten das Ding als „Konzentrationstrainer“ an. Wahnsinn. Wissenschaftliche Arbeiten gab es zu dem Thema zwar keine, aber liegt doch auf der Hand. Wer das Ding dreht, beruhigt sich und zappelt nicht mehr. Wenn es nur so einfach wäre….

Peter Wolber (Deutsch: selbst gezeichnet) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons
Nutzen wir doch zur Abwechslung mal unser Gehirn und schauen uns mal an, was das Ding genau macht. Man hält es zwischen 2 Fingern während ein dritter dem Rotor gelegentlich und in unregelmäßigen Abständen einen Schubs gibt. Sicher, es gibt im Internet bestimmt Videos wo einer so ein Ding auf der Nasenspitze balanciert und dabei Rechenaufgaben löst, aber für die Meisten dürfte es wirklich nur festhalten und anschubsen sein. Und wie beruhigt uns das dann? Also aus der Perspektive unseres Gehirns sind zunächst einmal nur zwei Bereiche beteiligt. Der motorische Cortex – damit steuern wir die Finger, die das Ding festhalten und anschubsen – sowie der sensorische Cortex, der „merkt“, wie sich das Spielzeug anfühlt und, während der Drehbewegung, die Masse in Rotation wahrnimmt, wenn wir den drehenden Spinner leicht bewegen, während er rotiert. Beide Gehirnteile haben eine nette Angewohnheit. Je öfter wir etwas machen, man könnte auch sagen üben, desto weniger landet es in bewussten Verarbeitungsschritten. So ähnlich wie Radfahren. Wenn man es mal erlernt hat, geht es automatisch und man kann nur schwer erklären, was man eigentlich macht. So ähnlich läuft das auch mit dem „Fidgetspinnen“. Aber wie kommt man dann auf das Argument der „Beruhigung“.

Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=542357

Ganz einfach. Handspielzeug wird schon seit vielen Jahrhunderten in rituellen Handlungen eingesetzt. Jeder kennt den Rosenkranz, Muslime die Gebetsketten, selbst der Dalai Lama hat eine Gebetskette mit Kugeln und schon die Zauberer von früher kannten das Gomboly. Im Prinzip immer das Gleiche. Eine Kette mit einer Anzahl von Kugeln, die man rhythmisch, meistens zu bestimmten Handlungen oder Gebeten, durchzählt. Ähnliches passiert, wenn wir Musik mit einem prägnanten Rhythmus hören. Ganz besonders gut zu beobachten bei Techno oder ähnlichem, bei dem die Musik so manchen (auch wenn er kein Exstasy nimmt) in eine Art Trance versetzt. Häufig erzeugen wir selbst solche „Rhythmen“, wenn kein externer Stimulator zur Verfügung steht, um uns zu beruhigen. Wir wippen z.B. mit dem Fuß oder schaukeln mit dem Stuhl. Ganz genau kann den Mechanismus heute noch keiner erklären, aber einer aus meiner Sicht besten Ansätze stammt von Wolf Singer (mittlerweile schon im Ruhestand, aber früher u.a. erfolgreicher Neurowissenschaftler und Chef des FIAS in Frankfurt). Er forschte lange zum Thema „Bindungsproblem“. Das bezeichnet die Schwierigkeit zu erklären, wie unser Gehirn aus vielen Einzelteilen eine kongruente Erinnerung oder Wahrnehmung macht. Nehmen wir als Beispiel eine Rose. Es gibt im Gehirn kein Speicherplatz an dem die „Rose“ mit allen Eigenschaften gespeichert ist. Es gibt Bereiche, die „wissen“ was „rot“ bedeutet. Andere können den Begriff Blume semantisch mit Leben füllen. Wieder andere wissen, wie so ein Ding riecht und andere, dass es weh tut, wenn man sich an den Dornen sticht. So entsteht aus vielen Einzelteilen die Rose, mit all ihren Bedeutungen und Eigenschaften, in unserem Kopf. Oft sind Gehirnbereiche beteiligt, die weit voneinander entfernt liegen. Dazu kommt, dass wir vieles simultan wahrnehmen. Wenn wir also eine Rose und eine Tulpe sehen, wieso kommen wir bei den Eigenschaften nicht durcheinander? Die Antwort von Singer lautet: frequenzgesteuerte Synchronisation. Stark vereinfacht ausgedrückt: die beteiligten Hirnbereiche (Neurone) flackern kurz im gleichen Rhythmus und zeigen so an: wir gehören zu einer Wahrnehmung. Auf diese Weise kann im Hirn viel gleichzeitig passieren und keiner kommt sich in die Quere. Das gleichgeschaltete, man könnte auch sagen rhythmische, Aktivitätsmuster macht aus einem Chaos einen klaren Gedanken. Kein Wunder also, das es auf uns einen beruhigenden Einfluss haben kann, wenn wir uns rhythmisch mit irgendwas beschäftigen. Es macht uns buchstäblich Ordnung im Kopf. Egal ob wir die Perlen einer Gebetskette zählen, zu Techno tanzen, mit dem Fuß wippen oder im konstanten Tempo joggen. Die Liste ist endlos.

