Manchmal reicht eine einzige Bemerkung und man muss leider zugeben, dass man bisher auf einem Auge blind war. Ich bin, wenn mir ein Thema am Herzen liegt, leicht zu begeistern. Ich beleuchte es dann von allen Seiten, verschlinge alles, was es zum Thema zu lesen gibt, versuche Leute kennen zu lernen, die Experten oder Insider sind und denke viel nach. Wie jeder Mensch habe ich mein eigenes ethisches Grundgerüst, an dem sich dann meine Meinung ausrichtet und orientiert. Außerdem vertrete ich auch gerne diesen Standpunkt – weil ich ihn eben für richtig halte. Nicht zuletzt deshalb gibt es diesen Blog. Ein Blog ist nicht aufdringlich. Keiner muss ihn lesen, aber wer will, der kann. Ich finde, ein guter Weg um mit seiner eigenen Meinung umzugehen.
Wer sich die Mühe gemacht hat hier einige Artikel zu lesen, merkt schnell, welche Themen mir wichtig sind. Auch der Titel zeigt es schon: „Repariert Deutschland“. Ich denke, dass unsere Gesellschaft mehrere ernsthafte Defekte aufweist, sich aber, mit ein wenig Achtsamkeit, Einsicht und richtigen Entscheidungen, wieder reparieren lässt. Pathetisch ausgedrückt könnte man auch sagen ich will irgendwie dazu beitragen, dass die Welt etwas besser wird.
In Zeiten wie diesen glaube ich fest daran, dass Hass und Engstirnigkeit keine Lösung sind und schon gar keine schnelle. In meinem letzten Artikel (Der neue Simplicissimus) habe ich z.B. viel über das Thema Asyl geschrieben und warum Grundrechte nicht limitierbar, z.B. durch Obergrenzen für Aslybewerber, sein sollten. Das sehe ich auch heute noch so. Vergessen habe ich, dass es aber auch noch andere Grund- bzw. Menschenrechte gibt. Genau genommen habe ich es nicht wirklich vergessen, es schien mir nur so offensichtlich, dass ich dachte es müsste nicht extra erwähnt werden. Zum Glück kenne ich Menschen mit einem sehr gesunden Blick auf die Welt und deren Realitäten (Danke Achim!). Bei einem kleinen Chat über den letzten Beitrag war ich sehr verwundert, warum A. dachte, ich räume dem Asylrecht einen höheren Stellenwert als dem Schutz der Unschuldigen vor Verbrechen ein. Ob wir eine Bringschuld gegenüber den Asylanten haben und wir dabei sind, wesentliche Werte unserer Gesellschaft und Lebensart kampflos aufzugeben. Offensichtlich kann man den Eindruck bekommen, ich wäre auf einem Auge blind. Keineswegs. Richtig ist aber, ich habe es nie formuliert. Es steht nichts davon in meinem Blog.
Also habe ich angefangen, darüber nachzudenken. Als konkreten Aufhänger wollte ich mir die Frage nach den „kriminellen“ Asylbewerbern vornehmen und wie sehr Migranten unsere Gesellschaft verändern und in welchen Punkten. Dazu habe ich dann Statistiken gewälzt, Presseberichte gelesen, News der Polizei abonniert und auch mit vielen Menschen gesprochen. Das Ergebnis: kriminelle Asylanten sind eher in der Minderheit und hochgerechnet nicht mehr oder weniger kriminell als der Rest von Deutschland. Entwarnung… eben nicht. Ich bin nur wieder in die gleiche Falle getappt. Der Grund: ich habe schlichtweg die falsche Frage gestellt. Genau genommen war das Ergebnis abzusehen. Handlungen sind größtenteils das Ergebnis von Prägungen durch Umwelt und sozialem Kontext. Sie sind nicht – gesetzmäßig – an den Geburtsort gebunden. Unter entsprechenden Bedingungen ist die Wahrscheinlichkeit für ähnliche Handlungsmuster für alle Menschen ungefähr gleich groß. Eine Trivialität. Das hilft uns in unserer Lage nicht.
