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Robinsons Tod

Quelle: Wikipedia

Wir haben es weit gebracht. Weil sich an Weihnachten religiöses anbietet und Zitate immer gebildet wirken – besonders in Latein – könnte man auch sagen Dominium terrae: Mission accomplished. Das Ganze ist in der Bibel (Genesis 128) schön beschreiben, für diejenigen, die es mal genauer nachlesen wollen. „Macht Euch die Erde untertan“ usw. Zumindest aus der Sicht der Christen müsste also alles bestens laufen. Komischerweise hat das Ganze auch gewisse Ähnlichkeiten mit einem Zitat von Jack Sparrow aus dem Fluch (!) der Karibik: „Nehmt, was ihr kriegen könnt und gebt nichts wieder zurück“. Ist scheinbar nicht nur bei den Religionen beliebt. Funktioniert genauso im Kapitalismus. Keine Angst, jetzt kommt kein linkes Geschreibsel. Ich will auf etwas anderes hinaus.

Schaut an, was wir alles können. Ich sitze hier an einem Laptop und schreibe einen Text. Das Ding besteht aus komplexer Elektronik, inkl. angewandter Quantenphysik. Ich sitze auf einem Sofa aus High-tech Fasern, hinter 4 fach-Verglasung, koche auf einem Induktionsherd, imprägniere meine Schuhe gegen den Schnee, haue mir kiloweise hochverarbeitete Nahrung (vorzugsweise Zucker) rein und schlucke brav meine Pillen, damit ich nicht Amok laufe. Quatsch. Spaß! All diese Dinge benutze ich ganz selbstverständlich und solange ich das nötige Geld habe, denke ich wohl auch nicht weiter drüber nach. Ist auch besser. Wenn man das nämlich macht, kommt man schnell an den Punkt, an dem man sich für einen Nichtskönner hält. Hätte ich nämlich kein Geld und müsste irgendwas von diesen Annehmlichkeiten selber herstellen, wäre ich ganz schön in Schwierigkeiten. Wir sehen heute die Auswirkungen von über 200 Jahren Industrialisierung. Arbeitsteilung und Aufspaltung der Produktionsprozesse war letztlich die Triebfeder (neben der Ablösung der Muskelkraft durch Maschinen). Den meisten Menschen ist gar nicht klar, wie spezialisiert wir mittlerweile sind. Man könnte auch sagen abhängig. Was passiert, wenn mal für 2-3 Tage die Geldautomaten nicht gehen? Oder es eine Woche keinen Strom gibt? Mittlerweile gibt es in Deutschland eine ganze Subkultur, die sich mit solchen Szenarien beschäftigt: die Prepper. Oft belächelt und zuweilen auch als „Rechte“ verschriehen. Es sind sozusagen die letzten Robinsons unserer Zeit. Sie könnten auch ohne die Zivilisation noch eine Weile durchhalten.

Wir haben eine riesige Monokultur gebaut. Alles ist nur noch gegen Geld erhältlich. Und wie jede Monokultur ist das ganze anfällig und muss dauernd gepflegt werden. Aus dieser Monokultur auszusteigen ist kaum möglich und nur die ganz harten versuchen das. Es ist uns nicht nur egal, wo unser T-Shirt genäht wird, wir haben auch keine Ahnung wie ein Faden überhaupt entsteht und wie Weben funktioniert. Wir können es zwar auf dem schicken Tablet bei Wikipedia nachsehen, aber selber weben könnten wir nicht.

Weben ist übrigens ein gutes Beispiel. Nicht nur, dass in dieser Branche die Industrialisierung ihren Anfang nahm. Es zeigt auch den Einfluss solcher Entwicklungen auf das soziale Gefüge einer Gesellschaft. Indien war z.B. über Jahrzehnte billiger Lieferant für Baumwolle, die an die Kolonialherren in England verkauft wurde. Dort wurde sie mit Hilfe billiger Fabrikarbeiter „veredelt“, d.h. es wurde Kleidung daraus, die dann wieder teuer nach Indien verkauft wurde. Webereien in Indien waren nicht gerne gesehen. Man hatte lieber hochspezialisierte Bauwollpflücker. Reich geworden sind dabei nur wenige. Nicht umsonst war die Spinnrad-Kampagne ein wesentlicher Teil von Ghandis Versuchen, Indien zu befreien. Er ging mit gutem Beispiel voran, reiste mit Spinnrad, und stellte seine eigene Kleidung her. Es ging ihm natürlich um die Geste: „Wenn wir unabhängig

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sein wollen, müssen wir auch für uns selber sorgen können.“ Noch heute ist das Spinnrad Teil der indischen Flagge. Spezialisierung bedeutet also immer auch gesteigerte Abhängigkeit. Im Vergleich zu unseren Großeltern sind wir heute die totalen Fachidioten. Das wird wohl auch nicht mehr besser. Dass eine Bevölkerung, die hochgradig arbeitsteilig organisiert ist, leichter zu steuern ist, ist eine Binsenweisheit. Besonders wenn das einzig universelle Gut (Geld) immer mehr physisch verschwindet. Das alleine wäre einen Blogbeitrag wert. Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Aspekt.

