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Sind Fidget-Spinner User eigentlich Spinner?

von Ryan Dickey from Evanston, IL / Chicago, United States (Flickr) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Ich gebe zu, ich gehöre zu den Leuten, die häufig den Untergang der Welt, so wie wir sie kennen wittern, wenn es neue Trends im Internet zu bestaunen gibt. Trotz mehr als 30 Jahren in Marketing, Consulting und Management bin ich immer wieder verblüfft, was man den Menschen so andrehen kann, bzw. mit welchen Argumenten. Nachdem Nordic-Walking ja offenbar von einem findigen Skistockverkäufer im Sommer erfunden wurde, hat jetzt offenbar ein Hersteller von Kugellagern – wahrscheinlich aus dem schwäbischen, wenn ich raten müsste – den neuesten Marketinghammer abgeliefert. Fidget Spinner.  Ich war schon misstrauisch, bevor ich überhaupt wusste, was dahintersteckt. Der Name schien mir schon seltsam und ich witterte Anrüchiges. Ganz so schlimm war es dann nicht. Ohne mein Zutun erschienen immer mehr Videos von dem neuen „Tool“ in meiner Facebook Zeitleiste. Endgültig erreicht hat mich das Thema, als eine junge Dame, die mir sehr am Herzen liegt, sich so ein Ding gewünscht hat. Sehnlich. Unbedingt. Kein Problem. Warum nicht? Aufmerksam wurde ich dann durch das hysterische Lachen des Verkäufers im Spielzeugladen. „Ausverkauft!“. Offenbar waren ganze LKW-Ladungen innerhalb von Stunden vergriffen und man müsste vor dem Laden campieren, um einen zu bekommen. Ich war schon drauf und dran, im Baumarkt für 50 Cent ein paar Kugellager zu kaufen, als ein Tipp mich zu einer geheimen Quelle in einem Kiosk führte, wo man für schlappe 5,- € einen bekommen konnte. Das Ganze hatte etwas von Drogen kaufen.

Da so ein Ding nun mal im Haus war, wollte ich der Sache auch auf den Grund gehen. Kurz ins Internet und siehe da: der Fidget Spinner scheint ein universeller Heilsbringer zu sein. Hatte ich dem Teil etwa Unrecht getan? Nicht wenige „Psychologen“ – meistens keine studierten, aber dafür mit beeindruckender Liste von Wochenend- u. Onlinekursen zur Verhaltensmodifikation von Kindern und Jugendlichen, vorzugsweise mit ADHS, preisten das Ding als „Konzentrationstrainer“ an. Wahnsinn. Wissenschaftliche Arbeiten gab es zu dem Thema zwar keine, aber liegt doch auf der Hand. Wer das Ding dreht, beruhigt sich und zappelt nicht mehr. Wenn es nur so einfach wäre….

Peter Wolber (Deutsch: selbst gezeichnet) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons
Nutzen wir doch zur Abwechslung mal unser Gehirn und schauen uns mal an, was das Ding genau macht. Man hält es zwischen 2 Fingern während ein dritter dem Rotor gelegentlich und in unregelmäßigen Abständen einen Schubs gibt. Sicher, es gibt im Internet bestimmt Videos wo einer so ein Ding auf der Nasenspitze balanciert und dabei Rechenaufgaben löst, aber für die Meisten dürfte es wirklich nur festhalten und anschubsen sein. Und wie beruhigt uns das dann? Also aus der Perspektive unseres Gehirns sind zunächst einmal nur zwei Bereiche beteiligt. Der motorische Cortex – damit steuern wir die Finger, die das Ding festhalten und anschubsen – sowie der sensorische Cortex, der „merkt“, wie sich das Spielzeug anfühlt und, während der Drehbewegung, die Masse in Rotation wahrnimmt, wenn wir den drehenden Spinner leicht bewegen, während er rotiert. Beide Gehirnteile haben eine nette Angewohnheit. Je öfter wir etwas machen, man könnte auch sagen üben, desto weniger landet es in bewussten Verarbeitungsschritten. So ähnlich wie Radfahren. Wenn man es mal erlernt hat, geht es automatisch und man kann nur schwer erklären, was man eigentlich macht. So ähnlich läuft das auch mit dem „Fidgetspinnen“. Aber wie kommt man dann auf das Argument der „Beruhigung“.

Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=542357

Ganz einfach. Handspielzeug wird schon seit vielen Jahrhunderten in rituellen Handlungen eingesetzt. Jeder kennt den Rosenkranz, Muslime die Gebetsketten, selbst der Dalai Lama hat eine Gebetskette mit Kugeln und schon die Zauberer von früher kannten das Gomboly. Im Prinzip immer das Gleiche. Eine Kette mit einer Anzahl von Kugeln, die man rhythmisch, meistens zu bestimmten Handlungen oder Gebeten, durchzählt. Ähnliches passiert, wenn wir Musik mit einem prägnanten Rhythmus hören. Ganz besonders gut zu beobachten bei Techno oder ähnlichem, bei dem die Musik so manchen (auch wenn er kein Exstasy nimmt) in eine Art Trance versetzt. Häufig erzeugen wir selbst solche „Rhythmen“, wenn kein externer Stimulator zur Verfügung steht, um uns zu beruhigen. Wir wippen z.B. mit dem Fuß oder schaukeln mit dem Stuhl. Ganz genau kann den Mechanismus heute noch keiner erklären, aber einer aus meiner Sicht besten Ansätze stammt von Wolf Singer (mittlerweile schon im Ruhestand, aber früher u.a. erfolgreicher Neurowissenschaftler und Chef des FIAS in Frankfurt). Er forschte lange zum Thema „Bindungsproblem“. Das bezeichnet die Schwierigkeit zu erklären, wie unser Gehirn aus vielen Einzelteilen eine kongruente Erinnerung oder Wahrnehmung macht. Nehmen wir als Beispiel eine Rose. Es gibt im Gehirn kein Speicherplatz an dem die „Rose“ mit allen Eigenschaften gespeichert ist. Es gibt Bereiche, die „wissen“ was „rot“ bedeutet. Andere können den Begriff Blume semantisch mit Leben füllen. Wieder andere wissen, wie so ein Ding riecht und andere, dass es weh tut, wenn man sich an den Dornen sticht. So entsteht aus vielen Einzelteilen die Rose, mit all ihren Bedeutungen und Eigenschaften, in unserem Kopf. Oft sind Gehirnbereiche beteiligt, die weit voneinander entfernt liegen. Dazu kommt, dass wir vieles simultan wahrnehmen. Wenn wir also eine Rose und eine Tulpe sehen, wieso kommen wir bei den Eigenschaften nicht durcheinander? Die Antwort von Singer lautet: frequenzgesteuerte Synchronisation. Stark vereinfacht ausgedrückt: die beteiligten Hirnbereiche (Neurone) flackern kurz im gleichen Rhythmus und zeigen so an: wir gehören zu einer Wahrnehmung. Auf diese Weise kann im Hirn viel gleichzeitig passieren und keiner kommt sich in die Quere. Das gleichgeschaltete, man könnte auch sagen rhythmische, Aktivitätsmuster macht aus einem Chaos einen klaren Gedanken. Kein Wunder also, das es auf uns einen beruhigenden Einfluss haben kann, wenn wir uns rhythmisch mit irgendwas beschäftigen. Es macht uns buchstäblich Ordnung im Kopf. Egal ob wir die Perlen einer Gebetskette zählen, zu Techno tanzen, mit dem Fuß wippen oder im konstanten Tempo joggen. Die Liste ist endlos.

Wie passt jetzt also der Fidget Spinner da rein? Beruhigt der auch? Ich denke nicht. Soweit ich das beurteilen kann, wird das Ding nicht unbedingt in einem festen Rhythmus angeschubst – und damit entfällt der eigentliche Effekt. Ich denke, dass genau deswegen das Ding eher mehr ablenkt als hilft. Was bei einem Spielzeug als Zeitvertreib ja kein Problem ist, solange man es nicht als Konzentrationshilfe an Kinder oder besorgte Eltern verkauft. Zum Glück sind solche Trends ja nicht besonders langlebig. Wir können uns also beruhigt zurücklehnen. Die Dinger verschwinden auch wieder. Bis dahin beruhigen sie den Verkäufer. Der kann dann nämlich rhythmisch Geld zählen. Ich hab mir sagen lassen, das sei sogar doppelt beruhigend.

Danke fürs Lesen.

Peace. Euer Christian