Wie passt jetzt also der Fidget Spinner da rein? Beruhigt der auch? Ich denke nicht. Soweit ich das beurteilen kann, wird das Ding nicht unbedingt in einem festen Rhythmus angeschubst – und damit entfällt der eigentliche Effekt. Ich denke, dass genau deswegen das Ding eher mehr ablenkt als hilft. Was bei einem Spielzeug als Zeitvertreib ja kein Problem ist, solange man es nicht als Konzentrationshilfe an Kinder oder besorgte Eltern verkauft. Zum Glück sind solche Trends ja nicht besonders langlebig. Wir können uns also beruhigt zurücklehnen. Die Dinger verschwinden auch wieder. Bis dahin beruhigen sie den Verkäufer. Der kann dann nämlich rhythmisch Geld zählen. Ich hab mir sagen lassen, das sei sogar doppelt beruhigend.

Danke fürs Lesen.

Peace. Euer Christian

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Wissen sie denn, was sie tun?

Truth and Wisdom assist History in writing by Jacob de Wit (Wikipedia)

Deutschland ist, ohne Frage, das Land der Bescheinigungen und Nachweise. Ich wette, in keinem anderen Land auf der Welt muss man für jeden Pieps eine Bescheinigung und einen ausführlichen Qualifikationsnachweis vorlegen – in 3-facher Ausfertigung und mit Stempel. Das fängt schon früh an. Selbst als Baby muss man sich seine Gesundheit beim Arzt mit einem Stempel in den Babypass bestätigen lassen – und wehe einer der „U“-Stempel ist nicht drin. Später sind es dann die Zeugnisse oder das Sporttauglichkeitsgutachten vor dem ersten „offiziellen“ Fußballspiel. Wer glaubt, als Erwachsener der Sache entkommen zu können: Von wegen. Für die meisten Berufe gibt es einen Ausbildungszwang, bevor man z.B. als Elektriker oder KFZ-Mechaniker fachgerecht arbeiten darf. Wer selber die Aufsicht führen will, muss einen Meister machen, und zur Ausbildung junger Menschen muss man sogar eine Ausbildereignung nachweisen. Das Ganze dient der „Qualitätssicherung“ und ehrlich gesagt finde ich das in den meisten Fällen auch sinnvoll. Eine gute Ausbildung ist was wert und auf der ganzen Welt schätzt man die Qualifikation der „Deutschen“. Das Ganze ist natürlich nicht nur auf potentiell gefährliche Bereiche beschränkt. Selbst wenn ich auf dem Schulfest der Kinder Würstchen für einen guten Zweck verkaufen will, komme ich um einiges an Papierkram nicht drum rum. Wenns blöd läuft, wollen die Helikopterelten auch noch einen Durchschlag des Gesundheitszeugnisses – oder fordern vegane Würste. Auch wenn heute jeder in seinem Handy eine Kamera hat, Fotograf ist man nur nach 3-jähriger Ausbildung – ganz egal wie gut man knipst. Auch zum Fischen von Muscheln, die nun nachweislich kein Gehirn bzw. Bewusstsein haben, brauch ich einen Angelschein. Den gibt es dann in allen möglichen Geschmacksrichtungen (Tümpel, Küste, vom Boot, auf dem Meer, usw.). Scheinbar ist Gefahr aber nicht unbedingt ein Kriterium. Sportschütze wird man relativ einfach und der „kleine“ Waffenschein ist nur Formsache.  Auf Prüfungen bzw. Fähigkeitsnachweise wird offensichtlich gerne mal verzichtet, auf den kostenpflichtigen Stempel nie.