Aufgefallen ist mir bei den Recherchen aber eins: Es ist ganz schön schwierig geworden, Ansprechpartner für politisch unkorrekte Fragestellungen (Wie viele Straftaten sind in Mainz von Asylbewerbern verübt worden? Wie oft sind spezielle Delikte (z.B. Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum) von Asylbewerbern begangen worden?) zu finden. Es gibt die Zahlen oftmals einfach nicht – bzw. es wurde keine Auswertung gemacht. Selbstverständlich wird bei jedem aufgenommenen Protokoll vermerkt, woher der Beschuldigte kommt. Verwendet werden die Daten aber größtenteils nicht. Außerdem ist es außerordentlich schwer, von einem Polizisten verwertbare Aussagen über Erfahrungen aus seinem täglichen Berufsfeld zu diesem Thema zu bekommen. Erzählen würden die meisten gerne – zitieren geht aber nicht, weil es dann Ärger auf der Dienststelle gibt.
Der Witz ist: Die Anzahl ist schlicht nicht relevant. Die Art und Weise, wie wir damit umgehen, schon. Ich verstehe, dass die „Politik“ gerne einen (rechten) Flächenbrand vermeiden möchte und die selektive Wahrnehmung tut im Moment ein übriges. Wir fühlen uns von kriminellen Asylanten umzingelt, auch wenn es nur eine kleine Minderheit mit Fehlverhalten ist. Aber was hilft es zu sagen: „Es ist nur eine Minderheit?“ Das Gefühl des Ausgeliefertseins der Menschen und vor allem der Opfer von Straftaten wird damit nicht verändert. Es mag politisch nicht korrekt sein, aber es kann doch keinen verwundern, wenn junge Männer mit relativ kruden und patriarchalischem Weltbild, in dem Frauen eher zweitklassig sind und Religion über allem steht – und damit als Männer sowieso Sonderrechte genießen – zum Teil in unserer offenen Gesellschaft Regelverstöße begehen. Dieses Problem tot zu schweigen oder auszublenden ist in Wahrheit der echte Rassismus: ungleiche Behandlung von Individuen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit. Klar, alles hat Ursachen, keiner wird so geboren, wir sind am Elend in der (3.) Welt Mitschuld. Alles richtig. Aber die Menschenrechte – wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde – gelten eben auch für uns. Oder besser: für Alle.
Über mögliche Konzepte den Ursachen der Flüchtlingswelle zu begegnen habe ich das letzte Mal geschrieben. Was ich versäumt habe, ist klar zu machen dass es damit nicht getan ist. Wir müssen auch für unseren Status Quo kämpfen. Ich meine damit nicht, dass wir weniger teilen sollen, weniger Empathie empfinden sollen oder uns einmauern müssen. Ich meine damit, dass wir die Errungenschaften unserer Gesellschaft auch aktiv verteidigen müssen. Ein Straftäter kann nicht anders behandelt werden nur, weil er Asylant ist. Es sollte auch keine Ausnahmeregelungen für Religionen geben. Die Gleichberechtigung der Frau ist ein wesentlicher Stützpfeiler, genauso, dass Gesetze vom Staat erlassen und von der Polizei durchgesetzt werden. Keine Scharia, aber auch kein Hodscha, der die Streitigkeiten im Kleinen als Religionsgelehrter schlichtet. Völlig egal, ob das kulturell verankert ist oder gut funktioniert. Keine Ausnahmen in Grundsatzfragen. Oder, wie ein Freund es passend auf den Punkt brachte: Stand your ground! (Achtung: Ich meine damit nicht die Freigabe jeglicher unverhältnismäßigen Mittel wie z.B. in den USA). Wir müssen unsere Errungenschaften verteidigen. Ich finde es schade, dass wir Mitgefühl und aktive Hilfe für viele Asylanten bieten, aber das Grenzen aufzeigen völlig einem rechten Pöbel überlassen. Es fängt im Kleinen an. Die Gruppe von 2-3 Männern, die eine Frau in der Bahn belästigt, wird irgendwann zur Meute vor dem Kölner Dom – wenn es keine Gegenbewegung gibt. Dem Opfer sind die Ursachen (Traumatisierung, Elend, mangelnde Bildung usw.) völlig egal – und zwar mit Recht. Wenn ich im Dschungel unterwegs bin und auf einen Löwen treffe, verstehe ich zwar, warum er mich wahrscheinlich fressen will. Aber das heißt ja nicht das ich es auch erlaube! Das Anerkennen der Ursachen und die entsprechenden Maßnahmen zum Abstellen dieser Probleme haben aber keine höhere Priorität als andere Menschenrechte. Die Unschuldigen müssen geschützt werden. Überall.
