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Auf der Suche nach Unseresgleichen

Irgendwie schon verrückt. Wir geben das Recht, über wesentliche Aspekte unseres Lebens zu bestimmen, einfach so ab – abgesehen von der Möglichkeit, alle paar Jahre zwischen Pest und Cholera zu „wählen“. Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Klar, Demokratie ist die „gute“ Staatsform. Auch werden wir – z. B. aktuell in Deutschland – immer wieder aufgerufen, die Demokratie zu „verteidigen“. Ist ja im Prinzip ja auch eine gute Idee. Alle dürfen mitbestimmen, bzw. bestimmen, wer bestimmen darf. 

Um einen Vertreter zu wählen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das haben wir alle schon in der Schule erlebt, als ein Klassensprecher gewählt wurde. Wählen wir den Schlauesten (Streber?), den Coolsten (Blender?), einen Kumpel (Lobbyist?) oder einfach nach Sympathie – was dann u.U. ein individueller Mix von allem ist. Keine leichte Entscheidung. 

In unserer Gesellschaft ist das Wählen einer Elite verpönt. Zu tief stecken die schmerzhaften Erinnerungen des arischen Übermenschen in unseren Knochen, als dass wir mit Eliten noch vorurteilsfrei umgehen könnten. Das es in Deutschland tatsächlich so etwas wie Leistungseliten gibt, halte ich nach der Lektüre aktueller Forschung (z.B. Hartmann), eher für unwahrscheinlich. Es gibt es einen Geldadel oder Bildungsbürgertum. Was die aber so wirklich zum sozialen Wohlstand in Deutschland beitragen – oder auch nicht – wäre eine eigene Geschichte wert.

Eingebürgert hat sich, dass man „einen von uns“ wählt. Kaum ein Politiker, der sich nicht für seine Bürgernähe rühmt, oder quasi „Alles“ über die Nöte des „kleinen Mannes“ weiß. Ob das stimmen kann, lässt sich ja mit einer simplen Analyse feststellen. Zuerst müssen wir zu diesem Zweck einen Durchschnittsdeutschen – quasi Klaus Mustermann – definieren. 

Damit der Text besser lesbar ist, stelle ich die Infografiken, die die entsprechenden Detaildaten enthalten, ans Ende. Alle Infos stammen aus den offiziellen Datenbanken des statistischen Bundesamtes.

An manchen Stellen lauern da ein paar Tücken, z.B. bei der Einkommensbetrachtung. Wenn Deutschland aus 10 Personen bestehen würde und 9 verdienen 2.000€ im Monat, aber einer verdient 1.000.000€, wäre das Durchschnittsgehalt der Deutschen höher als 100.000€ im Monat. So kommt man übrigens auch auf (laut statistischem Bundesamt) ca. 3.500€, die der Durchschnittsdeutsche (brutto) im Monat verdient.

Basteln wir uns also unseren „Musterdeutschen“. Höchstwahrscheinlich wohnt er in Nordrhein-Westfalen (bevölkerungsreichstes Bundesland), irgendwo in der Vorstadt.

In NRW liegt der Stundenlohn im Schnitt bei 21,60€, was dann etwa auf die bereits genannten ca. 3.500€ im Monat (brutto) hinausläuft. Tatsächlich dürfte die Zahl etwas geringer ausfallen. Eine andere Statistik des DeStatis zeigt, dass ein Großteil der steuerpflichtigen Personen bei einem Jahresverdienst zwischen 15.000€ und 37.499€ angesiedelt ist. Nehmen wir davon die Mitte, landen wir bei ca. 26.000€, oder knapp 2.200€ im Monat. Das hört sich dann schon deutlich knapper an, kommt aber offiziellen detaillierteren Statistiken deutlich näher.

Da man über die beiden Werte trefflich streiten kann, nehme ich für unseren Musterdeutschen einfach mal auch hier die Mitte und gehen von einem Einkommen von 2.850€ brutto im Monat aus – was wahrscheinlich aber zu hoch ist.

Die Firmen mit den meisten Arbeitern in Deutschland liegen im produzierenden Gewerbe oder Handel. Herr Mustermann ist also wahrscheinlich Fabrikarbeiter oder Verkäufer.

Höchstwahrscheinlich hat Herr Mustermann eine Berufsausbildung ohne Studium absolviert, bevor er im Berufsleben durchgestartet ist.

Nur ca. 40% der Menschen in Deutschland haben Wohneigentum. Herr Mustermann wohnt also zur Miete. Ziemlich sicher empfindet er die Wohnkosten als Belastung.

Außerdem ist der gute Herr Mustermann zwischen 40 und 60 Jahren alt, heterosexuell, verheiratet oder geschieden und hat 1,6 Kinder, na gut, sagen wir 2. Damit können wir von einem 4 Personenhaushalt ausgehen. Wenn Herr Mustermann eine gleichaltrige Frau geheiratet hat, wird diese zu ca. 70% auch arbeiten – viele davon allerdings nicht in Vollzeit. 