Ganz krass ist es, wenn man an Menschen herumdoktern will. Mehr als 6 Jahre dauert es, wenn man Mediziner werden will. Eine der umfangreichsten Ausbildungen überhaupt. Ganz ähnlich ist es bei den Psychologen, die ich hier mal als Beispiel benutzen will, weil ich mich da besser auskenne. Um Psychologie zu studieren, muss man, wegen dem Nummerus clausus, erst einmal ein Top-Abitur abliefern. Jedes Jahr gibt es weit mehr Bewerber als Studienplätze. Wer das geschafft hat, muss erst mal 3 Jahre bis zum Bachelor studieren. Da wird dann wieder gesiebt, und nur die Besten haben die Chance auf einen Masterplatz. Der Master dauert wiederum ca. 2 Jahre. Wer dann z.B. als Psychologe mit eigener Praxis für die Krankenkasse arbeiten will, muss zusätzlich noch eine Therapieausbildung machen – die dauert noch einmal 3 Jahre. Nach dem Abi also insgesamt 8 Jahre Ausbildung. Danach darf ich dem Patienten dann in einer Therapie Vorschläge machen, wie er sein Leben optimieren könnte. Wohlgemerkt: Vorschläge. Keine Weisungsbefugnis oder der Anspruch auf Unfehlbarkeit und die einzig ewige Wahrheit.

Wie schon gesagt, dass Ganze dient dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte. Das sind `ne ganze Menge: Würde, Privatsphäre, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Anspruch auf rechtliches Gehör und – mein Lieblingsrechtsgut – die Familie. Wie wir mittlerweile wissen, ist Familie nicht immer Vater, Mutter, Kind. Es gibt da viele Möglichkeiten, von Alleinerziehend bis Patchwork. Da es sich bei der Familie offensichtlich um ein extrem wichtiges Rechtsgut handelt, würde man annehmen, dass diejenigen, die sich beruflich mit Familien beschäftigen, bis unter den Haaransatz ausgebildet sind. Ein Arzt braucht z.B. eine Facharztausbildung, um Kinderarzt zu werden. In den Kinderkrippen und Kindergärten sind es im Regelfall ausgebildete Erzieherinnen, die 3 Jahre Ausbildung (davon mindestens 1 Jahr praktisch) hatten. Lehrer funktioniert so ähnlich, wobei die Fachausbildung da überwiegt. Es wird also eher der Stoff als der Lehrkörper trainiert, aber auch hier erfolgt eine mehrjährige Ausbildung. Soweit, so gut – aber was passiert, wenn man als Familie in einer Krisensituation wirklich Hilfe benötigt? Woher kommen da die Fachleute?