Leider haben wir es versäumt, die Polizei auf diese Herausforderung sinnvoll vorzubereiten. Als ich Kind war, gab es selbst im kleinsten Dorf den Dorfpolizisten. Den kannte jeder und er kannte seine Pappenheimer auch genau. Es gab nicht für alles ein Formular, aber immer Zeit für ein klärendes Gespräch. Heute ist die zuständige Polizeistation 15 min mit dem Auto entfernt und in den meisten Fällen dauert es ewig bis überhaupt jemand kommt. Sowas wie Präsenz gibt es eigentlich gar nicht mehr. Falls man einen Polizisten sieht, trägt der Schutzweste und Handschuhe, und nicht mehr ein nettes Synthetikhemd wie der Dorfpolizist von nebenan. Keine Frage: Das ist nicht die Schuld der Polizisten und traurig genug, dass ein solcher Schutz heute notwendig ist. Das ist die Folge der Politik, die wir viel zu lange toleriert haben. Wir retten die Banken und sparen das Gemeinwesen kaputt. Staatliche Aufgaben sind lästig und teuer und Dividende ist doch viel wichtiger. Es ist Hip, gegen die Polizei zu sein und ACAB darf nahezu ungestraft jeder überall rumschreien.
Ändern können wir die Verhältnisse nicht ohne die Hilfe der Polizei (und Justiz), aber die Polizei braucht unsere Hilfe. Keine Bürgerwehr oder ein lynchender Mob. Aber Zivilcourage, das Achten auf den Anderen und ein partnerschaftliches Umgehen mit der Polizei. Jeder von uns verfügt über genug gesunden Menschenverstand, um zwischen Stasiüberwachung/Lynchmob und verantwortungsvollem Bürger zu unterscheiden. Wenn wir zwielichtige Gestalten im Vorgarten des Nachbarn sehen, rufen wir die Polizei, aber wir jagen sie nicht mit Baseballschlägern durchs Ort. Wir haben ein tolles Notwehr– und Nothilfegesetz, das eine sehr breite Palette von Maßnahmen (auch Gewalt, wenn nötig) erlaubt. Wir brauchen kein „Mehr“ an Überwachung, neue Gesetze, etc. Wir brauchen gesunden Menschenverstand gepaart mit Zivilcourage. Wir brauchen eine leistungsfähige Polizei und Justiz – aber eben als Partner der Bürger. Es ist grotesk, dass gerade diese beiden originären Aufgaben eines Staates bei uns so schlecht behandelt wurden. Schlechte Bezahlung der Polizei, mangelhafte Ausstattung, Unterbesetzung, Stellenabbau… oder monatelange Wartezeit bis zu einem Gerichtsverfahren. Wahnsinn!!! Wir haben einen Zustand zugelassen, in dem der Staat seine eigentlichen Aufgaben nicht mehr wirklich wahrnehmen kann: den Schutz seiner Bürger. Sowas lässt sich nicht über Nacht wieder reparieren. Ein Politikwechsel muss her, wird aber dauern. In der Zwischenzeit müssen wir selbst mithelfen. Lasst uns unser Herz UND Gehirn benutzen! Einem Asylbewerber, der sich gut benimmt, mit Freundlichkeit und Empathie zu begegnen, ist genauso wichtig wie eine klare Haltung bei Regelverstößen! Und zwar hauptsächlich im Alltag und bei den kleinen Reibereien. Wenn ich toleriere, dass einer Frau aus religiösen Gründen nicht die Hand geschüttelt wird, ist das der erste Schritt zu einer Entwicklung, die dann letztlich auf dem Kölner Domplatz an Silvester endet. Wehret den Anfängen – aber eben mit Augenmaß. Der verweigerte Händedruck muss nicht zur Haftstrafe führen, aber zu klaren (sozialen) Konsequenzen. Oftmals reicht da schon ein deutliches verbales Statement. Bei einer Straftat reicht aber „nur Reden“ nicht mehr aus. Priorität hat hier nicht Verständnis, sondern Opferschutz – am besten bevor es Opfer gibt. Dazu brauchen wir keine Überwachungskameras, sondern Zivilcourage. Lasst uns – im Wortsinne – Zusammenhalten!
Danke fürs Lesen.
Peace – Euer Christian