Das bedeutet in Kurzform also: 

40- 60 Jahre, ca. 2.850€ brutto – und damit rund 2.100€ netto-  verheiratet bzw. geschieden, 1-2 Kinder, wohnt zur Miete irgendwo in der Vorstadt, hat eine Lehre gemacht und verdient jetzt sein Geld in der Fabrik oder im Handel.

Das wäre also ein typischer Bürger, der von „seinesgleichen“ im Bundestag vertreten werden soll. Welche bzw. wie viele unserer Volksvertreter haben wohl einen ähnlichen Hintergrund und können damit fundiert über die Sorgen und Nöte der Bevölkerung sprechen? Leider fehlt die Zeit für eine Analyse aller Bundestagsabgeordneten. Schauen wir uns stattdessen einfach mal unsere Minister an.

Quelle: Wikipedia – Irrtum vorbehalten

Beim Einkommen lassen sich da schon mal kaum Gemeinsamkeiten zu Herrn Mustermann finden. Der Einfachheit halber ohne die – durchaus erheblichen – Zuschläge gerechnet, bekommt Frau Merkel 18.851€ im Monat und die Minister 15.311€. Das finde ich okay. Immerhin ist es ein Job mit viel Verantwortung und Arbeitsstunden. Spannend finde ich es allerdings, dass wahrscheinlich keiner mit seinem erlernten Job auch nur in die Nähe dieser Summen gekommen wäre – insbesondere, weil für fast alle der Start in die Berufspolitik schon oft kurz nach Studienabschluss erfolgte. So ist z.B. Herr Spahn nach seiner Banklehre fast unmittelbar in die Berufspolitik gewechselt und hat dann nebenbei studiert. Kommt bei Ministern scheinbar sowieso häufig vor: nebenbei studieren. Respekt. Ein ausgefülltes politisches Berufsleben, oft Familie und dann noch Studium und häufig Promotion. Kommt da vielleicht irgendwas zu kurz?

Von der Expertise handelt es sich in der Mehrzahl um Anwälte (zu den Berufen der Bundestagsabgeordneten habe ich bereits im Beitrag „Demokratie 2.0„) oder um Menschen, die Politik studiert haben – was wird man damit eigentlich in der freien Wirtschaft?

Wie man sieht, können die (meisten) Minister die echten Lebensumstände des „kleinen Mannes“ aus eigener Erfahrung nicht kennen. Sie sind mit einem kurzen oder nicht vorhandenen Gastspiel direkt in die Welt von Verbänden, Beamten oder Funktionären abgetaucht, bevor es dann in die Profi-Liga der Politik ging.

Das sind die „Volksvertreter“ in Deutschland.

Demokratie in Deutschland bedeutet also, dass der normale Bürger sein Recht auf Selbstbestimmung weitestgehend abgibt, um alle 4 Jahre zu wählen. Ein Großteil der zur Auswahl stehen Parteien unterscheiden sich nur auf dem Papier. Mit dem Ergebnis werden dann Koalitionen gebildet, obwohl der Wähler nur eine einzelne Partei gewählt hat. Diese Koalition erstellt dann ein Kompromiss-Programm und stellt die Bundeskanzlerin. Die wählt dann ihrerseits die Minister aus. Diese Minister haben mit dem Durchschnittsdeutschen quasi nichts gemein und stehen dann einem Ressort vor, von dem sie keine Ahnung haben bzw. das wahrscheinlich nicht ihrer Ausbildung entspricht. Dafür bekommen sie dann ein Spitzengehalt und zahlen weder in die Renten- noch Arbeitslosenversicherung , etc. ein.

Irgendwie hört sich Demokratie nach dieser Beschreibung nicht mehr so attraktiv an, aber wir dürfen nicht ihr die Schuld geben. Wir haben nämlich zugelassen, dass sie schon vor langer Zeit entstellt und kastriert wurde. Es ist mehr so eine Art Pseudo-Demokratie, die den Anschein erweckt, dass hier doch alles in Ordnung ist während die Oligarchen, Konzerne und Erben entspannt in die Zukunft schauen können.

Das muss nicht so bleiben. Allerdings ändern wir das politische System – in der jetzigen Parteienlandschaft – nicht mit Wahlen. In Frankreich sieht man im Moment mit den Gelbwesten, wie wirkungsvoll ein Bürgerprotest sein kann. Nun ist Deutschland nicht Frankreich und ein echter Deutscher nimmt nur an einer Revolution teil, wenn sie im Fernsehen übertragen wird und Günther Jauch moderiert. Bisher wenigstens. Aber das könnten wir ändern.

Τhukydides schrieb in der Geschichte des Peloponnesischen Bürgerkrieges „Tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse“. Die Politik hat hier die Rollen vertauscht und uns zu Schwachen gemacht die erleiden müssen, was die Starken sich ausdenken. Tatsächlich sind es aber nur Scheinriesen, die heute die Kontrolle ausüben. Was uns fehlt ist nur der Funke, der die Wut der Bürger entzündet, damit sich die wahren Kräfteverhältnisse offenbaren.

Wenn wir uns auf Politiker und Parteien verlassen, haben wir nichts Besseres verdient.

Danke fürs Lesen.

Euer Christian
#keinPolitiker