Quelle: Wikipedia

Wenns kracht, sind die ersten Mitkombattanten in der Regel Anwälte. Die kennen sich mit Gesetzen super aus (viele Jahre Studium), sind aber sicher unverdächtig, wenn man nach pädagogisch oder psychologisch geschulten Menschen sucht. Es geht dann nicht mehr um „wie bekommen wir das mit möglichst wenig Schmerzen hin“ sondern „der, dessen Haus am längsten brennt, hat gewonnen“. Die Aufgabe ist es, möglichst viel für den Mandanten und oft auch möglichst viel Ärger für den „Gegner“ herauszuholen. Jede dritte Ehe wird geschieden. In der Mehrzahl reicht die Frau die Scheidung ein und in 50% aller Scheidungen gibt es Kinder unter 18 Jahren. Insgesamt waren 2014 rund 134.800 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Leider konnte ich unter dem Stichwort „einvernehmliche Scheidung“ kein Zahlenmaterial finden, aber es handelt sich dabei wohl eher um eine exotische Lösung. Das bedeutet, statt eines unabhängigen „Sachverständigen“, der sich neutral um eine faire Lösung für alle beteiligten Parteien kümmert, schicken wir zwei Kämpfer ins Rennen, die dann „gut“ sind, wenn der Ex-Partner ans Kreuz genagelt wurde und das Ganze auf der Basis starrer Regeln, die für alle gleich gut passen müssen. Bin ich der Einzige, für den sich das absurd anhört? Damit aber noch nicht genug.

Da häufig Kinder an Scheidungen beteiligt sind, ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis das Jugendamt mitspielt. Egal, ob es um eine Umgangsregelung oder Familienhilfe geht. Die Mitarbeiter beim Jugendamt haben ziemlich weitreichende Befugnisse. Nicht nur, dass es feststellt, was das Kindeswohl ist und wann ein Kind aus der Familie genommen wird. Es hat mit seiner Stellungnahme bei Gericht auch wesentlichen Einfluss auf Umgangs-, Besuchs- und Sorgerechtsregelungen. Die Ausbildung von Jugendamtsmitarbeiter kann dabei sehr variieren. Manchmal reicht eine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte, in einigen Fällen wird ein Studium der Sozialwissenschaften o.ä. gerne gesehen. Als Verwaltungsfachangestellte sind sie, was die Beurteilung von Kindeswohl und Co. auf ihre bisherige Lebenserfahrung angewiesen. Das findet nämlich während der Ausbildung nicht statt. Sollten sie mit ihrer Einschätzung einmal falsch liegen: Nicht so schlimm. Das Elternteil, das sich falsch behandelt fühlt, hat nämlich kaum die Chance, gegen ihren Beschluss vorzugehen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, und habe z.B. bei Väterforen nachgefragt, wie viele wirklich schon mit einem Einspruch beim Jugendamt Erfolg hatten. Die Palette ging von schriftlich beschweren, über Termin beim Chef bis hin zur Klage. Ich konnte keinen Fall finden, bei dem es tatsächlich etwas genutzt hätte. Damit hätten wir also schon den zweiten Laien im Bunde, der maßgeblich darüber bestimmt, was der Schutz des Grundgesetzes in der Praxis wirklich wert ist.

Als nächstes gibt das Jugendamt die Familienhilfe wahrscheinlich an eine externe Organisation ab. Davon gibt es viele in Deutschland. Die meisten sind unter kirchlicher Trägerschaft. Das bedeutet aber keineswegs, dass diese Organisation nicht profitorientiert arbeitet. Nehmen wir ein konkretes Beispiel – den Namen der „Firma“ lass ich aus rechtlichen Gründen lieber weg. Ein Verein, der sich auf der Webseite als Unternehmen bezeichnet, in Trägerschaft einer großen Volkskirche. Der „Verein“ hat mehr als 2.000 Mitarbeiter und mehr als 60 Standorte. Er berechnet dem Jugendamt ca. 60€/Stunde für die Familienhilfe. Gearbeitet wird im Tandem, d.h. ein Mitarbeiter betreut die Kinder, ein anderer Mitarbeiter „berät“ und ist bei den Elterngesprächen anwesend und moderiert. Die Qualifikation der Mitarbeiter ist weit gestreut. Es ist aber sicher kein Einzelfall, wenn ich behaupte, dass die Leistungsstunden in der Regel von Studenten, oder bestenfalls von frischgebackenen Bachelors geleistet werden. Im Klartext heißt das, dass die Betreuung und die spätere Einschätzung, welche Schritte z.B. beim Umgangsrecht eingeleitet werden sollen, unter Umständen (wahrscheinlich häufiger, als uns lieb ist) von einem Mitarbeiter ohne die entsprechende formale Qualifikation vorgenommen wird – der trotzdem voll bezahlt wird. In der Regel sehr junge Menschen, die dadurch zwar einen guten Draht zu jüngeren Kindern haben, aber im Regelfall kaum oder keine Erfahrungen haben, was Erziehung und Eltern-sein wirklich in der Praxis bedeutet – zumindest außerhalb einer „Besuchssituation“. Wer Glück hat, gerät an einen erfahrenen Sozialpädagogen oder Erziehungswissenschaftler. Das geht vergleichsweise schneller, als ein Psychologiestudium und man darf viel früher über das Schicksal von Menschen entscheiden. Erziehungswissenschaften (und die Ausbildung von Lehrern) wird zu 77% von Frauen belegt. Ich will ja niemanden Parteilichkeit unterstellen, aber bei meinen eigenen Erfahrungen ist schon deutlich gewesen, dass Rollenstereotypen gerne genommen werden.  Es erfordert einen ziemlichen Aufwand und Nerven, permanent beweisen zu müssen, dass beide Geschlechter gleichgut Eltern sein können bzw. das Fehlverhalten nicht geschlechterspezifisch ist. Eine Schiedsstelle gibt es auch hier nicht. Der Verein hört sich die Kritikpunkte an  (bestenfalls – wer Pech hat, taucht dann im Bericht als aggressiver Gesprächspartner auf) und schreibt dann seinen Bericht ans Jugendamt, welches diesen an das Gericht weiterreicht. Womit wir beim nächsten Punkt wären.