Was hat uns als Spezies eigentlich so erfolgreich gemacht? Warum konnten wir alle anderen Arten überflügeln? Die Antwort ist ziemlich einfach. Weil wir Multitalente waren. Wir konnten fast überall überleben und uns auf die verschiedensten Lebensbedingungen einstellen. Unser Lebensraum war auf den eisigen verschneiten Gipfeln des Atlas-Gebirges bis hin in die afrikanische Wüste. Es war uns egal, ob wir unsere Kalorien aus Protein, Fett oder Kohlenhydraten bekamen, konnten lange und schnell laufen und wenn wir für eine Aufgabe zu schwach waren, wurden wir stärker. Wir waren flexibel. Das Ganze steckt auch schon so in unserer Biologie. Wir kommen als Menschen ziemlich unfertig auf die Welt. Das ist ein Kompromiss, den die Natur eingehen musste, weil ein größeres Gehirn nicht mehr durch den Beckenkanal der Frau passt. Ohne moderne Medizin würde es bei jeder 10. Geburt zu (oft) tödlichen Komplikation kommen. Die Evolution hat also das Maximale ausgereizt, was möglich war. Dafür hat das Gehirn nahezu unendliche Speicher und Lernfähigkeit. Die Großhirnrinde – der Teil, der uns im Wesentlichen von anderen Säugern unterscheidet – hat sich massiv vergrößert. Einen wesentlichen Anteil an dieser Weiterentwicklung hat die Entstehung der Sprache. Erst sie machte aus dem Gehirn dieses universelle und mächtige Werkzeug. Lustigerweise spielte auch hier nicht Spezialisierung, sondern Universalität die Hauptrolle. Sprache entstand nicht aus Lauten, sondern aus Gesten. Es beginnt auch heute noch mit dem einfachen Zeigen des Zeigefingers. Komplizierte Gesten (oder handwerkliche Arbeiten) benötigen hohe Kontrolle der Hand. Wer Zeit hat, kann sich gerne dazu einen Vortrag von Dr. Martin Fischer aus Jena anhören. Er erklärt sehr schön, wie eine kleine anatomische Abweichung unserer Handknochen im Vergleich zu Menschenaffen, es den frühen Menschen ermöglichte komplexe Gesten und Handgriffe auszuführen. Das war nicht nur der Startpunkt zur Entstehung der Sprache, es führte auch – zusammen mit eiweißreicher Ernährung – zu einem Sprung in der Gehirnentwicklung. Es machte unsere Hände zum Universalwerkzeug. Und uns letztlich zum Alleskönner. Ein echtes Erfolgsrezept.

Heute will jeder Spezialist sein. Wie klein unsere Welt, in der wir uns bewegen können, doch geworden ist. Für jeden kleinen Schritt außerhalb des Habitats unserer Spezialisierung brauchen wir einen anderen Spezialisten. Das ist keineswegs ein Bildungsproblem. Das trifft den Ungelernten genauso wie den Nobelpreisträger. In vielerlei Beziehung sind wir heute genauso unfertig und hilflos wie Babys. Wir sind nur noch als Konsument überlebensfähig. Als Individuum sind wir verloren. Es wird noch schlimmer werden. Digitale Techniken und Künstliche Intelligenz werden viele Spezialisierungen von Menschen überflüssig machen. Die wenigen neuen Spezialisierungen, die dann benötigt werden, werden das nicht aufwiegen.

Quelle: Wikipedia

Wie wäre es, wenn wir gelegentlich mal aus unserer Nische herauskommen? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Mal lernen, wie man einen Knopf selber annäht, einen Fisch ausnimmt, Kartoffeln pflanzt, oder Papier schöpft…. das kann sogar ziemlich viel Spaß machen. Ich denke, wir sollten unsere (Über)lebensfähigkeit nicht ganz zu Gunsten der Anforderungen der Industrie aufgeben. Wir können ruhig mal was selbst machen – auch wenn das Ergebnis dann vielleicht nicht ganz so toll aussieht, es länger gedauert hat und es auch teurer war. Dann haben wir nämlich was gelernt….. Lernen. Übrigens die Überlebenstechnik schlechthin.

Danke für’s Lesen.

Peace. Euer Christian