Das Gericht wird als ersten Schritt, zum Schutz des Kindeswohls, einen Verfahrensbeistand bestellen. Dieser ist weder Mutter noch Vater verpflichtet. Er soll die Interessen der Kinder vertreten und ist – welche Überraschung – Jurist. Wie bitte? Also in unseren Gesetzen steht nicht im Detail drin, wie sich Kindeswohl definiert, lediglich, dass es Priorität hat. Deswegen muss sich der Anwalt der Kinder ganz allein überlegen, was das wohl wäre. Wieder kein Psychologe oder ein speziell ausgebildeter Erwachsener. Und wie gewohnt: Gegen das Votum des Verfahrensbeistands gibt es natürlich auch kein Vetorecht. Der Richter entscheidet dann nach Ermessen. Vorher wird wahrscheinlich noch ein Gutachter bestellt. Das im Detail zu beleuchten, würde den Blogbeitrag sprengen, aber um es kurz zu machen: Die Anzahl bekannter schlechter oder schlicht falscher Gutachten an deutschen Familiengerichten ist legendär. Es liegt im Wesentlichen daran, dass die Qualifikation der Gutachter oft fragwürdig ist und die Versuchung mit Copy & Paste – oder insgesamt mit wenig Zeitaufwand – für die Begutachtung zu arbeiten, bei andererseits exorbitanter Entlohnung, wohl vielfach den Gutachter übermannt. Hier wird dann z.B. entschieden, ob Du dein Kind jemals wiedersiehst.

Damit wären wir am Ende der Kette angelangt.

Quelle: Wikipedia

In dem ganzen Verlauf einer Trennung/Scheidung geht es um Menschen. Nicht vorrangig um Vermögenswerte oder Versorgungsausgleich. Überall machen wir ein Riesenbohei um Zeugnisse, Ausbildungen, Zertifikate und Stempel, aber gerade hier setzen wir (fast) ausschließlich fachfremde Personen ein, um den Prozess zu begleiten. Die Ergebnisse sind offensichtlich. In der Regel bedeutet für mindestens eine Partei die Scheidung den finanziellen Supergau und den quasi Verlust der Kinder. Statt den ganzen Prozess in eine neutrale Ecke zu holen und es von ausgebildeten Fachleuten (Psychologen, Rechtsgelehrte, usw.) leiten zu lassen, entscheiden wir uns dafür, die Kriegsparteien mit Gefolge aufeinander zu hetzen und einen qualifizierten Schiedsrichter über weite Strecken einfach wegzulassen. Ein Großteil der Beteiligten wird besser bezahlt, wenn es richtig kracht, oder erhält überhaupt nur Arbeit, wenn die Fetzen fliegen. Gar nicht erwähnt habe ich, wie lange es dauert, überhaupt in so einer Angelegenheit vor Gericht Gehör zu finden. Der Mittelwert bis zur ersten Entscheidung eines Umgangsrecht lag bei den Fällen, die ich mir angesehen habe, bei > 1 Jahr, wobei mehrere Jahre keine Seltenheit sind. Bis alle ihren Senf dazu gegeben haben, dauert es seine Zeit.

Man hat 1976 die Schuldfrage im Scheidungsrecht abgeschafft. Man trug damit der Tatsache Rechnung, dass zu einer gescheiterten Ehe immer 2 gehören. Der Grundsatz „nulla poena since culpa“ – niemand darf bestraft werden, den keine Schuld trifft – ist aber nach wie vor einer der Grundsäulen unseres Rechtssystems. Leider kann ich nicht sehen, dass der Ablauf von Scheidungsverfahren diesem Anspruch gerecht wird. Wenn das Kindeswohl wirklich im Mittelpunkt steht, müsste der Staat von Anfang an dafür sorgen, dass qualifizierte und neutrale Fachleute den Prozess leiten. Stattdessen haben wir eine Realität, die häufig (vielleicht sogar im Regelfall) vor dreckiger Wäsche, Verleumdungen und Entfremdung der Kinder nur so strotzt.

Wo hierbei die Familie – auch nach einer Scheidung gibt es sowas wie Familien – von unserem Grundgesetz besonders geschützt wird, kann ich nicht erkennen. Es erinnert mich eher an ein Sprichwort, das ich mal in USA gehört habe: „Wenn Du als Werkzeug nur einen Hammer hast, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus“.

P.S: Ich bin der Letzte, der etwas gegen Autodidakten hätte, und vielfach machen gerade die eine besonders gute Arbeit, weil sie mit Herzblut dabei sind. Leider konnte ich im Kontext Scheidung/Familiengericht keine finden. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine gibt.

Viel Spaß beim Lesen.

Peace. Euer Christian

 

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Die Toten von Berlin – das Ende der Differenzierung

Mittlerweile läuft das alles ziemlich eingespielt. Schon wenige Minuten nach dem Anschlag bietet Facebook die Funktion „In Sicherheit“ an, die ersten Chronik- und Profilbilder werden angepasst, ausländische Nachrichtenagenturen reden von Terroranschlag und die Deutschen ziehen dann irgendwann am nächsten Tag mit „könnte eventuell Terror gewesen sein“ nach. Die Rechten wollen schon Trucks chartern, um Flüchtlinge abzuschieben, die „Gutmenschen“ (grauenhafter Begriff) posten sofort, dass es egal ist, welcher Nationalität oder Religion der Mörder angehört. Der Innenminister wird wahrscheinlich dann auch irgendwann erzählen, dass wir dringend mehr „Vorsorge“ brauchen und lässt ungesagt, dass es nicht die Technik war, die den Attentäter gefasst hat, sondern Zivilcourage. Ein mutiger Mitbürger hat ihn nämlich einfach verfolgt und die Polizei gerufen. Folgerichtig wären also Kurse in Zivilcourage angesagt, nicht mehr Überwachung.

Da ich ja quasi ein „Linker“ bin (wer weiß, ob das nach dem Beitrag noch so ist), erscheinen bei mir auf Facebook natürlich auch entsprechende Beiträge. Ganz weit vorne ist ein Beitrag, der vom Komiker Ruthe (toller Typ!) direkt nach den Anschlägen veröffentlicht wurde. Dort wird festgestellt, wer die Schuld an den Toten in Berlin hat. Nicht Merkel, nicht Flüchtlinge, nicht Gutmenschen, sondern nur der Fahrer selbst. Der Beitrag wird schnell verbreitet (z.B. bei der von mir sehr geschätzten „Hogesa„) und schon am nächsten Morgen ist die Reichweite riesig. Klar, die Fakten betrachtend und rein logisch vorgehend kann man zu diesem Schluss kommen: Nur der Mörder hat gemordet. Es ist auch eine angenehme Erkenntnis. Der Schuldige ist bereits gefasst. Sonst trägt keiner Schuld. Wir müssen uns nicht weiter über Flüchtlinge und die sich daraus ergebenden Realitäten unterhalten. Wir können weiter über „mehr Sicherheit“ diskutieren, wenn wir Überwachung meinen. Wir können weiter mit der profitorientierten Politik in Afrika und dem Nahen Osten weitermachen. Alles super. Game over.

Es ist so ein wenig wie in dem Beispiel vom Frosch im Wassertopf: Setzt man einen Frosch ins Wasser und erhöht langsam die Temperatur, springt der Frosch nie raus und wird langsam lebendig gekocht. Wirft man einen Frosch in heißes Wasser, springt er sofort wieder raus. Ich frage mich, ob wir nicht schon längst langsam gar gekocht werden. Ich will jetzt hier keinen Aluhut aufziehen, aber das Ganze hat schon etwas von einer Expositionsstrategie, wie sie z.B. in der Psychologie sehr erfolgreich eingesetzt wird, um Menschen an Dinge zu gewöhnen, die ihnen Panik verursachen.

Das erste Opfer ist immer der gesunde Menschenverstand. Danach kommt dann das, was wir heute gerne mit #Postfaktisch beschreiben. Das gilt nicht nur für unseren Umgang mit dem Terror. Es ist allgegenwärtig. Klima, Rohstoffe, Vermögen, Soziales, Asyl – überall haben wir uns vom gesunden Menschenverstand und – noch schlimmer – von der Fähigkeit zu differenzieren verabschiedet. Wir sind Pippi Langstrumpf und machen uns die Welt widdewidde wie sie uns gefällt.

Vielleicht ist das ein neuer Kniff der Evolution? Nachdem wir durch Beseitigung vieler Gefahren durch die moderne Zivilisation nicht mehr besonders schlau und findig sein müssen, um zu überleben, hat die Evolution nun vielleicht die Rahmenbedingungen geändert, um auf lange Sicht die positive Weiterentwicklung zu gewährleisten?! Die Evolution hat einen langen Atem, wie jeder weiß. Was passiert, wenn wir so weitermachen? Der entscheidende Punkt ist: Es wird keine Lösung der Probleme geben. Am Ende hat jeder, egal ob links, rechts, oben, unten und in jeglicher Farbe, „irgendwie“ Recht. Es geht mir selbst ja auch so. Ich bin für Asyl (links), für konsequentes Abschieben von Straftätern (rechts) – aber nur bei bestimmten Straftaten (Mitte). So geht das bei fast allen Fragen. Und jetzt?

Als erstes müssen wir uns davon verabschieden, dass es eine einfache Lösung für „Alles“ gibt. Wir haben schon Mühe in Kausalketten zu denken, aber unsere Gesellschaft ist ein komplexes Kausalnetzwerk. Es gibt eine riesige Anzahl von Ereignissen, die miteinander zusammenhängen. Unser Wusch, mit bezahlbarem Benzin zu unserer Liebsten zu fahren, hängt genauso mit den Toten in Berlin zusammen wie mit dem Typ, dem wir in der Fußgängerzone erlauben einen radikalen Islam zu predigen, oder einer Bundesregierung, die permanent beruhigen will. Insofern ist das Posting von ruthe „Wer Schuld ist“ falsch. Die Liste der Schuldigen ist endlos. Und wir stehen irgendwie mit drauf. Und weil das eben so kompliziert ist, verlagern wir uns auf einfache, manchmal postfaktische Sichtweisen. Dann ist die Welt wieder in Ordnung. Irgendwann führen aber die ungelösten Probleme unweigerlich zum totalen Zusammenbruch des Systems, in dem wir leben – was übrigens eine typische Lösung der Evolution wäre, wenn man in einer Sackgasse steckt. Am Ende bleiben nur die Stärksten, Schlauesten und Findigsten übrig. Ich hoffe sehr, dass dieser Prozess mir und meinen Kindern erspart bleibt.

Wie löst die Evolution Probleme sonst noch? Durch geschicktes Arbeiten in Regelkreisen. Einfaches Beispiel: Eine Population aus Jägern und Beutetieren hält sich gegenseitig im Gleichgewicht in einer bestimmten Fläche. Wird von den Jägern zu viel gefressen, wird das Futter knapp und es gibt weniger Nachwuchs. Und umgekehrt. In Wirklichkeit ist es natürlich viel komplexer. Die Menge an Futter für die Beute spielt auch eine wichtige Rolle für die Jäger, das Wetter und vieles andere mehr. Es ist ein komplexes System und die „Natur“ geht sehr differenziert vor, um alles im Gleichgewicht zu halten. Da war es wieder, das seltsame Wort: Differenzieren. Was bedeutet dieses Verb eigentlich?

Die Definition aus dem Duden ist schick, aber man könnte auch sagen, es hat etwas mit genauer hinsehen zu tun. Ein wichtiger Aspekt von „differenzieren“ ist es, auf Verallgemeinerungen zu verzichten. Wir Alle wehren uns dauernd gegen Verallgemeinerungen – auch Klischees genannt. Alle Männer gehen fremd. Alle Frauen heiraten, um versorgt zu sein. Sowas hat jeder von uns schon mal gehört und gleich gesagt „Es gibt aber auch Ausnahmen“ – und sich selbst damit gemeint. Auch in der Partnerschaft gibt es das: „Nie bringst Du den Müll raus“ oder „Immer hast Du Migräne, wenn ich Sex will“. Erfahrene Menschen vermeiden deshalb tunlichst alle Verallgemeinerungen bei Streit in der Beziehung. Es führt sonst (fast) jedes Mal zur Eskalation. Was wir im „Kleinen“ so gut beachten, ignorieren wir im „Großen“ völlig. Wir differenzieren einfach nicht mehr. Die „wasauchimmer“ sind Schuld. Immer.

Was wäre die Alternative? Nicht an Rädern drehen (oder fordern, dass daran gedreht wird) bevor klar wird, wie sie den Regelkreis beeinflussen. Von Fakten leiten lassen. Eine Erhöhung der Überwachung hat bisher noch zu keiner höheren Sicherheit geführt. Funktioniert hat gut ausgebildete und in ausreichender Anzahl vorhandene bürgernahe(!) Polizei und ein guter sozialer Zusammenhalt (Menschen die z.B. in Paris Passanten von der Straße in die Wohnung holten) und Zivilcourage (siehe Berlin). Das wäre ein guter Punkt für Maßnahmen. Auch müssen wir unterscheiden zwischen Symptom und Ursache. Es ist völlig klar, dass wir die Symptome des Terrors bekämpfen müssen – soweit das überhaupt möglich ist – aber totale Sicherheit wird es NIE geben. Noch nicht mal auf einem Weihnachtsmarkt. Wenn wir den Terror zurückdrängen wollen, wird es aber ohne das Anpacken der Ursachen nicht gehen. Das Profilbild wegen Aleppo zu ändern reicht eben nicht.

Jetzt sind wir nun mal nicht Bundeskanzler, Innenminister oder US Präsident. Was bleibt uns also übrig? Ein guter Anfang wäre es, wenn wir uns nicht verarschen lassen und weiterhin versuchen, unseren gesunden Menschenverstand zu benutzen. Immer aufmerksam werden, wenn „Alle“ (oft auch unausgesprochen) in einem Satz vorkommt. Wir könnten auch aufeinander aufpassen – würde sogar super zum bevorstehenden Fest der Liebe passen. Auch hier gilt wieder: Der gesunde Menschenverstand zeigt uns eigentlich, wo die Grenze zwischen Bespitzeln und aufeinander Aufpassen liegt. Traut euch das ruhig mal zu. Zusammenhalt ist die mit Abstand effektivste und beste Waffe gegen Terror.

Peace

Euer Christian